Grubenunglück Camphausen – Erinnerungen an den 16. Februar 1986

Ich arbeite in einem Dienstleistungsunternehmen. Wenn ich heute auf meiner Tour bin und durch das Saarland fahre, erblicke ich fast täglich alte Fördertürme, Berghalden, Absinkweiher und ehemaligen Bergarbeitersiedlungen. Unsere Dörfer und Städten sind noch heute geprägt vom Bergbau. Im Saarland befinden sich noch heute der höchste und modernste Förderturm der Welt. Unzählige Bergmannsvereine und der Saar-Knappen Chor zeugen noch heute von den Revieren an der Saar.

Auf meiner Tour durch das südliche Saarland fuhr ich, im Laufe dieser Woche, an dem ehemalige Bergwerk Camphausen entlang. Die imposante Hammerkopfschachtanlage wirkt heute wie ein Mahnmal aus längst vergangenen Tagen. Ich hielt rechts an und blieb eine Zeit lang stehen. Hier auf dieser Anlage, dem Bergwerk Camphausen, habe ich 5 harte Arbeitsjahre verbracht. Mein Blick verharrte auf der alten mächtigen Schachtanlage. Ich erinnerte mich an diese Zeit und an einen schicksalhaften Tag. Ich erinnerte mich an den 16. Februar 1986. Bilder ziehen vorbei und ganz langsam kehren Erinnerungen zurück.

Ein Sprichwort sagt: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Ich kann dieses Zitat nur unterschreiben. Für mich persönlich war die Anlage Camphausen die Hölle!  Nach meiner Ausbildungszeit in der Lehrwerkstatt Fenne, dem Ausbildungszentrum Velsen und dem Lehrrevier Duhamel (Saarschacht) wurde ich während der Lehrzeit, im Januar 1986, nach Camphausen verlegt. In Camphausen herrschten raue Sitten und schlechte Wetter. Die Luftfeuchtigkeit war enorm hoch und es herrschte überall eine hohe Hitze. Es wurde viel Bier konsumiert. Die Tatsache, dass es sich dabei um Schäfer-Bier handelte machte die Sache nicht besser. Es kam nicht selten vor, dass sogar „Unter Tage“ getrunken wurde. Der Umgangston untereinander war katastrophal. Hier wurde nicht miteinander geredet, sondern vielmehr geschrien. Dennoch gab es in Camphausen eine hohe Identifikation der Bergleute mit ihrer Grube. In Camphausen herrschte ein fast familiäres Betriebsklima.

Als ich nach meiner Lehre in die Abteilung 03, „Unter Tage“, in den Streb verlegt wurde, erlebte ich meine schwersten Zeit. Täglich in unerträglicher Hitze auf den Knien durch den Streb hetzen. Ich kann noch heute die Kohle riechen . Der Dreck fraß sich in jede Pore deines Körpers und der Schweiß brannte in den Augen. Wenn die Schrämmaschine gegen die Wetter fuhr sah man die Hand vor den Augen nicht mehr. Es war eine harte Lebensschule. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, diesen Job bis zur Rente zu machen.

Nein. Diese Arbeit kann man nicht bis zum 68. Lebensjahr verrichten. Aus meiner Sicht war es richtig, dass Bergleute früher als andere Arbeitnehmer in den Ruhestand gingen. Natürlich gab es „Unter Tage“ auch schöne Jobs und angenehme Arbeitszeiten. In Camphausen habe ich diese jedoch nicht erlebt.

Unsere Heimat ist auf Kohle entstanden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts arbeiteten rund 50.000 Menschen auf den saarländischen Zechen. Meistens arbeiteten mehrere Generationen einer Familie auf der Grube. Mein Ur-Großvater und mein Vater arbeiteten auch „Unter Tage“. Am Ende war ich 18. Jahre lang Bergmann „Unter Tage“ und es waren bestimmt auch viele schöne Jahre darunter.

