Von fehlenden Straßenfußballern und der verlorenen Bolzplatz-Mentalität

Kennt ihr noch „Hoch-Hebches“, „Hoch-Ball“, Elfmeterkönig, Vollykönig oder Luftkönig?

Diese uralten Kinderspiele haben viele Namen und waren früher in ganz Deutschland weit verbreitet. Dabei müssen die teilnehmenden Spieler versuchen, aus der Luft, Tore zu erzielen. Wichtig ist, dass der Ball volley oder per Kopf im Tor untergebracht wird. Für jeden Treffer wird dem Torwart ein Punkt abgezogen. Sollte ein angreifender Spieler über oder neben das Tor schießen, muss er selbst zwischen die Pfosten. Wer keine Punkte mehr hat, scheidet aus oder hat verloren.

In meiner Kinder- und Jugendzeit waren wir eigentlich täglich auf dem Bolzplatz oder auf einer Wiese um Fußball zu spielen. Notfalls wurde auf der Straße gekickt, wobei das Garagentor als Tor diente. Natürlich ist dies heute nicht mehr so leicht möglich. Der Straßenverkehr hat in den letzten Jahren stark zugenommen und auch der Umgang der Nachbarschaft untereinander ist nicht mehr so ganz entspannt wie früher.

Seit vielen Jahren tingele ich über die Sportplätze unseres Landes und war dabei Jahrzehnte als Trainer und Betreuer für meinen Heimatverein den SV Dirmingen tätig. In meiner heutigen Position als Kreisjugendleiter des Nordsaarkreises bemängele ich seit vielen Jahren eine negative Entwicklung: Der Straßenfußballer stirbt aus! Ich kann mit fug und recht behaupten, dass ich in Sachen Fußball viel unterwegs bin und mir eine Meinung bilden kann. Nirgendwo finde ich mehr Kinder, die auf der Straße, der Wiese oder einem Bolzplatz toben und spielen. Natürlich hat sich auch hier der Zeitgeist verändert. Randsportarten sind stärker geworden und nicht jedes Kind möchte mehr ausschließlich Fußball spielen. Obwohl der Fußball immer noch die beliebteste Sportart unseres Landes ist, schwächelt es an vielen Ecken und Kanten. Das Problem wurde schon vor Jahren erkannt wobei der DFB und seine Landesverbände schon damals versuchten mit gebauten und gesponserten Kleinspielfeldern dem Problem entgegenzuwirken. Aus meiner Sicht war dies damals nicht der richtige Ansatz. Straßenfußball muss von den Kindern selbst kommen und sollte wenn möglich an ureigenen Orten, auf nicht vorgeschriebenen Plätzen stattfinden. Zugegeben, der öffentliche Raum schrumpft, Bolzplätze müssen Wohngebieten weichen und viele Wiesen dürfen heute nicht mehr so einfach bespielt werden.

Straßenfußball bedeutet Miteinander! In der Regel treffen sich ein paar Leute zum Spielen oder einfach nur zum Bolzen. Irgendwie ist man auf jeden Spieler angewiesen und begegnet jedem mit Respekt. Fairness spielt eine gewichtige Rolle. Schiedsrichter oder Trainer gibt es nicht und werden auch nicht gebraucht. Die Spieler bestimmen also über sämtliche Elemente der Spielform selbst. Dabei lernen die Kinder schon früh, dass Rücksicht auf den Einzelnen genommen werden muss und in Zweifelsfällen immer die Mehrheit und niemals eine einzelne Person entscheidet. Straßenfußball zeichnet sich durch viele Faktoren aus, die es im normalen Fußball nicht gibt. In erster Linie geht es darum, sich mit besonders feiner Technik von den Gegenspielern abzuheben, ohne dabei jemals unfair zu sein. Jeder muss einmal ins Tor oder in die Abwehr und zum Tore schießen nach vorn. Die Kinder lernen spielend Positionen anzunehmen und Instinkte zu entwickeln.

Ich persönlich trauere dem Straßenfußball nach! Natürlich gibt es heute viel besser Trainingsformen als zu meiner Jugendzeit. Der DFB hat in den letzten Jahren diesbezüglich gute Arbeit geleistet und gern auch mal über den Tellerrand gespitzt. Die Jugendarbeit im DFB und seinen Landesverbänden befindet sich auf hohem Niveau. Um jedoch an die großen Erfolge unserer A- Nationalmannschaft anzuknüpfen, müssen ständig neue Wege aufgezeigt werden. Stillstand ist der Tod! Die Konkurrenz schläft nicht und bestraft jeden Fehler.

