100 Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges – Erinnerungen aus der Heimat bewahren !
„Es war 3 Uhr, die Pause hatte begonnen, die Kinder spielten auf dem Schulhof und wir spazierten auf der Straße vor dem Schulhaus. Da kam Frau Heintz von der Post, ganz niedergeschlagen und sagte mit bewegter Stimme: Es gibt doch Krieg! Eben ist’s gekommen: Ich soll den Geheimbrief öffnen und bin doch allein. Ich habe so Angst. Mein Mann ist draußen im Kornfeld. Wollen Sie ihn nicht rufen lassen?“
(Schulchronik evangelische Volksschule Dirmingen, 31.Juli 1914)
Bis um 20 Uhr dauerte es, bis die offizielle Erklärung des Kriegszustandes öffentlich bekannt gemacht wurde. In unserem Dorf erhielten unmittelbar nach der Erklärung des Krieges etwa 20 Reserve- und Landwehrleute ihren Gestellungsbefehl. Die Eisenbahnlinien und alle Straßen wurden umgehend sorgfältig bewacht.
„ Da besonders aus der Saargegend die ungeheuerlichsten Gerüchte über französisches Spionagewesen kamen, verdächtigte Individuen auch an Wasserwerken gesehen wurden, also die Möglichkeit von Wasservergiftung vorlag, so wurde vom 2.August an der Wasserbehälter auf dem Kirchberg Tag und Nacht durch Dirminger Einwohner, die sich gegenseitig ablösten und mit Gewehren des Schützen- und Kriegervereins bewaffnet waren, bewacht. (Schulchronik evangelische Volksschule, 31.Juli 1914)
Ab dem 03.August wurde die Bahnstrecke Wemmetsweiler-Primsweiler militärisch bewacht. Auf der Dirminger Strecke versah diesen Dienst ein aus 9 Landsturmleuten gebildetes Kommando. Der Wachhabende war Unteroffizier Molter aus Dirmingen. Als Wachstube wurde damals der Wartesaal der 2.Klasse im Bahnhofsgebäude genutzt. Das Wachkommando wurde bereits Ende November wieder aufgelöst. Außerdem wurden am 03.August 1914 Straßenwachen ausgeübt. In Höhe der Schäfer-Brauerei war aus Wagen und Ackergeräten eine Straßensperre eingerichtet worden. Alle durchfahrenden Verkehrsteilnehmer durften erst gegen Vorzeigen des Ausweises passieren. Die Schule wurde bereits am 02.August wegen des Kriegszustandes geschlossen. Die Schulkinder wurden damals aufgefordert, den Eltern bei der Erntearbeit zu helfen. Der Unterricht wurde erst wieder am 27.August 1914 aufgenommen. Alle im Dorf befindlichen Pferde und Wagen wurden gemustert und vom Staat gekauft.
Es war tatsächlich geschehen: Der 1.Weltkrieg war ausgebrochen.
Der damals erst 12-jährige bekannte Saarbrücker Film- und Theaterregisseur Max Ophüls berichtete:“ „Wir freuten uns. Es gab einen Tag schulfrei. Alle Einwohner kamen sich wichtig vor. Die Stadt wurde im Aufmarsch gegen Frankreich das Hauptquartier der kronprinzlichen Armee. Wir Schüler liefen alle auf die Bahnhofsstraße. Der Beginn des Weltkriegs erschien uns überhaupt wie eine Serie von galanten Abenteuern des Kronprinzen, der von einer unermütlichen Potenz behaftet schien.“
( Max Ophüls -Saarländischer Regisseur)
Viele Saarländer wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was auf sie zukommen würde. Der Erste Weltkrieg war der erste industriell geführte Massenkrieg in der Geschichte der Menschheit. Am Ende befanden sich drei Viertel der Weltbevölkerung im Kriegszustand – mehr als 17 Millionen Menschen starben. Auch im Saarland und somit auch in unserem Dorf hat dieser Krieg seine Spuren hinterlassen.
