75. Jahre nach dem „Tag der Befreiung“- Erinnerungen an das Kriegsende in Dirmingen

„…immer wenn die Jabos kamen zogen wir meinem Bruder einen Kartoffelsack oder eine Mütze über den Kopf, er hatte hellblondes Haar und war eine perfekte Zielscheibe für die Piloten.“

Zeugenbericht Einwohnerin Dirmingen

Das Nazi-Regime stürzte natürlich auch unseren Heimatort ins Verderben. Einer aktuellen Umfrage zufolge nimmt heute ein Großteil der deutschen Bevölkerung den Begriff „Befreiung“ als wörtlich.War das früher auch so ? Unmittelbar nach Kriegsende wuschen viele ihre Hände in Unschuld. Keiner will etwas gehört oder gesehen haben. Natürlich gab es unter der Bevölkerung auch sehr viel Angst. Die über Jahre angestaute Angst vor den Nazis wisch nach der Befreiung in eine neuerliche Sorge vor der Macht der Besetzer. Die Wehrmacht reichte am 08. Mai 1945 ihre bedingungslose Kapitulation ein. Dies bedeutete das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung vom Nationalsozialismus. Seitdem gilt der 08. Mai als „Tag der Befreiung“.

75. Jahre nach Kriegsende hat sich in unserem Land einiges verändert. Wir leben in Freiheit, auf einem scheinbar sicheren Kontinent. Dennoch gibt es noch heute heftige Diskussionen um den “Tag der Befreiung“. War es eine Befreiung oder vielmehr eine Besetzung? Kritiker behaupten bis heute, dass die Alliierten Deutschland militärisch besiegen wollten. Von einer Befreiung des deutschen Volkes dürfte keine Rede sein. Wenn man sich zahlreiche Aktionen der Alliierten nach Kriegsende einmal genau anschaut, wird zumindest deutlich, dass die Siegermächte nicht gut zusprechen waren auf unser Volk. Vergewaltigungen, Folter, Prügelstrafen, Diskriminierungen und Strafarbeiten waren an der Tagesordnung. Das alles musste unser Volk über sich ergehen lassen. War das die gerechte Strafe? Ist es nicht irgendwie das Recht des Siegers seinen Triumph auszukosten und seinen Emotionen freien Lauf zu lassen? Schwer zu beantworten. Fakt ist, auch die Siegermächte haben sich nach dem Kriegsende nicht mit Ruhm bekleckert. Wenn man jedoch im Glashaus sitzt, sollte man nie mit Steinen werfen. Vielmehr beschäftigte mich die Frage:  Wie war das damals in Dirmingen?

Als der Zweite Weltkrieg am 18. März 1945 gegen 17:00 Uhr, mit dem Einrücken amerikanischer Truppen für unsere Einwohner zu Ende ging, war Dirmingen eine der stärkst beschädigsten Landgemeinde des damaligen Landkreises Ottweiler. Am Ende mussten die Dorfbewohner 23 Bombenangriffe über sich ergehen lassen. Warum wir? Gab es in Dirmingen soviel Nazis oder kampfbereite Soldaten? Naja, am Ende hatte wohl vieles mit den Eisenbahn-Geschützen auf dem Dirminger Bahnhof zu tun. Auch die gute Ortslage, die immer wieder für wichtige Transporte genutzt wurde, sorgte für so manchen Beschuss. Alles andere war eine gehörige Portion Pech.

Der 11.Mai.1944 war ein Donnerstag. An diesem Tag brachte die “Operation No. 351″ unserer Dorfgemeinschaft großes Leid. Ziel der „Operation No. 351“ war die Bombardierung der Verschiebebahnhöfe in Brüssel, Lüttich, Konz-Karthaus, Luxemburg, Völklingen – und Saarbrücken. Insgesamt 608 viermotorige Bomber vom Typ B-17 »Flying Fortress« starten zwischen 15.00 Uhr und 15.45 Uhr von ihren Flugplätzen in Ost- und Südostengland. Die damaligen Kriegsberichterstatter berichtet: „… zunehmend schlechter werdende Sichtverhältnisse über der Stadt, stellenweiser Bodendunst und die Saarbrücker Flak erschweren den einfliegenden B-17 jedoch die genaue Zielerfassung.“ Die Alliierten hatten es schwer und am Ende waren nur noch mit 21 Maschinen über Saarbrücken präsent. Nach Abbruch der“ Operation No. 351“ werfen 16 ihre Bombenlast über Völklingen ab, die übrigen B-17 lassen ihre Bomben später irgendwo auf dem Rückflug fallen.

