Echte „Derminga“: Pfarrer Wilhelm Engel

Er war Pfarrer aus Berufung, Schriftsteller, Maler und Heimatforscher.

Pfarrer Wilhelm Engel hat unseren Heimatort wie kaum ein anderer geprägt und einen maßgeblichen Teil zur Erinnerungskultur beigetragen.

Wilhelm Engel wurde am 19. Juli 1901 in Birkenfeld /Nahe geboren. Als Sohn des Buchbindermeisters Ernst Engel wuchs er behütet und umsorgt auf. Eigentlich stammte die Familie aus Rinzenberg einem Dorf im Hochwald. Im Wesentlichen bestand die Familie Engel aus Kleinbauern und Handwerkern. Wilhelm Engel war der älteste von sechs Geschwistern. Seinen Vornamen Wilhelm bekam er in Anlehnung an die wilhelminische Zeit. Nach dem Besuch des Birkenfelder Gymnasiums machte Engel sein Abitur. Danach begann er im Jahre 1922 auf den Universitäten in Tübingen, Marburg und Bonn mit seinem Theologiestudium. Im Jahre 1926 trat Wilhelm Engel seine erste Pfarrstelle in Leisel als Vikar an. Obwohl er dort dem Pfarrer von Niederbrombach unterstellt war, übernahm Engel die komplette Verantwortung über die Gemeinde. Im Jahre 1927 wurde Wilhelm Engel Vikar in Oberstein. Dort sammelte er wichtige Erfahrungen und wurde zu einem guten Geistlichen ausgebildet. Am 29. Juli 1931 wurde Wilhelm Engel zum Pfarrer in Dirmingen gewählt. Mit diesem Schritt war Engel endlich angekommen. Dort in Dirmingen am Zusammenfluss von Ill und Alsbach, im Herzen des Illtals, wollte er Leben und sich seiner Berufung hingeben.

In seinen Memoiren schrieb Engel:

„Als es in der Obersteiner Gemeinde ruchbar wurde: Pfarrer Engel geht fort und zwar ins Saargebiet, da schüttelten die Obersteiner den Kopf: Wie kann er nur! Aus Oberstein, der „Perle des Nahetals“ mit seiner eben so schön erneuerten Felsenkirche fortgehen, dazu in ein Dorf im Saargebiet, ja, in ein Dorf, und das in dem Rußloch.“

Einweihung des Evangelischen Gemeindehauses

Der Dirminger Kantor Emil Wendling, der als Organist und Leiter des Kirchenchores in Dirmingen tätig war, hatte Engel während einer Singwoche in Sobernheim kennengelernt und diesen für seine Gemeinde geworben. Wendling sagte:“ Unsere Kirchengemeinde – sie heißt Dirmingen- ist schon ein Jahr ohne Pfarrer. Wollen sie nicht zu uns kommen?“ Obwohl sich Engel in Oberstein sehr wohlfühlte, reifte in ihm die Überlegung das Angebot anzunehmen. Das unübersichtliche Arbeitsfeld in Oberstein setzte dem jungen Pfarrer enorm zu und nagte an seinem Selbstverständnis. Pfarrer Engel ließ sich schließlich zum Pfarrer in Dirmingen wählen und mit Emil Wendling verband ihn bis zum Lebensende eine tiefe Freundschaft.

In seinen Memoiren schrieb Engel:

„Bei unserem Einzug in Dirmingen fanden wir die Kirche, das Gemeindehaus und das Schulhaus vor. Wahrhaftig! Einladend sah das gerade nicht aus. Der Turm der Kirche war schwärzlich-grau. Im innersten der Kirche war auf den Emporen ein Gestühl von aller primitivster Art. Die Sitze der Bänke waren nur grob zugehauene Balken. Ihre Rückenlehnen war nichts als ein grobes Brett.“

Engel kam jedoch mit den vorhandenen Möglichkeiten gut zurecht. Immer wieder machte er deutlich, dass es ihm allein um die Verbreitung der Botschaft Christi ging. Schon in den ersten Wochen bemerkte er in seinem neuen Heimatort eine gewisse Sonderheit. Der Gottesdienstbesuch war hervorragend, sowas hatte er zuvor noch nie erlebt. Aus allen Altersschichten pilgerten die Menschen in Scharen zu den sonntäglichen Gottesdiensten. Pfarrer Engel bekam immer mehr das Gefühl, dass er hier richtig ist und das seine Arbeit in Dirmingen Früchte trägt. Als er mit seiner Familie, das im Jahre 1736 erbaute nassauische Jagdschloss bezog, kam der Pfarrer aus dem Schwärmen nicht mehr raus.

