Die Fußball WM im Visier – Wunsch nach einem gesunden „Dorf-Patriotismus“ – Kann echte Heimatliebe falsch sein?
„Wo am Render stand die Brauerei, wo man gerne trank das feine Schäfer Bräu, wo man zog die halben in zwei Zügen aus, da ist meine Heimat, da bin ich Zuhaus‘“
Als ich ein kleiner Junge war, schlenderte ich durch unser Dorf. Neben dem Anwesen „Johne“ wurde gerade die Mauer neu betoniert. Ich ging zu der Mauer hin und ritzte meinen Namen, mit meinen Fingern, in den frischen Beton ein. Keiner hat was davon bemerkt. Wenn ich heute den gleichen Weg nehme und an meinem Werk vorbei gehe muss ich immer wieder schmunzeln. Der Schriftzug ist, obwohl zwar schon arg verblasst, immer noch gut zu sehen. Irgendwas bleibt immer! Irgendwie kann jeder Mensch in seiner Heimat seine eigene Geschichte schreiben.
In der kommenden Woche beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. Gerade während dieses sportlichen Großereignisses wächst bei vielen Landsleuten ein Gefühl der Zugehörigkeit und Verbundenheit mit der Nation. Bestimmt werden auch diesmal in Deutschland schwarz-rot-goldene Fahnen das Straßenbild und die öffentlichen Plätze beherrschen. Ich glaube, dass unser Land inzwischen grundsätzlich ein entspanntes Verhältnis zur eigenen Nation entwickelt hat. Noch in den 70-ger und 80-ger Jahren war diese ausgelassene Stimmung nicht denkbar. Dennoch beschleicht mich irgendwie das Gefühl, dass uns unsere eigene Vergangenheit nach wie vor den Weg zu einem „gesunden“ Patriotismus versperrt.
Wir leben in unruhigen Zeiten und ganz schnell werden Menschen, die ihre Heimat lieben und dies auch äußern, verurteilt. Nicht jeder der einen kritischen Satz über die derzeitige Einwanderungspolitik äußert ist gleichzeitig ein Nazi. Auf der anderen Seite sinkt, gerade in den sozialen Netzwerken, die Hemmschwelle für öffentliche Äußerung braunen Gedankengutes. Die Schweigeminute der AFD-Bundestagsfraktion, zu Ehren eines Gewaltopfers, während einer parlamentarischen Sitzung hat mich irritiert. Ich werde das Gefühl nicht los, dass man hier das Opfer für politische Zwecke missbraucht hat. Überhaupt bin ich der Meinung, dass die AFD dem gesunden Patriotismus in unserem Land schadet. Ein schlauer Mann sagte einmal:“ Die Angst vor Fremden ist nichts anders als die eigene Verunsicherung, die Suche nach Identität durch Rückzug in die eigenen vier Wände“.
Mit Heimat verbinden die meisten, den Ort wo man aufwächst, Wurzeln schlägt und sich immer noch irgendwie zugehörig fühlt. Mit Heimat verbindet man Familie und Freunde. Für mich persönlich ist Heimat ein Gefühl. Darf man heute bedenkenlos Stolz auf seine Heimat sein? Kann man überhaupt Stolz auf etwas sein, dass man nicht zu verantworten hat? Man kann sich den Ort, in den man geboren wird nicht aussuchen. Das ist entweder Glück oder Unglück.
Bin ich also, wenn ich über eine ausgeprägte Heimatliebe verfüge, ein Patriot oder vielleicht sogar ein verkappter Nationalsozialist? Was ist ein Patriot und warum wird er vielerorts so kritisch gesehen? Wikipedia sagt:“ Als Patriotismus wird eine emotionale Verbundenheit mit der eigenen Nation bezeichnet. Im Deutschen wird anstelle des Lehnwortes auch der Begriff „Vaterlandsliebe“ synonym verwendet.“ Ist das jetzt gut oder schlecht?
Ich selbst verstehe mich als „Dorf-Patriot“ und lebe sehr gerne in meiner geliebten Heimat. Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich beim Bier (mit Augenzwinkern) gerne über andere Dörfer spotte oder mich lustig mache. Ich erinnere mich an meine Kindheit und an die vielen Streitigkeiten mit den Jungs aus den Nachbardörfern. Schon damals haben wir, im kindlichen Spiel, die Ehre unserer Heimat verteidigt. Irgendwie hat das was von dem Stammes-verhalten alter Germanen. Vielleicht wurde uns schon als Kind ein wenig Patriotismus mit in die Wiege gelegt. Ich könnte mir heute nicht vorstellen woanders zu leben und bin auch irgendwie Stolz auf unser Dörfchen Dirmingen. Habe ich das Recht, auf etwas Stolz zu sein, was nicht mein Eigentum ist?
Erst wenn man die Heimat mit der eigenen persönlichen Geschichte verbindet, wird meistens ein Schuh daraus! Man muss einfach sein eigenes Ding daraus machen und schon entwickelt sich eine urpersönliche Bindung zu dem Dorf. In Dirmingen lebten meine Vorfahren, hier lernte ich Laufen und sprechen, hier werden meine Kinder erwachsen und ich hoffe hier endet es auch irgendwann für mich. Wie weit darf Heimatliebe oder Patriotismus gehen? Ehrlich gesagt finde ich darauf keine passende Antwort. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass der eigene Patriotismus dort enden sollte, wo andere verletzt werden.