Später irgendwo auf dem Rückflug fallen! Irgendwo war an diesem Tag auch in Dirmingen. An diesem Schicksalstag mussten 11 Bewohner ihr Leben lassen. Unter den Opfern befand sich damals auch ein 2-jähriges Kleinkind.

Der 21.Februar 1945 hingegeben wurde zum traurigsten Tag für die Dirminger Katholiken. An diesem schönen Vorfrühlingstag wurde die im Jahre 1911 erbaute Kirche auf dem Rothenberg bei einem Luftangriff völlig zerstört. In den letzten Kriegsmonaten musste die Bevölkerung täglich schreckliche Dinge über sich ergehen lassen. Im März des Jahres 1945 suchten Flüchtlinge und heimkehrende Soldaten eine Unterkunft. Viele Menschen haben damals ihr Obdach verloren und waren auf Hilfe angewiesen. In unserem Heimatort wurden Menschen z.B in der Kirche, Gemeindehaus und im Pfarrhaus untergebracht.

Erste kath.Kirche erbaut 1911

Am 13.März 1945 berichtet der Kriegsberichter, dass es nach einem erneuten schweren Luftangriff kaum noch ein unbeschädigtes Haus in Dirmingen existierte. Am 16.März 1945 müssen in Dirmingen katastrophale Zustände geherrscht haben. Über 95% der Häuser und Gebäuden waren durch Luftangriffe zerstört. Die Opfer in der Zivilbevölkerung waren enorm hoch. Insgesamt verloren über 200 Menschen kämpfend an der Front oder als Zivilist in unserem Heimatort ihr Leben. Am 18.März 1945 war der Albtraum für die Dirminger Bevölkerung zu Ende.

Unsere Dorfchronik berichtet vom 18. März 1945:

„Die Nacht vom 17.zum 18.03. schlief niemand, Dauerschießen von Artillerie. Den ganzen Tag im Stollen. Um 14:00 Uhr wird der Volkssturm alarmiert. Panzersperre schließen. Volkssturm kommt nicht dazu. 15:00 Uhr: Die Hölle ist los. Dirmingen bekommt die nächsten Treffer. Um halb 16:00 Uhr wurde das Gemeindehaus (Feuerwehrgerätehaus brennt) lichterloh getroffen, ebenfalls das Anwesen von Heinrich Heintz (Landwirt) brennt. Um 16:30 Uhr einzelne deutsche Truppen auf Autos kommen vom Westen und ziehen nach Osten ab. 17:00 Uhr: amerikanische Truppen ziehen in Dirmingen ein. Auf die zurückziehenden deutschen Truppen wird geschossen, einige werden tödlich getroffen. Ein Dirminger Bürger wird ebenfalls erschossen“.

Die amerikanischen Truppen versammelten die Dirminger Bevölkerung vor dem zerstörten Gemeindehaus und erklären den Krieg für beendet. Die Befehlshaber quartierten sich kurzzeitig im Gebäude der „alten Apotheke“ ein. Der damalige Pastor Didas wurde befragt und half schließlich einen geeigneten Ortsvorsteher zu benennen. Berichte nach denen zufolge Menschen in Dirmingen gefoltert, vergewaltigt oder diskriminiert wurden liegen nicht vor. Wenn man sich vor Augen führt, dass am gleichen Tag auch Eppelborn und Lebach besetzt wurde und am 21. März Neunkirchen und Saarbrücken fielen, wird deutlich mit welchem Tempo die Alliierten vorgingen.

Berichte über Diskriminierungen, Hinrichtungen und Vergewaltigungen in Neunkirchen, Elversberg, Spiesen und Saarbrücken machen jedoch deutlich, dass das Kriegsende nicht für jeden Menschen glimpflich endete. Dirmingen hingegen wurde weiterhin zur Anlaufstelle von Flüchtlingen, Strafarbeitern, Verletzten oder traumatisierten Soldaten. Der Flüchtlingsstrom nach Kriegsende schien kein Ende zu nehmen.

Der Krieg war zu Ende und jeder musste sich selbst die Frage stellen: War ich auf der richtigen Seite? War ich vielleicht zu gutgläubig? Waren die Nazis Verbrecher und was war überhaupt mit den Juden? Nachweislich lebten in Zeiten des 2. Weltkrieges keine Juden in Dirmingen. Viele wohnten jedoch in Illingen und bestimmt hat man auch in Dirmingen diese Menschen gekannt. Habe ich wirklich nichts gesehen? Warum ist mir nichts aufgefallen?

