Als der große Regen kam -Von Erinnerungen, Hoffnungen und Prävention
Samstag, 04.Juni 2016:
Unsere AH der SG Dirmingen/Berschweiler bestreitete auf dem AH Sportfest in Wiesbach ein Fußballspiel. Nach Abpfiff genossen die Spieler ihren verdienten Gerstensaft. Regen kam auf und wir bestellten genüsslich unseren zweiten Kasten Bier. Plötzlich die Nachricht von einem Feuerwehreinsatz in Dirmingen. Besorgte Mitspieler schnappten nach ihre Sporttaschen und fuhren schnellstmöglich Nachhause. Als ich etwas später Zuhause ankam und mir die Schäden dieses ersten Unwetters bewusst wurden, konnte ich noch nicht ahnen, dass dies nur der Beginn einer verhängnisvollen Woche sein würde.
Dienstag,07.Juni 2019 (15:45):
Seit geraumer Zeit spiele ich mit dem Gedanken ein Buch über meinen Heimatort zu schreiben. Nur was soll drinstehen? Eigentlich gibt es doch schon genügend Lesematerial über meinen Heimatort. Ich sitze also an meinem Rechner und tippe erste belanglose Zeilen in mein aufgeschlagenes Word-Dokument. Es läuft nicht, ich finde keine Worte und weiß nicht was ich schreiben soll. Durch mein Fenster kann ich sehr gut beobachten, dass sich der Himmel immer mehr zuzieht. Ich denke mir nichts dabei und mache mich wieder an mein Werk. Als der Regen einsetzt öffne ich die Fenster, um etwas frische Luft einzulassen. Ich blicke nach draußen auf die Straße und wundere mich über diese massive Regenflut. Irgendwas war anders als zuvor. Irgendwie schien der Regen härter, schneller und stärker als sonst zu sein. Es goss Bindfäden. Schon sehr bald stieg das Wasser vor der Mauer meines Anwesens. Eine regelrechte Wasserflut strömte den Belker hinunter. Als ich erneut aus dem Fenster blickte sah ich, dass meine blaue Papiertonne sich verabschiedete und von den Wassermassen weggeschwemmt wurde. Das Wasser stieg in sekundenschnelle immer höher hingegen bei mir Sorge wuchs, ob mein Garagentor noch lange standhalten kann. Ich rief meine beiden Stiefsöhne zur Hilfe. Im Keller hatten wir allerhand damit zu tun, die Wassermassen recht zügig rauszukehren. Die Sirene ertönte und die Feuerwehr rückte zu ihren ersten Einsätzen heraus. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch kein Feuerwehrmann damit rechnen, dass aus einem ersten Ausrücken ein Dauereinsatz wurde. Als die Sintflut endete beschloss ich mir ein Bild von der Lage zu machen. Immerhin musste ich ja noch meine Papiertonne einsammeln gehen. Ich ging also in Richtung Borrwieshalle und traute meinen Augen nicht. Ein breiter, reißender Wasserstrom ergoss sich über die Urexweilerstraße hinab in Richtung Alsbach. Überall Wasser, Geröll und verzweifelte Gesichter. Ein Bekannter kam mir kopfschüttelnd entgegen und teilte mit, dass in der Dorfmitte alles noch viel schlimmer wäre. Ich machte mich auf in Richtung Ortsmitte, um mir selbst einen genauen Überblick zu verschaffen. Unbeschreiblich! Soweit das Auge blickte Geröll, Dreck und Wasser. Die Feuerwehr hatte alle Hände voll zu tun und konnte gar nicht allen Einsätzen zeitgleich gerecht werden. Längst waren Hilfskräfte aus den Nachbargemeinden angefordert. Im Dorf traf ich auf unseren Ortsvorsteher Manfred Klein. Gemeinsam liefen wir durch die Straßen und halfen dort wo wir helfen konnten. Dies war keine große Heldentat. Irgendwie war jeder Dirminger an diesem Abend unterwegs, um zu helfen. Eine große Solidaritätswelle erfasste nach der Sintflut unser Dörfchen. Natürlich waren wir alle von den Starkregenereignissen geschockt. Dennoch erlebten wir gerade in diesen Tagen ein besonderes Miteinander und ein unbeschreibliches Zusammengehörigkeitsgefühl. Überall wurde geschippt, gekehrt, gespült oder Gegenstände in Sicherheit gebracht. Fremde boten Fremden Hilfe an und nahmen sich Urlaub um zu Helfen. Kinder und Jugendliche wanderten mit Schippe und Besen bewaffnet durch das Dorf und arbeiteten rund um die Uhr. Als ich spät abends Nachhause kam und ins Bett fiel, konnte ich mich nur sehr schwer von den Ereignissen und den Eindrücken befreien. Ich beschloss am nächsten Tag nicht zur Arbeit zugehen und lieber im Dorf den Menschen zu helfen.
