Liebeserklärung an mein Dorf – Worin liegt der Zauber ?
„Ich drücke mein Gesicht an seine dunkle, warme Rinde und spüre Heimat – und bin so unsäglich dankbar in diesem Augenblick.
Deutsche NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl
Liegt eine Magie oder ein großer Zauber über unserem Dorf? Schwer vorstellbar und kaum zu glauben. Das Dorf besteht aus seinen Hauptadern, der B10 und dem Zusammenfluss der Ill und Alsbach. Die Ortsmitte ist in keinem guten Zustand und benötigt dringend eine Sanierung und Aufwertung. Dirmingen liegt in einem Tal und wird umgeben von einem wahren Grüngürtel. Viel Wald und drei Naherholungsgebiete, worin soll da ein Zauber liegen?
Manchmal stelle ich mir die Frage, was mich in diesem Dorf hält und warum ich so an meiner Heimat hänge. Überall auf dieser Welt gibt es ähnliche Dörfer, von denen manche weitaus attraktiver gebaut wurden. Was gibt es hier schon viel zu sehen? Zwei Kirchen, die unter Einzeldenkmalschutz stehen, von der eine unsere Ortsmitte seit der ersten urkundlichen Erwähnung prägt. Die andere Kirche steht für den Wiederaufbau und den Neuanfang unserer Dorfgemeinschaft. Eigentlich ist mir bis heute nicht so recht klar, warum Dirmingen etwas besonders sein sollte. Dennoch ich komme nicht drum rum, zu sagen, dass ich im schönsten Dorfe der Welt lebe. Am Ende ist es immer Ansichtssache. Manch anderer wird so sein Problem mit meiner Aussage haben.
Vielleicht sind es die Ecken und Straßen, die dich einladen ziellos schlendernd durchzuwandern. Vielleicht sind es die Häuser, die schon seit meiner Kindheit auf ihrem Platz stehen. Vielleicht sind es die paar Kneipen, die dich einladen zu verweilen und mit einem anderen Zeitgenossen ein Glas Bier zu trinken. Vielleicht sind es aber auch die Menschen, von denen ich die meisten seit Kindesbeinen kenne und schätze. Vielleicht ist es aber auch einfach meine Geschichte, meine Kindheit, meine Familie meine Straße. Vielleicht liegt aber doch wirklich ein Zauber über unserem Dorf, den jeder erkennt der sich darauf einlässt.
Früher zog über unsere Straßen der Geruch von Biermaische, man hörte beim Verladen der LKWs das klirren der Flaschen. Dort wo einst unsere „Schäfer Brauerei“ stand gähnt nun ein tiefes leeres Loch. Was war, ist vorbei und längst vergessen. Die ersten Generationen wissen kaum noch, dass in Dirmingen einmal eine Brauerei existierte. Damals war die Brauerei das Herz unseres Dorfes. In manchen Zeiten sogar Lebensquelle. Was wäre aus unserem Dorf geworden, wenn es gerade zu Kriegszeiten nicht die Quelle der Brauerei gegeben hätte.
Vieles hat sich verändert. Natürlich auch die Menschen. Die jungen sind alt geworden und die Alten sind gestorben. Neue Wohngebiete sind entstanden, wenn auch nicht besonders viele. Fremde Menschen sind in unser Dorf gezogen. Gut so und doch ungewohnt. Ganz oft ertappe ich mich dabei die Einheimischen zu suchen. Die Einheimischen, wer ist das? Gibt es noch diejenigen, die schon immer hier lebten. Alles ändert sich. Veränderung ist gut und bringt uns voran. Viele Menschen sind mir, obwohl sie hier im Dorf leben unbekannt. Ich frage mich was hat sie nach Dirmingen getrieben und was gefällt ihnen in einem Dorf, dass ständig auf der Suche nach sich selbst ist. Hier gibt es nicht vieles was dich als Fremder anlocken kann. Warum gerade hier und warum Dirmingen? Hier bin ich Zuhause, zwischen all den verborgenen Ecken und Kanten kenne ich mich ganz genau aus. Hier wollte ich zu Jemanden werden und kam doch nie aus meiner Haut heraus. Wie kann man seiner Heimat entfliehen? Muss man seiner Heimat überhaupt entfliehen? In diesen Straßen wurde ich zu dem, was ich heute bin.
Unser Dorf sucht verzweifelt nach seiner Geschichte und einer Sonderstellung. Was findet man hier, dass man woanders nicht finden kann ? Vielleicht die Jahrzehntelange Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten. Vielleicht das besondere Verhältnis wischen Fußball und Handball? Vielleicht die Geschichte unserer Schulen oder Kindergärten? Vielleicht unser ausgiebiges Waldgebiet mit dem Naturdenkmal „Steinrausche“ und dem Freizeitzentrum Finkenrech ? Vielleicht unser Hang zur Revolte die sich besonders in der Gebietsverwaltungsreform 1974 wiederspiegelte ? Was unterscheidet uns von den Anderen? Unterscheidet uns überhaupt irgendetwas von den anderen Dörfern? Worauf können wir Stolz sein ? Vielmehr darf man überhaupt, in Zeiten von Rassismus und nationalem Denken auf seine Heimat stolz sein ? Was kann ich dafür, dass ich hier geboren wurde ?
