Beklemmende Reise in die Vergangenheit – Besuch des KZ Natzweiler-Struthof
Als unser Pfarrer mich fragte, ob ich unsere Konfi-Gruppe während einer Tagesreise zum KZ Natzweiler-Struthof begleiten möchte, habe ich keine Sekunde gezögert um zuzusagen. Zum einen, weil mir die Jugendarbeit am Herzen liegt und zum anderen um eine wichtige Erfahrung zu sammeln. Bis zu diesem Tag am 07. April 2019 hatte ich noch kein Konzentrationslager der Nazis besucht. Als geschichtsinteressierter Mensch habe ich natürlich viel gelesen, gesehen oder gehört. Die Besichtigung eines Konzentrationslagers jedoch, hatte ich bis dato noch nicht absolviert.
Das Konzentrationslager Natzweiler-Struthof war vom 1. Mai 1941 bis zum 23. November 1944 ein sogenanntes Straf- und Arbeitslager der Nazis und lag nahe dem Ort Natzweiler im besetzten französischen Elsass, südwestlich von Straßburg, in den Vogesen.
Die Katechumenen und Konfirmanden wurden bereits einen Tag zuvor auf diese Reise vorbereitet. Nach einer etwa zweistündigen Fahrt erreichten wir das Konzentrationslager im französischen Natzweiler- Struthof, in ca. 800 Meter Höhe. Zunächst fuhren wir mit dem Bus den lager-nahen Steinbruch und eine sogenannte geheime Hinrichtungsstätte an. Vor dem Besuch des eigentlichen Lagers gingen wir zur luxuriösen Villa des Lagerkommandanten. Die Villa steht, gut erhalten, nur wenige Meter vom Lager entfernt und demonstrierte auf beeindruckende Art und Weise den Kontrast zwischen den Häftlingen im Konzentrationslager und den Aufsehern und Kommandanten. Während im Lager gelitten und gestorben wurde, fanden in der Villa Partys und Familienfeiern statt.
Als wir nun endlich das Tor des Konzentrationslagers passierten berichtete mir ein mitgereistes Elternteil seine Erfahrungen mit diesem Lager. Der Mann erzählte mir, dass er schon das KZ Dachau und das KZ Ausschwitz besichtigte. Im Gegensatz zu Struthof waren Dachau und Ausschwitz reine Vernichtungslager. Mein Gesprächspartner vertrat dennoch die Meinung, dass Struthof etwas ganz Besonderes wäre und keinen Deut weniger emotional und ergreifend sei. Der Grund liegt in der Intensivität, die das Lager ausstrahlt. Alles ist viel enger, beschaulicher aufgebaut. Die Nazis hatten viel mehr Zeit sich darüber Gedanken zu machen wie sie am besten und effektivsten die Häftlinge quälten oder töteten. Eine Flucht war praktisch kaum möglich.
Wenn man das Lager betritt bekommt man zunächst einen guten Überblick über die gesamte Anlage. Während unsere Konfis den Besuch der Hinrichtungsstätte und des Gefängnisses noch gut überstanden, verlangte das Krematorium und besonders der Operationssaal des Lagers den jungen Menschen schon einiges ab. Für mich persönlich war schon der Besuch des Gefängnisses eine emotionale Angelegenheit. Bis zu 20 Insassen hockten in einer kleinen Zelle. Kaum Platz zum Schlafen, geschweige denn, zum Bewegen. Über dem kompletten Gefängnistrackt lag eine finstere und fast gespenstische Aura. Schon der Anblick des Prügelbocks lässt einen erschaudern. Welche Qual und was für Schmerzen müssen dort Menschen erlitten haben. Das Gefängnis war für seinen harten Vollzug und die besonders harten Strafen berüchtigt.