Alles begann am 28.Juni 1914 mit der Ermordung des österreichische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo. Anschließend überschlugen sich die Ereignisse und wenige Wochen später befand sich Deutschland im Kriegszustand. Unser Saarland existierte bis dahin nicht als politische Einheit. Manche Teile gehörten zu Preußen, andere wiederum zu Bayern und Oldenburg. Das Saarland wurde erst mit dem Vertrag von Versailles als das „Saargebiet“ geschaffen. Auf dem Gebiet des heutigen Saarlandes waren die Auswirkungen des Kriegsgeschehens an der Westfront in den Jahren 1914–1918 wie in keiner anderen deutschsprachigen Region spürbar. Durch die unmittelbare Nähe zu Frankreich traten die Kriegsbegeisterung und Ablehnung besonders stark zu Tage. Mit dem Bergbau kam dem heutigen Saarland gemeinsam mit dem Ruhrgebiet eine Schlüsselfunktion in den zu Stellungskriegen stagnierten Materialschlachten zu. Die Saargegend war während des gesamten Ersten Weltkrieges als Durchmarschregion bekannt. Überall entstanden Lazarette, Lager und Notunterkünfte. Gleich zu Beginn kam, wie bereits erwähnt, der zivile Eisenbahnverkehr zum Erliegen und blieb während des gesamten Krieges stark eingeschränkt. In der Folge mussten wegen des Koks- und Erzmangels die Hütten vorübergehend ihren Betrieb einstellen. Auch die Steinkohlenförderung ging stark zurück. Im Saarland waren mehr Männer eingezogen als vergleichbar im übrigen Deutschland. Die Arbeitsplätze wurden durch ältere und jugendliche Männer ersetzen. In vorher nie gekanntem Ausmaß mussten auch Frauen Schwerarbeit verrichten. Im Laufe des Krieges wurden tausende von russischen Kriegsgefangenen zur Zwangsarbeit verpflichtet. Im Sommer des Jahres 1915 war das gesamte Industrierevier an der Saar Ziel von Luftangriffen. Obwohl die Zahl der Opfer und Schäden zunächst eher gering blieb, zeigte der Krieg zeigte plötzlich ein völlig neues Gesicht.
Der Erste Weltkrieg veränderte das Leben der Soldaten ebenso wie das der Zivilbevölkerung in der Heimat. Gerade für Frauen steigerte sich die Doppelbelastung durch Haushalt, Familie sowie durch ihre immer stärkere Erwerbstätigkeit. Der tägliche Überlebenskampf gegen die miserable Lebensmittelversorgung hinterließ in der Bevölkerung ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber allen staatlichen Instanzen. Auch das Leben Zuhause war für alle Beteiligten geprägt von Entbehrung und Verlust.
„Mama warum hast du mich zur Welt gebracht? Warum muss ich solches miterleben?
( Verdun 1916: Feldpost ungekannter Soldat)
Am 21.Februar 1916 begann mit der Schlacht von Verdun das wohl grausamste und verheerendste Kapitel dieses völlig unsinnigen Weltkrieges. Bekanntlich waren auch Männer aus Dirmingen an dieser Schlacht beteiligt. Rund 300 Tage und Nächte lang lieferten sich französische und deutsche Soldaten erbitterte Grabenkämpfe in Verdun. Nach Schätzungen sollen fast 320.000 von ihnen im Kugelhagel gefallen oder für immer verschwunden sein.Die genaue Opferzahl lässt sich bis heute nicht ermitteln. Zahlreiche Dörfer wurden im Zuge der Schlacht vollständig evakuiert und zerstört. Heute erinnern nur noch Schilder und Einträge auf Karten an diese einst lebendigen Dörfer. Während der Schlacht um Verdun wurden 9 Dörfer von der Karte ausradiert. Als Dorfkind kann ich mir sehr gut vorstellen, was es für die Bewohner der betreffenden zerstörten Ortschaften, um Verdun, bedeutete ihre Heimat zu verlieren. Die eigene Zuhause wurde einfach als Schlachtfeld verwendet, zerstört und der Vergessenheit überlassen. Wenn ich mir darüber so meine Gedanken mache, erweckt in mir eine tiefe Traurigkeit.
„Meine lieben Eltern, ich liege auf dem Schlachtfeld mit einer Kugel im Bauch. Ich glaube ich bin dabei zu sterben“.
