Meine Gedanken zum Barbaratag – Mehr Solidarität und Miteinander könnte nicht schaden !

Frühschicht. Es ist kurz vor Schichtbeginn um 6:00 Uhr. Im Zechensaal herrscht reges Treiben. Jeder steht am Schalter seiner Abteilung und erhält von seinem Steiger seine Anweisungen. Plötzlich läutet die Glocke. Jeder Bergmann zieht den Helm vom Kopf und schweigt auf der Stelle. Absolute Ruhe. Jeder geht in sich und sammelt seine Gedanken. Der eine oder andere wird vielleicht auch ein Gebet zum Himmel gesendet haben. Vielleicht dieses Gebet:

Wir richten, eh’ wir niederfahren, Den Blick, o Gott empor zu dir.O woll uns, Herr, getreu bewahren, Laß wiederkehren uns nach hier. Schließ auf den Stollen Deiner Liebe, Den finsteren Schacht, in dem wir bauen. Schirm uns vor Ort und im Betriebe, Laß fromm und treu uns Dir vertrauen. Herr, segne Streben, Schacht und Stollen, Bewahr uns vor Flut und Brand.Herr, dem wir treu gehören wollen,Du hast die Welt in Deiner Hand.

Ein anderer wird vielleicht die heilige Barbara um ihren Schutz gebeten haben. Die Gedanken sind frei. Dann ertönt der bekannte Bergmannsgruß: Glück auf! Alle Bergleute erwidern: „Glück auf“ und setzen ihren Helm wieder auf. Das Gespräch scheint genau an der Stelle wieder ein zusetzen, an der es beendet wurde.

Vielleicht war es die enge Verbundenheit und die Treue zur heimischen Kohle, dem Saarbergbau und auch zu ihrer Schutzpatronin der heiligen St. Barbara die den Berufsstand des Bergmanns so besonders machte. Fast 20 Jahre durfte ich den Beruf des Bergmanns unter Tage ausüben. Heute bin ich sehr stolz darauf ein Teil dieser Geschichte gewesen zu sein. Kein anderer Beruf verbindet eine eigene Kultur dermaßen mit Traditionen.

Mit der endgültigen Schließung des „Bergwerks Saar“ in Ensdorf endete im Jahre 2012 die über 250 Jahre lange Geschichte des Bergbaus an der Saar. Ich erinnere mich noch gut an die ergreifende Mettenschicht und den schmerzlichen Abschied von der heimischen Kohle. Am Ende hatte sich der Kampf nicht gelohnt. Obwohl die Bergleute viele Jahre für ihren Arbeitsplatz kämpften wurden die Zechen geschlossen. Nein, ausgezahlt hat sich dieser Arbeitskampf keineswegs. Dennoch bin ich heute der Meinung, dass sich dieser Kampf in jedem Fall gelohnt hat. Die Bergleute haben damals eindrucksvoll bewiesen, dass sie geschlossen mit viel Herzblut für ihre Werte und ihren Arbeitsplatz kämpfen können. Wenn dieser Kampf am Ende auch nicht belohnt wurde, so hat er uns doch vor Augen geführt, was man mit gesundem Zusammenhalt auf die Beine stellen und bewirken kann. Die Demonstrationen in Köln und Bonn suchen bis heute seines Gleichen. Ich erinnere mich daran, dass ich damals unter der Haupttribüne des Müngersdorferstadions in Köln geschlafen habe. Es war mitten im Winter und wir hatten nichts anderes als einen Schlafsack dabei. Es waren bewegende Tage mit unvergesslichen Momenten.

Trotz aller Anstrengungen war der Bergbau am Ende nicht zu halten. In den Jahren von 2006 bis 2008 kam es im Flöz Schwalbach, des Bergwerks Saar, zu mehreren schweren Erschütterungen. Das Erdbeben am 23. Februar 2008 gilt bis heute als das stärkste, jemals vom Bergbau ausgelöste Erdbeben. Spätestens seit diesem Tag hatte der langsame Scheidungsprozess der Bevölkerung zu ihrem Bergbau begonnen. Die Forderungen wurden härter, die Luft dünner und der Ton rauer. Das Ende vom Lied war die Schließung des letzten Bergwerks an der Saar. Was einmal war, wurde verdrängt und schnell vergessen. Wenn es dem Menschen an das eigene Hab und Gut geht, kennt er keine Freunde mehr.