Ich behaupte, die Menschen in unserem Dorf sind von einem besonderen Schlag. Wenn wir feiern, dann richtig und mit einem gewissen Blick auf unsere Kultur. Geprägt von den beiden Konfessionen und zwei verschiedenen Ballsportarten suchen wir ständig nach neuen Wegen und Herausforderungen. Pflichtbewusstsein ist wichtig. Dies spiegelt sich z. B in der Organisation unserer Feuerwehr oder unseres Schulwesens. Es ist eine sonderbare Mischung aus gesundem Größenwahn und sturem Skeptizismus. Die Jungs laufen immer noch im Rudel durch unsere Straßen und suchen ihren Weg. Das war früher so und hat sich bis heute nicht geändert. Auf der Suche nach sich selbst oder dem ersten Mädchen machen sie ihre Fehler und sorgen für so manchen Ärger.
Manchmal erkenne ich mich in diesen Jungs wieder. Auf der Suche nach meiner eigenen Persönlichkeit lief ich blindlinks an den Anderen vorbei und habe bestimmt auch so Manchem vor ’s Bein getreten. In der Jugend steckt unsere Zukunft. Die Jungen werden alt und die Alten werden uns irgendwann verlassen. Das ist der Kreislauf der Zeit. Vielleicht ist das der eigentliche Zauber oder die Magie, die über unserm Dorf liegt? Wenn es so wäre, würde dieser Zauber aber nicht nur über unserem Dorf liegen.
Manchmal fahre ich mit meinem Roller über unsere Straßen und Feldwege. Ich setzte mich auf eine Bank, auf dem Belker, und blicke über unser Dorf. Wenn die Sonne dann über unserem Dorf untergeht und unsere beiden Kirchen ruhig ihren Abendsegen auf unsere Heimat legen beschleicht mich ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit. Genau in diesem Moment kann ich den Zauber erkennen. Stimmt, über unserem Dorf liegt doch eine gewisse Magie. In diesen Augenblicken kann ich es spüren. Ich gelange, in diesem Moment, zu der Erkenntnis, dass wir alle an diesem Ort aufstehen, gehen, fallen und laufen gelernt haben. Hier haben wir sprechen, flüstern und schreien gelernt. Hier sind wir zudem geworden was wir wirklich sind. Wir sind gescheitert und hatten unsere ersten Erfolge. Dies gilt für die Alten und auch für unsere neuen Mitbürger. Heimat ist Zuhause und Zuhause ist dort, wo man sich wohlfühlt und wo die eigene Familie lebt. Letztlich ist es das Leben, dass einen gewissen Zauber, eine Magie versprüht. Letztlich ist es das was Wir daraus machen…..
Heimat, Zuhause, „Dehemm“, dass alles liegt in uns selbst. Tief drin.…..
Ist das nicht ein „echta“ wunderbarer Zauber ?
Auf meinen Wegen durch die Welt bin ich immer wieder Saarländern begegnet. Viele davon hat es – aus welchen Gründen auch immer – fern ihrer Heimat verschlagen. Alle habe ich bei meinen Begegnungen letztendlich an ihrer Sprache erkannt. Auch wenn es sehr unterschiedliche saarländische Dialekte waren. Bei den Gesprächen mit den Aus- oder Abgewanderten kam immer wieder eine unerfüllte Sehnsucht nach ihren Wurzeln und ihrer Heimat zutage. Oft war dies gemischt mit dem Bedauern nicht zu den glücklichen Saarländern zu gehören, die das Glück hatten dehemm in ihrer Umgebung zu bleiben. Mir geht es genau so. Heimaten hab ich viele suchen müssen. Dehemm in diesen Heimaten war ich jedoch nicht wirklich.
Saarländer lieben die Vertrautheit, ihren Dialekt, das Kulinarische und offenbar auch, ihr Licht gelegentlich unter den Scheffel zu stellen. Gerhard Ames, Direktor des Historischen Museums in Saarbrücken, fügt den Merkmalen ein weiteres hinzu: das „Wir-Gefühl“. Wie ein Scharnier verbinde es dabei alle anderen genannten Charakteristika. So ist es.
Die Milchstraße, das Sternenband meiner Jugendzeit ist nicht mehr zu erkennen. Es ist ein Symptom dafür, wie wir uns im Laufe eines Lebens von den Ursprüngen unseres Lebens immer weiter entfernen um sie erst ganz zum Schluss doch wieder zu suchen. Erst sehr viel später, wenn der Druck langsam aus dem Kessel des Lebens entweicht, haben wir die Zeit zurückzuschauen und uns zu erinnern.