Barbaratag 2020 – Erinnerung und Tradition bewahren !

Der Wohlstand unseres Dorfes basiert, neben der Landwirtschaft, auf Kohle und Stahl. In Spitzenzeiten war ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung entweder auf eine Hütte oder irgendeinem Bergwerk beschäftigt. Bereits im 19. Jahrhundert waren zahlreiche Bergmannsbauern aus Dirmingen als „Hartfüßler“ unterwegs. Ihren Spitznamen erhielten die Bergleute, weil viele von ihnen zu Fuß von ihren Heimatorten aus zu ihren Gruben und zurück laufen mussten. Dabei konnte man schon von Weitem konnte den Klang ihrer genagelten Schuhe auf dem Pflaster der Straßen hören.

Mittlerweile bin ich schon seit 20 Jahren nicht mehr als Bergmann „unter Tage“ beschäftigt. Ein guter Freund sagte einmal:“ Bergmann bleibt man immer“, ich glaube, da ist etwas dran. Als ich im Jahre 1984 bei den Saarbergwerken anfuhr und eine Ausbildung als Bergmechaniker begann, musste ich jeden Tag mit dem Bus nach Ensdorf oder zum Ausbildungszentrum Velsen fahren. Zu fuß, wie die „Hartfüßler“, wäre ich dazu niemals in der Lage gewesen. Dafür war ich täglich viel zu müde. Jede Busfahrt nutzte ich dazu meinen verpassten Schlaf nachzuholen. Im Jahre 1986 wurde ich auf das Bergwerk Camphausen verlegt. Gemäß dem Motto: “Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ erlebte ich einige schwierige und aufreibende Jahre unter Tage. Der Umgangston und die Arbeitsbedingungen waren alles andere als einfach. Die hohe Luftfeuchtigkeit und die hohen Temperaturen machten die schwere Arbeit zu einer echten Passion. Dennoch habe ich „Unter Tage“ die wichtigsten Tugenden gelernt: Hilfsbereitschaft, Solidarität, Treue kurzum Kameradschaft. Viele dieser Werte und Eigenschaften sind längst verloren gegangen. Der Bergmann war stolz auf seinen Berufsstand. Tradition wurde großgeschrieben und täglich gepflegt.

Wenn ich mich aus dem Bus geschafft hatte, ging es in die Waschkaue, saubere Kleidung aus und schwarze Kleidung an. Anschließend schleppte ich mich in den Zechenzahl. Dort wurde man verlesen und bekam seine Arbeit zugeteilt. Ich werde die tägliche Zeremonie, die mich bis heute mit Stolz erfüllt, niemals vergessen. Im Zechensaal herrschte vor Schichtbeginn immer reges Treiben. Plötzlich, wie aus dem nichts, ein Glockenschlag. Jeder Bergmann schweigt, von jetzt auf gleich, und zieht seinen Helm vom Haupt. Kurze Andacht vor Schichtbeginn, noch einmal in sich reingehen und sammeln. Immerhin geht es gleich einige tausend Meter unter Tage. Nicht selten erklang das Einfahrtsgebet:

Einfahrtsgebet

Wir richten, eh’ wir niederfahren,Den Blick, o Gott empor zu dir. O woll uns, Herr, getreu bewahren, Laß wiederkehren uns nach hier.

Schließ auf den Stollen Deiner Liebe, Den finsteren Schacht, in dem wir bauen. Schirm uns vor Ort und im Betriebe, Laß fromm und treu uns Dir vertrauen.

Herr, segne Streben, Schacht und Stollen, Bewahr uns vor Flut und Brand. Herr, dem wir treu gehören wollen, Du hast die Welt in Deiner Hand.

Einfahrtsgebet

Danach erklang wieder eine Glocke, Helm auf den Kopf und weiter im Thema. Unter Tage mussten wir zusammenhalten. Der Ton war rau und herzlich und nix für schwache Gemüter. Letztendlich war der Bergbau eine gute Lebensschule. Als junger Bergmann wurde man auf raue Art und Weise mit den Besonderheiten dieses Berufs und den damit verbundenen Traditionen konfrontiert. Wer kennt heute noch einen Grubenstempel, Kletzje, Knubbe, Gedinge, Portion oder den alten Mann? Der Bergbau hat nicht nur die Menschen, sondern auch unsere Region geprägt. In unserem Heimatort Dirmingen gab es um das Jahr 1900 einen Bergmannsverein. Im vergangenen Jahr bekam ich das Banner des Vereins geschenkt. Bis zu diesem Tag war mir nicht bekannt, dass es in unserem Heimatort einen solchen Bergmannsverein gegeben hat. Für mich ist dies jedoch ein weiterer Indiz dafür, wie sehr der Bergbau auch in Dirmingen verwurzelt war.