75. Jahre danach! Was bleibt? Nur die Erinnerung an ein schlimmes Regime und einen schrecklichen Krieg? Am Ende sollte uns die Erinnerung lehren, dass es niemals wieder soweit kommen darf. Dabei ist es wichtig die Erinnerung zu bewahren. Wir leben in einer Zeit, in der sich viele Kinder und Jugendliche kaum mit den Geschehnissen um den 2. Weltkrieg beschäftigen.

Letztens habe ich mit meinem Stiefsohn ein interessantes Gespräch geführt. Dabei wurde deutlich wie weit die heutige Generation schon von den Ereignissen des zweiten Weltkrieges entfernt sind. Natürlich wissen die jungen Leute ganz genau was vor über 75 Jahren in unserem Land geschah. Dennoch wundert es schon, dass diese Schreckenszeit kaum noch im Denken der heutigen Generation verankert ist.

Wenn ich mir jedoch die sozialen Netzwerke ansehe und so manchen Kommentar von Leuten, die weitaus älter sind durchlese, muss ich mich schon recht wundern. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden Teile des Saargebietes evakuiert. Die Menschen mussten ihr Zuhause verlassen und waren auf der Flucht. Haben wir das vergessen? Gerade das Saarland ist als Gastgeber bekannt und geachtet. Was hat die Zeit aus uns gemacht ?

75. Jahre nach dem zweiten Weltkrieg. Was bleibt?

7 Kommentare

  • Schneider, Knut

    Hallo miteinander, mein Name ist Knut Schneider und ich war es der den Kommentar wegen meines Urgroßvaters, Georg Nagel, geschrieben hat.
    Die ganze Familie hat unendliches Leid erfahren, so ist der Schwiegersohn von Georg Nagel in Jugoslawien vermisst. Ein weiterer Sohn, Eduard Nagel war da auch schon tot.

  • kleinfrank

    Hallo,

    ja ich kenne diese Geschichte und kenne auch das Haus.

    Ich dachte der Mann wurde jedoch mittlerweile über die Angelegenheit informiert.

    Sie können mich gerne einmal privat anschreiben.

    Viele Grüße
    Frank

  • Guten Abend. Heute hat sich ein Mann aus Bayern nach seinem Vater Josef Sommer erkundigt, der am 24. Dezember 1944 in Dirmingen nach einem Bombenabwurf ums Leben kam. Er war Soldat einer Panzerzerstörereinheit und wurde um die Mittagszeit „durch die herabstürzenden Massen eines Gebäudes verschüttet“. Ist Ihnen bekannt, um welches Gebäude es sich dabei gehandelt haben könnte? Der Obergefreite Sommer wurde zunächst auf dem Friedhof in Dirmingen beerdigt und nach dem Krieg auf den Ehrenfried bei Elm-Sprengen umgebettet.

  • kleinfrank

    Nein, tut mir leid !

  • Theo Schröder

    Ist bekannt was mit den Ukrainischen Zwangsarbeitern geschah die bis Kriegsende in Dirmingen in bäuerlichen Betrieben Zwangsarbeit leisteten?

  • kleinfrank

    Hallo, hieß der Großvater Nagel ? Das alles ist richtig, wenn auch in anderer Reihenfolge. Zuerst flüchteten die Soldaten und wurden mit ihrem Großvater getötet. Dann wurde die Bevölkerung vor dem damaligen Gemeindehaus zusammengetrieben. Die Soldaten richteten zur Abschreckung den Panzer auf die Bevölkerung und erklärten dann den Krieg für das Dorf beendet. Alles soweit richtig ! Danke für den Kommentar ! Wünsche Ihnen alles Gute.

  • Schneider

    Der erschossene Dirminger Bürger vom März 1945 war mein Urgroßvater.
    Er starb durch einen Querschläger. Die Bevölkerung von Dirmingen (einem Ortsteil der Gemeinde Eppelborn) wurde, so erzählte es mir mein Vater, von amerikanischen Soldaten in der Ortsmitte zusammen getrieben.
    Ein deutsches Motorradgespann versuchte noch in der Ortsmitte Richtung Neunkirchen durchzubrechen.
    Die amerikanischen Soldaten eröffneten das Feuer auf die Flüchtenden. Hierbei wurde mein Urgroßvater, er war damals ca. 65 Jahre alt von einem Geschoss an der Halsschlagader getroffen. Er verblutete.

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