So weit meine persönlichen Erinnerungen von den Starkregenereignissen 2016. Bestimmt hat jeder Dirminger in diesen Tagen ähnliche Erfahrungen gesammelt. Noch heute, drei Jahre nach dem Naturereignis, wird mir mulmig, wenn die Wettervorhersage Starkregen voraussagt. Die Gewitter und der Starkregen hatten unverhofft zugeschlagen. Unser Heimatort Dirmingen wurde, neben Berschweiler und Wustweiler, am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Zum zweiten Mal binnen vier Tagen von einer verheerenden Schlamm-Wasser-Lawine getroffen zu werden war echt hart und für viele ein einschneidendes Erlebnis. Mit einer solchen Unwetterkatastrophe hatte in Dirmingen niemand gerechnet. Fünf Häuser in der Thalexweilerstrasse wurden als einsturz gefährdet eingestuft. Die 16 Bewohner wurden evakuiert und mussten ihre Häuser verlassen. Unterstützung gab es beispielsweise von Baufirmen, die ihr Gerät und Personal zur Verfügung stellten, um die Geröll- und Schlammmassen zu beseitigen. Bis zum späten Abend wurden zahlreiche Container mit Schlamm, Geröll und Gegenständen abtransportiert. Vielleicht liegt darin der größte Verdienst unseres Ortsvorstehers Manfred Klein. Ohne viel nachzufragen und auf Kostenrechnungen zu warten bestellte unser Ortsvorsteher einfach in Eigeninitiative die dringend notwendigen Container. Die Initiative unseres Ortsvorstehers war richtig und nachvollziehbar wobei mir bis heute nicht klar ist ob viele Mitbürger von diesem couragierten Alleingang wissen. Sei’s drum die Gemeindeverwaltung musste nicht lange überzeugt werden und übernahm die Kosten. Überhaupt muss man an dieser Stelle lobenswert erwähnen, dass auch die Verwaltung und der Bauhof ganze Arbeit leisteten.
Nach der ersten Bestandsaufnahme stellten die Behörden fest, dass ca.150 Häuser direkt von dem Unwetter betroffen oder beschädigt waren. Der Ortsrat wurde damit beauftragt die vorliegenden Spendengelder fair und gleichmäßig bei den Hilfsbedürftigen zu verteilen. Ich gehörte damals auch zu diesem Gremium. Wir haben uns diese Aufgabe nicht leicht gemacht und jede Entscheidung reiflich überlegt. Ich denke am Ende ist uns die Vereitlung der Spendengelder ganz gut gelungen.
Das Unwetter am 7.6.2016 hat die damals schon vorhandenen überalterte Hochwasserschutzeinrichtungen auf dem Belker stark beschädigt. Die Dämme des alten Speicherbeckens wurden überspült und die Überlaufrinne weggerissen. Inzwischen wurde das Speicherbecken ausgebaggert und das Speichervolumen deutlich vergrößert. Im Einlaufbereich des Beckens sorgt nun eine Schlamm- und Geröllbarriere dafür, dass zukünftig das Speichervolumen des Beckens bei einem Unwetter sicher erhalten bleibt. Seitdem Unwetter wurde viel in Dirmingen investiert. Das war gut, wichtig und richtig! Im August 2017 wurde eine Starkregenstudie, die sich mit dem Thema Starkregen und Sturzflut befasst, in Auftrag gegeben. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse wurden in Präventive Maßnahmen umgesetzt.
Selbst den größten Kritikern dürfte aufgefallen sein, dass in den letzten Jahren viel in Präventivmaßnahmen investiert wurden. Das Projekt „Letschbach“ wurde umgesetzt und auch das Speicherbecken am Belker und die Ablaufmöglichkeiten in der Urexweilerstrasse wurden inzwischen fertiggestellt. Weitere Arbeiten wie. Z.B neben dem Dirminger Friedhof werden folgen und sorgen für ein besseres Sicherheitsgefühl bei den Menschen. Alles gut? Nicht ganz! Selbst die besten Präventivmaßnahmen können den Menschen nicht die Angst vor einem erneuten Starkregenereignis nehmen. Wer in seinem Leben schonmal eine solche Sintflut erlebt hat und dadurch fast sein Gut und Haben verloren hat, wird bei einem Unwetter immer in Angst geraten.
Was bleibt also vom 04. oder 07.Juni 2016? Bestimmt überwiegt die Erinnerung an einen schicksalhaften Tag mit viel Leid und Elend. Auf der anderen Seite bleibt jedoch die Erinnerung an große Solidarität, ein großartiges Zusammengehörigkeitsgefühl und ein herausragendes Miteinander. Heute, so glaube ich, waren sich alle Dirmingerinnen und Dirminger selten so nah wie damals nach den Starkregenereignissen im Jahre 2016. Ich persönlich verbinde mit dem der Unwetterkatastrophe aus dem Jahre 2016 noch eine andere Besonderheit. Unter dem Einfluss größter Solidarität und Hilfsbereitschaft begann ich tatsächlich ein Buch zu schreiben. Wann das Werk fertig wird? Das steht in den Sternen. Gut Ding brauch Weile!
Wie immer ein toller Bericht. MIr bleibt in Erinnerung die Hilfsbereitschaft der Nachbarn. Die Hilfesbereitschaft von Fremden die spontan herbei kamen. Die Hilfsbereitschaft meiner Familie und meiner Verwandten, meiner Freund und die Freunde meiner KInder, Kollegen vom Theater, nicht nur beim Schlamm schippen, auch teilweise durch spätere Finanzielle unterstützung und Tatkräftiges anpacken beim renovieren. Ich habe für unser Haus mittlerweile einen Hochwasserschutz einbauen lassen. Er garantiert keine 100 % Schutz, aber zumindest brauche ich nicht in ständiger Angst zu leben, wenn der Schutz dran ist, das die Wohnung meiner Mutter wieder so zugerichtet wird wie 2016. Trotzdem ist bei jedem Starkregen Bauchweh angesagt, Unruhiger Schlaf und ständiges Aufstehen in der Nacht, um zu schauen, wie weit das Wasser im Bach schon gestiegen ist.
Ich wünsche uns allen, das wir so etwas nicht mehr erleben müssen. Und nicht nur uns im Derminga Dörfche