Noch heute hat der Barbaratag einen besonderer Platz in meinem Kalender. Früher mussten wir am 4. Dezember nicht einfahren. An diesem Tag wurde der Namenstag der Schutzpatronin der Bergleute, der heiligen Barbara, gefeiert. In Dirmingen wurde dieser Festtag immer mit einem ökumenischen Gottesdienst und einer anschließenden Feierstunde begangen. Viele Jahre trug ich, als Vorsitzender der IGBCE Ortsgruppe Dirmingen/Berschweiler, für diese Veranstaltung eine Mitverantwortung. Die heilige St. Barbara verfolgt mich also bis zum heutigen Tage. Barbara von Nikomedien war der Überlieferung zufolge einer christlichen Jungfrau, eine Märtyrerin des 3. Jahrhunderts. Sie wurde demnach von ihrem Vater Dioscuros enthauptet, weil sie sich weigerte, ihren christlichen Glauben und ihre jungfräuliche Hingabe an Gott aufzugeben. Viele Erzählungen ranken sich um Barbara: Sie soll von ihrem heidnischen Vater in einen Turm eingeschlossen worden sein. Während der Vater auf Reisen war, ließ Barbara sich heimlich taufen. Auf der Flucht vor ihm soll sie durch eine Bergspalte entkommen sein und Unterschlupf bei einem Hirten gefunden haben, der sie schließlich verriet. Ihr Vater soll sie dem Gericht überantwortet und dann selbst enthauptet haben. Der Legende zufolge wurde der Vater anschließend von einem Blitzschlag getroffen. Seit dem Mittelalter gehört die Heilige auch zu den 14 Nothelfern und wird besonders zum Schutz vor jähem Tod und als Beistand der Sterbenden angerufen. Als Schutzheilige der Bergleute wird sie wegen ihrer Flucht durch eine Felsspalte verehrt. In vielen Bergwerken ließ man der heiligen Barbara zu Ehren das Licht im Stollen brennen. Somit wollte man sich vor dem Tod unter Tage schützen.

Im heutigen Saarland wurde seit dem Jahre 1429, zunächst in Schürfbetrieben, Kohle gefördert. In der ersten Hälfte des Jahres 2012 ging der Steinkohlenbergbau an der Saar zu Ende. Am 30. Juni wurde aus der Anlage Nordschacht das letzte Stück Kohle gefördert. Für die Menschen an der Saar war dies eine emotionale Angelegenheit. Noch einmal großer Bahnhof für die Bergleute an der Saar. Die Bergkapelle spielte, und der Saarknappenchor sang noch einmal „Glück auf“. Um 20:15 Uhr läuteten von den Türmen der saarländischen Kirchen die Glocken.

Was ist von dem jahrhundertelangen Bergbau an der Saar geblieben? Die Kohle und das Saarland waren fast 260 Jahre lang untrennbar miteinander vereint.  Der Bergbau hat meine Familie geprägt. Ur-Großvater, Großvater und Vater waren als Bergmann unter Tage. Ich bin schon ein stückweit Stolz darauf ein Teil dieser saarländischen Geschichte, am eigenen Leib, erlebt haben zu dürfen. Dabei war längst nicht alles gut und schön. Als Bergmann wurde ich erstmals mit dem Tod konfrontiert. Viele gute Bergleute ließen unter Tage ihr Leben. Das Grubenunglück von Camphausen, am 16. Februar 1986, bleibt mir dabei ganz besonders in Erinnerung. Nur einen Monat zuvor wurde ich von Ensdorf nach Camphausen verlegt. Ich erinnere mich daran, dass es verdammt kalt war und dass wir eigentlich an diesem Montag Frühschicht gehabt hätten. Natürlich wurde meine Schicht nach dieser verheerenden Methangas-Explosion abgesagt. Wir fuhren dennoch nach Camphausen und wollten einfach nur vor Ort sein. Ich werde diesen Tag nicht vergessen.

Manchmal plagt mich die Sorge, dass unsere Kinder den ehrvollen Beruf des Bergmanns vergessen werden. Wir dürfen nicht aufhören davon zu erzählen. In unseren Geschichten lebt die Erinnerung an den Bergbau weiter. Wenn wir nicht mehr davon sprechen, berichten oder erzählen werden wir alle irgendwann vergessen.

Ich wünsche allen Bergleuten zum heutigen Barbaratag 2020 eine besinnliche Zeit in schöner Erinnerung und ein herzliches Glück auf !

mde

Ein Kommentar

  • HerbertErtelt

    Diese Zeilen sind Balsam für meine Seele. Sie sprechen mir aus dem Herzen. Einmal Bergmann immer Bergmann. Ich möchte niemand zunahe treten aber ich glaube in keinem anderen Beruf wird der Charakter eines Menschen so geprägt wie im Bergbau. Deshalb habe ich 2003 den Traditionsverein unserer Region gegründet.

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