Wo findet man heute noch Straßenfußballer? Gibt es diese noch und wo treiben sie sich rum? Man kann es natürlich nicht erzwingen. Es ist sicherlich auch nicht damit getan, einfach ein paar Kids zusammenzutrommeln und sie auf irgendeine Wiese zum bolzen zu schicken. Das wäre zu einfach! Heute gibt es „coolere Dinge“ als auf dem Bolzplatz rumzutoben. Wir leben im Zeitalter der Modernen Technik. Anstatt dem runden Leder selbst nachzujagen spielen die Kids lieber „EA-FIFA-Games“ oder andere Spiele auf der Playstation. Wir haben ohnehin das Problem, dass die Kinder lieber drinnen bleiben und nicht mehr draußen spielen möchten.

Der Druck auf die Kinder- und Jugendspieler ist heute enorm. Dafür tragen wir alle die Verantwortung. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass ein Kind noch Kind sein darf. Der Anspruch an die Kinder und der tägliche Druck in der Schule und in der Freizeit dient nicht gerade der Sache. Schule und Hobby in Einklang zu bringen ist eine große Aufgabe. Auch der DFB und seine Landesverbände steht hier in der Verantwortung.

Wenn man sich den Wochenplan eines talentierten Jugendspielers anschaut muss man schlucken. Schule, Hausaufgaben, Sichtungstraining, Vereinstraining, Fördermaßnahmen und am Wochenende Punktspiele. Muten wir unseren Kindern nicht Zuviel zu? Wo bleibt da noch Zeit für Freunde oder im besten Fall für sich selbst? Dient der vorhandene Druck überhaupt der Förderung unserer Talente und wann findet ein Kind noch Zeit, auf der nächsten Wiese, mit den Freunden zu „Fubben“?

Fakt ist: Straßenfußball und insbesondere Spiele wie z.B Luftkönig oder Elfmeterschießen fördern die Technik und das Talent eines Fußballers. Die Kinder lernen mit schlechten Bedingungen wie z.B unebene Spielfelder oder hohes Gras umzugehen. Not macht erfinderisch und fördert in diesem Fall den Umgang mit dem Sport. Wenn ich daran denke, dass wir früher auf den Straßen den Berg hinauf zum Tor stürmen mussten, bin ich heute schon etwas stolz. Oftmals hatten wir noch nicht mal einen guten Ball und waren schon zufrieden, wenn das Ding genügend Luft hatte.

Wobei wir nun bei dem Thema Anspruch und Wirklichkeit sind. Ich finde wir alle haben unsere Kinder -und Jugendspieler schon etwas verwöhnt. Das Selbstvertrauen der Kinder und Jugendlichen ist enorm. Der Stolz der Eltern kann der Entwicklung des Kindes ebenfalls im Wege stehen. Nicht jeder kann mit dem Fußball sein Geld verdienen. Es kann nicht nur Top-Talente geben! Um unseren Fußball zukünftig wöchentlich anzubieten benötigen wir nicht nur Klasse sondern auch Masse. Jeder ist wichtig und hilft dem großen Ganzen auf seine ureigene Art und Weise. Meistens sind es diejenigen, die mit weniger Talent behaftet waren und später zu Vorsitzenden oder guten Funktionären wurden. Das Ehrenamt hat oberste Priorität. Wir brauchen Jugendbetreuer, Platzwarte, Schiedsrichter u.s.w. Die Suche nach dem perfekten Verein mit den besten Voraussetzungen für das eigene Kind wird zur Hetzjagd. Voreilige Vereinswechsel, Zusatzeinheiten oder Meldungen auf Fußballschulen erhöhen den Druck auf das Kind und sind nicht immer dienlich. Aus meiner Sicht ist es ein Unding, dass es heute Kinder gibt, die bis zur D-Jugend schon mehr Vereinswechsel hinter sich gebracht haben als andere in ihrem ganzen Leben. Ist das noch kindgerecht? Fördern wir noch das Talent des Kindes oder das eigene Ego ?

Freunde, dass ist nicht der richtige Weg! Kinder brauchen Zeit zur eigenen Entfaltung. Wenn wir unseren Kindern wieder mehr Freiräume geben, funktioniert es auch wieder mit dem Straßenfußball. Wetten …?

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