( Verdun 1917: Feldpost des jungen deutschen Soldaten Johannes Haas)
Wie mag das damals in den saarländischen Dörfern gewesen sein? Wie haben die Menschen in der Heimat auf die Nachrichten der Soldaten an der Front reagiert ? Das Saarland war schon damals sehr von der Landwirtschaft, Kohle und Stahl geprägt. Die Bergmannsbauern bestellten ihr Feld und gingen daneben zur Schicht ins nächste Bergwerk. Während viele Männer in den Krieg zogen, mussten viele Frauen allein zurecht kommen und die Kinder ohne Vater erziehen. Auch meine Ur-Großmutter musste meine Oma und ihre 6 Geschwister alleine aufziehen.
Mein Ur-Großvater Johann Georg Wagner war einer dieser Bergmannsbauern. Nach seinem Gestellungsbefehl wurde er an der Ostfront eingesetzt. Wahrscheinlich war er im Jahr 1917 an der deutschen Unterstützungsoffensive der revolutionären Bolschewiki beteiligt. Die Offensive wirkte sich entscheidend auf den Kriegsverlauf an der Ostfront aus. Die revolutionären Bolschewiki konnten in der Oktoberrevolution von 1917 die Macht in Russland übernehmen. Meinem Großvater hat das alles nichts genützt. Mein Ur-Opa fiel am 08.09.1917 in Russland und hinterließ 7 Kinder und seine Ehefrau. Meine Oma war damals erst 5 Jahre alt und musste als Halbweise aufwachsen. Mein Ur-Opa ist natürlich kein Einzelfall. Vielerorts starben Väter, Ehemänner und Kinder bei den verschiedenen Kampfhandlungen auf den vielen Schlachtfeldern. Dies war der erste Krieg in dem der Mensch als Material angesehen wurde. Der Mensch war nichts mehr als ein geringer Teil der brutalen Maschinerie dieses fürchterlichen Krieges. Verdun steht noch heute als eines der blutigsten Kapitel des Ersten Weltkriegs. Tausende Soldaten ließen im Kampf um wenige hundert Meter Boden ihr Leben. Bis heute ist das sinnlose Massensterben an den beiden Fronten des Schlachtfeldes von Verdun ein Symbol für das menschenverachtende Gesicht des Ersten Weltkrieges.
Am 11.November 1918 endete der 1.Weltkrieg. Am Ende verloren etwa 17 Millionen Menschen durch diesen Krieg ihr Leben. Auch in Dirmingen musste man von 55 Männern Abschied nehmen. Das jüngste Opfer unseres Heimatortes war gerade einmal 19 Jahre alt.
In der Zeit vom 16. bis 23. November kam eine Flut von zurückmarschierenden deutschen Truppen durch das Saarland. Auch in unser Dorf kamen die Soldaten völlig entkräftet und suchten Unterkunft für Mann und Pferde. Alle öffentlichen Gebäude und natürlich auch alle privaten Häuser und Stallungen wurden belegt. Gegen Ende des Krieges verzichtete die Bevölkerung zugunsten der Soldaten an der Front immer mehr auf ihre Lebensmittel. Von daher kamen die flüchtenden Soldaten mit genügend Verpflegung in unserem Dorf an. Die Soldaten hausten im geräumten Schulsaal, in der Kirche und im Pfarrhaus. Oftmals blieben die zurückmarschierenden Soldaten nicht lange an einem Ort.
Anfang Dezember, kamen die ersten französischen Truppen auch in Dirmingen an. Es gab keinerlei Zwischenfälle. Die Bevölkerung war froh, dass dieser Krieg endlich vorbei war. Für viele Dorfbewohner war der erste Weltkrieg ein Albtraum, aus dem es scheinbar kein Erwachen gab. Die französische Trikolore wurde auch in unserem Dorf gehisst und flatterte fortan an der Straße. Die Bevölkerung verhielt sich gegenüber den Siegermächten zurückhaltend. Die französischen Soldaten benahmen sich jedoch gut und behandelten die Menschen respektvoll. Die Franzosen hielten sich nicht lange in unserem Dorf auf und zogen bereits am nächsten Tag weiter. Den Siegermächten ging es darum, ihre Machtposition unter Beweis zu stellen. Der französische Marsch durch unser Land verlief in aller Ruhe.
Am Sonntag,11.November 2018 jährt sich das Ende des 1.Weltkrieges also zum 100male. Das ist die Zeit um nachzudenken und den Vergessenen zu Gedenken.
Jeder von uns hat in den beiden Weltkriegen Menschen verloren. Wir alle sollten dafür Sorge tragen, dass es einen solchen menschenverachtenden Krieg nie wieder gibt !