Der 16. Februar 1986 war jedoch kein schöner Tag. An diesem Sonntag erschüttern zwei Explosionen den Streb 2-Nord, Flöz 3, achte Sohle, in 1100 Metern Tiefe. Sieben Bergmänner verloren bei dieser Schlagwetterexplosion ihr Leben. Sonntags arbeiteten in der Regel nur wenige Bergleute unter Tage. Nicht auszudenken, wie viele der 1500 auf der Anlage beschäftigten Bergleute an einem Werktag gestorben wären. Hätte es mich auch erwischt?

Ich war an diesem Sonntag 16.Februar 1986 Zuhause. Aus irgendwelchen Gründen hatte ich die Nachricht vom Unglück nicht mitbekommen. Mein Vater arbeitete ebenfalls auf der Grube Camphausen. Wenn wir gemeinsam Schicht hatten, fuhren wir oft gemeinsam mit einem Auto zur Arbeit. In der Regel kam es jedoch selten dazu, während mein Vater nur Frühschicht hatte, musste ich Wechselschicht fahren. An diesem Montagmorgen fuhren wir also ungeachtet des schrecklichen Unglücks zur Anlage Camphausen. Mittlerweile hatten wir längst von dem Unglück erfahren und wurden darüber informiert, dass an diesem Tag ohnehin kein Bergmann einfahren wird. Warum wir dennoch nach Camphausen fuhren kann ich mir heute nicht mehr erklären. Ich weiß noch, dass wir auf der Hinfahrt kaum miteinander redeten. Als wir auf dem Parkplatz der Anlage angekommen waren, stellten wir fest, dass viele Bergarbeitern zur Anlage gekommen waren. Warum eigentlich? War es Neugier? War es Solidarität? Wir standen fassungslos vor der Anlage. Überall waren Absperrungen und irgendjemand sagte ohne vorher gefragt worden zu sein: “Sie haben noch nicht alle Opfer gefunden”.

Bereits im Jahre 1885 starben bei einer Schlagwetter – und Kohlenstaubexplosion 180 Bergleute auf der Grube Camphausen. Die Schlagwetterexplosion vom 16. Februar 1986 bleibt mir bis heute fest in  Erinnerung. Jeder Bergmann der Grube Camphausen kannte zumindest eines der Opfer. Als ich nun wieder vor dem alten Grubengelände stand, glaubte ich mich an eines der Opfer zu erinnern. Wir waren uns nicht besonders gut bekannt. Das machte die Sache jedoch nicht leichter. Das Unglück im Jahre 1986 war zeitgleich der erste Sargnagel für die Anlage Camphausen. Das Bergwerk hatte sich danach nicht mehr erholt. Am 12. November 1990 wurden die letzten Kohlen aus dem Bergwerk Camphausen gefördert. Irgendwie war Camphausen die “Grube der Dirminger”. Viele Männer aus Dirmingen standen auf der Anlage Camphausen in Lohn und Brot. Das endgültige Ende des Saar-Bergbaus wird am 23. Februar 2008 besiegelt. Zuvor kam es im westlichen Saarland zu abbaubedingten Erschütterungen. Das ganzer gipfelt in ein Erdbeben der Stärke 4,5 auf der Richterskala und erschüttert ganz Saarwellingen und die Nachbarorte. Die Proteste der Menschen wurden immer stärker. Ende Juni 2012 wurde die letzte saarländische Kohle aus der Anlage Nordschacht gefördert.

Was ist vom Bergbau geblieben? Gibt es wirklich ein Erbe?

Mir persönlich hat der Beruf des Bergmannes auch viel Gutes gebracht. Ich habe gelernt für meinen Kameraden einzustehen und zu helfen, wenn es nötig scheint. Es war eine harte aber auch gute Schule. Heute bin ich stolz auf diese Erfahrung. Im Jahre 2000 machte ich meine letzte Schichte auf der Anlage Nordschacht. Im Laufe meiner Arbeitszeit, auf den Anlagen Camphausen und Nordschacht, habe ich viele schwere Verletzte und auch Tote erlebt. Dabei blieb mir das Unglück vom 16.Februar 1986 ganz besonders in Erinnerung. Erstmals wurde mir als junger Mann vor Augen geführt, wie schnell das Leben vorbei sein kann.

Die Erinnerung an das Grubenunglück in Camphausen werde ich in meinem Herzen bewahren !

Glück auf !