Als am 30. Juni 2012 die Mettenschicht gefeiert wurde läutetet im ganzen Land die Glocken. Schon dies war ein deutliches Zeichen der Verbundenheit zwischen den Menschen und dem Bergbau. Als das Steigerlied erklang und das letzte Stück Kohle überreicht wurde sah man vielerorts harte Männer weinen. Das Ende einer Ära war vollzogen. Viele Jahre war man stolz darauf ein Bergmann gewesen zu sein. Heute leidet dieser alte Berufsstand unter der Diskussion des Klimawandels. Aus Sicht vieler Zeitgenossen trägt der Bergbau mit seinem CO 2 Emissionen eine große Mitverantwortung an der weltweiten Klimakrise. Am Ende muss man sich also noch für seine gefährlicher Arbeit unter Tage schämen. Heute erinnert noch so manches an den Bergbau an der Saar. In unserem Land gibt es immer noch zahlreiche Fördertürme und auch der Saarpolygon in Ensdorf erinnert an die heimische Steinkohle.

Zum Barbaratag 2019 blicke ich auf meine kleine Barbarafigur in meinem Zimmer und erinnere mich gerne an meine Zeit als Bergmann unter Tage zurück. Obwohl wir Protestanten es nicht so toll mit der Heiligenverehrung am Hut haben, hat mich seltsamerweise meine Verhältnis zur heiligen St. Barbara bis heute geprägt. Jedes Jahr am 04. Dezember erinnere ich mich an meine Zeit im saarländischen Bergbau. Der Gedenktag unserer Schutzpatronin hat bis heute nichts von seiner Wirkung verloren. Überall im Land findet Gedenkveranstaltungen und Feierstunden statt. Irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, dass sich die Zeiten immer wiederholen. Heute 7 Jahre nach dem Bergbauende befindet sich unser Land erneut in einer Krise. Viele Firmen haben wirtschaftliche Probleme und sogar die Dillinger Hütte hat Kurzarbeit angemeldet. Wohin führt der Weg des Industrielandes Saar? Wird die Stahlindustrie bald dem Bergbau folgen? Nein, ich glaube ganz soweit wird es nicht kommen. Dennoch sind beim genauen Hinsehen gewisse Ähnlichkeiten auffällig. Auch die Stahlindustrie leidet unter Billigprodukten aus China. Sogar unsere Autoindustrie bekommt zusehends Probleme. Das Resultat sind Entlassungen oder Vertragsauflösungen. Das ganze am besten noch, wie bei „Halberg Guss“ geschehen, vor Weihnachten. Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Manager und Politiker ohnmächtig vor einem Berg großer Probleme stehen und nicht weiter wissen. Genauso war es auch beim Ende des Bergbaus.

Die heilige St.Barbara oder genauer gesagt Barbara von Nikomedien war eine christliche Jungfrau und Märtyrin, die der Überlieferung zufolge im 3. Jahrhundert von ihrem Vater enthauptet wurde. Barbara weigerte sich, ihren christlichen Glauben und ihre jungfräuliche Hingabe zu Gott aufzugeben. Die Standhaftigkeit, mit der die Märtyrerinnen ihre Folter und ihren Tot hinnahm, ist bemerkenswert. Standhaftigkeit ist auch heute im Jahre 2019 gefragt. Erneut müssen Menschen für ihren Arbeitsplatz und ihre Rechte auf die Straße gehen. Die heilige Barbara war aber auch bekannt für ihren unerschütterlichen Glauben. Genau dieser Glaube an das Gute und an eine liebenswürdige Zukunft geht heute immer mehr verloren. Es herrscht Egoismus, Schuldzuweisung, Neid, Hass und Größenwahn.

Wenn mich der Bergbau eines gelehrt hat, so ist dies Hilfsbereitschaft, Kameradschaft, Solidarität und Zusammenhalt. Diese Tugenden sind heute vom Aussterben bedroht. Unter Tage hat man sich noch gegenseitig geholfen und respektiert. Manchmal wünsche ich mir, dass nur einige wenige dieser Eigenschaften des Bergmanns wieder in Mode geraten. Schaden würde es uns nicht !

Glück auf !