Ich habe das Gefühl, dass in unserem Land derzeit vieles in die falsche Richtung läuft. Aus der eigenen Unzufriedenheit entsteht vielerorts Fremdenhass. Das Ganze ist nicht neu und gerade in unserem Land bekannt. Das schlimme ist jedoch, dass es wieder politische Strömungen gibt, die wissen wie man die Zeichen der Zeit ausnutzt. Wenn man sich viele Kommentare auf sozialen Netzwerken ansieht, kann man es leicht mit der Angst zu tun bekommen. Die Hemmschwelle sinkt in bedenklicher Art und Weise. Ich möchte als selbsternannter „Dorf-Patriot“ nicht falsch verstanden werden. Heimatliebe ist keineswegs verwerflich und hat nichts mit Nationalsozialismus zu tun. Wenn man durch die Straßen unseres Heimatdorfes geht, versteht man leicht was ich wirklich meine.
In unserem Dorf sind viele Menschen mit Migrationshintergrund längst zu ECHTEN DERMINGA geworden. Da gibt es italienische Einwanderer, die mitgeholfen haben Deutschland wiederaufzubauen und deren Pizzen, ganz nebenbei, im ganzen Illtal bekannt sind. Wir freuen uns über Dirmingens Supertalent mit italienischen Wurzeln und reden mit Türken die das „Derminga Platt“ besser als ihre eigene Heimatsprache verstehen. Wir jubeln über die Tore von Dirminger Fußballern die ihre Wurzeln im Kosovo liegen haben und wir kaufen unsere Getränke bei einem echten „Derminga“ aus Sri Lanka. In Dirmingen kann man trotz Migrationshintergrund alles werden, sogar Arzt. Es spielt keine Rolle woher man kommt. Was ist also falsch an der vielzitierten Willkommenskultur? Ich finde: Nichts!
Wenn man sich mit der Geschichte unseres Landes befasst, wird man schnell feststellen, dass wir alle nicht vorn hier sind! Im Laufe der Jahrhunderte gab es ständig ein Kommen und Gehen. Ein großes deutsches Institut hat mit Versuchspersonen einen bundesweiten Gentest durchgeführt. Das Ergebnis ist verblüffend. Die wenigsten Deutschen haben ihre tatsächlichen Wurzeln in ihrer heutigen Heimat. Sind wir nicht alle irgendwann einmal auf der Flucht gewesen? Mein Revier ist letztlich auch dein Revier! In Dirmingen gibt es seit dem Jahre 2016 ein gut funktionierendes und engagiertes Flüchtlingsnetzwerk. Das Netzwerk leistet eine vorbildliche Arbeit. Dennoch haben auch wir, in unserem Heimatdorf, schon schlechte Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht. Es gibt aber auch zahlreiche positive Beispiele! Genau das ist der Punkt: Wir sollten uns davor in Acht nehmen alles zu pauschalisieren. Vorurteile bringen keinem etwas!
Als ich an diesem Wochenende am evangelischen Gemeindehaus Dirmingen vorbeiging, sah ich wie ehrenamtliche Dirmingerinnen mit syrischen Mädchen malten. Ich ging ins Gemeindehaus und sah mir die Kunstwerke aus der Nähe an. Ich sah in die Gesichter der Mädchen und sah ihre Dankbarkeit und die Freude an der Sache. Unsere Willkommenskultur kann nicht schlecht sein. Hier wird den Kindern eine echte Chance gegeben ! Wir alle haben unser Glück selbst in der Hand und können das Leben in unserem Dorf mitgestalten. Dabei spielt es keine Rolle von welcher Nation wir abstammen. Der Pass sagt nichts über die Wertigkeit eines Menschen aus. Wir alle können bleiben, ein Zuhause finden und Zeichen setzen. Dies kann durch kleine Kinderfinger, noble Gesten oder großen Tatendrang entstehen.
Pünktlich zur Fußball-Weltmeisterschaft ist das Thema Integration auch in unserer Nationalmannschaft angekommen. Es stimmt, die Herren Özil und Gündogan haben sich mit ihrem Verhalten nicht gerade überall Freunde gemacht. Vielmehr spaltet der Fall Özil/Gündogan kurz vor dem ersten Gruppenspiel der deutschen Elf die Fußball-Nation.
Muss man wirklich, wie geschehen, die beiden Nationalspieler auspfeifen? Immerhin leben wir in einem freien Land und jeder muss wissen was er macht. Irgendwie spiegelt dieser Fall die derzeitige Situation in unserem Land.
Ich wünsche mir, dass die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 wieder zu einem Fest der Freundschaft wird. Ich wünsche mir viele schwarz-rot-goldene Fahnen und einen Schuss sympathischen und gesunden Patriotismus.
Natürlich wünsche ich mir auch das unsere „Elf“ den Titel verteidigt !