Nach der Besichtigung des Krematoriums, was schon nichts für schwache Nerven war, führte uns der Weg durch den „Operationssaal“ des Lagers. In diesem Saal wurden medizinischen Experimente an den Deportierten durchgeführt. Die Häftlinge des KZ Struthof verstarben in der Regel durch Hunger, Erkrankung, Verletzungen, Erschöpfung oder halt durch diverse Hinrichtungs- und Foltermethoden. Das langsame oder schnelle Erhängen war ebenso üblich wie das Erschießen oder totschlagen. Seinen hohen Bekanntheitsgrad erreichte das KZ als berüchtigtes und gefürchtetes Lager durch medizinische Versuche. Diejenigen Deportierten die für medizinische Experimente ausgesucht wurden, fanden in der 9m² große Gaskammer ihren Tot. Der Besuch der noch gut erhaltenen Gaskammer, die in ihrem Originalzustand zu besichtigen ist, brachte auch mich an meine Grenzen. Wenn man vor dem Raum steht und sich vorstellt, welche grausamen Szenen sich dort abgespielt haben, muss man schonmal tief durchatmen. Natürlich war dieser Besuch auch für unsere Konfis alles andere als leicht zu verdauen. Ich hatte jedoch nicht den Eindruck, dass die Jugendlichen an dieser Last zerbrachen. Vielmehr zeigten sie großes Interesse und Mitgefühl. Ich möchte auch nicht verschweigen, dass die eine oder andere Träne floss. Das Ausmaß des Leids in diesem menschenverachtenden Lager ist nicht vorstellbar. Kaum zu glauben, dass dies alles ein Teil unserer Vergangenheit ist.
Fast 25.000 Menschen starben infolge von Entkräftung, Hunger, lagerbedingten Krankheiten oder wurden ermordet. Die genaue Anzahl der Opfer ist jedoch kaum feststellbar. Viele Opfer verstarben schon während ihrer Deportation und wurden einfach liegen gelassen. Von etwa 3000 eingelieferte Gefangene fehlt bis heute jede Spur. Fast 60 % der Häftlinge wogen unter 50 Kilogramm. Die Gier nach Essen war so groß, dass die Schwächsten sogar von ihren eigenen Mitgefangenen erschlagen wurden. Am schlimmsten traf es das Arbeitskommando, das im ortsansässigen Steinbruch des KZ arbeiten musste. Im Jahre 1943 waren von den Häftlingen des Lagers nur noch etwa 100 arbeitsfähig. Viele konnten den beschwerlichen Weg zum Steinbruch nicht mehr auf sich nehmen und wurden in Schubkarren zur Zwangsarbeit gebracht.
Beim abschließenden Besuch des Lager – Museums beschäftigte ich mich überwiegend mit den Berichten und Niederschriften von Zeitzeugen. In mir erwachte eine gewisse Demut. Wie oft fühlen wir uns im täglichen Leben vernachlässigt oder auch am Rande der Gesellschaft glücklos und ungerecht behandelt. Wie maßlos und ungerecht ist unser Denken im Anbetracht derer die dieses Martyrium durchleben mussten.
Letztlich hat der Besuch im KZ Natzweiler- Struthof auch mich sehr bewegt. Natürlich stellt sich mir die Frage inwieweit wir unsere Jugendlichen zu einem Besuch eines Konzentrationslagers auffordern sollten. Kindern ist der Eintritt ohnehin nicht gestattet. Mittlerweile werden auch in der Politik die Stimmen lauter die einen Besucher von Schülerinnen und Schülern eines KZs als Verpflichtung fordern. Andere hingegen finden eine sogenannte „Zwangspädagogik“ kontraproduktiv. Auch der Zentralrat der Juden fordert seit geraumer Zeit, dass Schüler und Schülerinnen der höheren Klassen eine KZ-Gedenkstätte besuchen müssen. Nun ist es ja durchaus nicht selten, dass Schulklassen eine Gedenkstätte oder ein KZ besuchen. Es stellt sich lediglich die Frage, in weit und ob wir es verpflichtend machen sollten. Ich persönlich halte nichts von Zwang und finde ein Besuch sollte auch zukünftig freiwillig sein. Ich denke jedes Mädchen oder jeder Junge ist in seiner Individualität anders. Die einen verarbeiten einen Besuch besser und die anderen eben etwas schlechter. Einfach ist es definitiv nicht!
Dennoch gerade zu Zeiten, in denen es Politiker gibt, die unsere Vergangenheit und die Nazi-Zeit als „Mückenschiß“ in der Geschichte betrachten ist es wichtiger denn je zu erinnern und wachzurütteln.
Wie sagte der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“