In seinen Memoiren schreib Engel:

„Als wir vor der Tür des Pfarrhauses standen, überreichte mir der Kirchmeister den Schlüssel- altmodisch war auch das Glöcklein an der Haustür. Man musste einen blanken Messingknopf ziehen, um es in Bewegung zu bringen. Und dann läutete es. Als das Presbyterium vor meiner Pensionierung vieles im Pfarrhaus erneuerte, meinte der Mann, der die Lichtleitungen verlegte: „Jetzt wird aber auch das alte Glöcklein da weggeschafft! Ich stimmte dem nicht zu und ich freue mich, dass bis auf diesen Tag das Glöcklein noch läutet.“

Als das Saargebiet im Jahre 1935 wieder „Heim ins Reich“ kehrte, wurde der Kirchenkampf nicht nur in der eigenen Gemeinde spürbar, sondern auch im idyllischen Pfarrhaus. Im Jahre 1938 sollten auch die Pfarrer den Eid auf den Führer leisten. So wollte es damals zumindest das Deutsch-Christliche Kirchenregiment. Wer den Eid ablehnte, musste für sich, aber auch für die eigene Gemeinde, mit allerlei Folgen rechnen. Pfarrer Engel lehnte den Eid auf den Führer ab und verweigert die Gefolgschaft. Mit dieser Entscheidung zogen sich in jenen Tagen dunkle Wolken über dem Dorf und der Kirchengemeinde zusammen.

In seinen Memoiren schrieb Engel:

„In den Gottesdiensten und Passionsandachten saß monatelang ein Polizist. Nach neun Monaten hatte er eine Anzeige gegen mich fertig. Darin stand: Der Pfarrer hat gesagt: „Gottes Macht geht über Menschenmacht.“

Engel wurde zur Geheimen Staatspolizei nach Saarbrücken bestellt, Eine Strafe wurde angedroht und später „amnestiert“. Der Legende nach soll Engel einflussreiche Freunde gehabt haben. Ob es sich bei einem dieser Freunde tatsächlich um den Dirminger Pastor Didas handelte, ist bis heute umstritten und nicht belegt.

Vielerorts nutzten die Christen plötzlich zwei Bücher: Hitlers „Mein Kampf“ und die Bibel. Engel akzeptierte nur die Bibel und scheute nicht davor das Nazi- Regime zu kritisieren. Natürlich gab es auch Widerstand in der Bevölkerung. Nicht jeder konnte den dickköpfigen Weg des Pfarrers nachvollziehen und wendete sich kopfschüttelnd ab. Belegt ist folgende Aussage einer Bürgerin: „Bei Engels Predigt schlafe ich nach 10 Minuten ein, dem Führer kann ich drei Stunden zuhören.“

Es waren schwere Zeiten, in denen auch der Pfarrer täglich an seinem Profil arbeiten musste. Am 01. September 1939 brach der zweite Weltkrieg aus. Engel bot den vielen Flüchtlingen oder Evakuierten, die in Scharen in das Dorf kamen, im Untergeschoss des Pfarrhauses eine Unterkunft. Die Leute lagen auf Stroh gebettet in Scheunen, Gaststätten und auch in der Evangelischen Kirche. Die Zeiten wurden immer härter und die Familie Engel entschied sich aus Sicherheitsgründen die drei ältesten Kinder nach Wuppertal zu Bekannten zu schicken. Monate später kehrten die Kinder wieder Nachhause zurück.

Am 07.September 1943 erhielt Engel seine Einberufung zum Soldaten. Er fügte sich dieser Aufforderung und wurde in der Sanitätskompanie in Bad Kreuznach ausgebildet. Seine innere Einstellung und die Befehlsgewalt machten Engel schwer zu schaffen. In ihm wuchs die Sehnsucht nach Zuhause und zu seiner Gemeinde.  Nach einem großen Bombenangriff, am 11. Mai 1944, bekam Engel Sonderurlaub. Als er Nachhause kam traute er seinen Augen nicht. Überall nur Trümmer und Elend. Pfarrer Engel und der katholische Geistliche Pastor Didas entschlossen sich gemeinsam die Beerdigung für die Opfer zu halten. Nach vielen Jahrzehnten im Streit, war dies der erste ökumenische Akt in unserem Dorf.

Pfarrer Wilhelm Engel war ein Mann mit Prinzipien und mit Rückgrat. Während der Beerdigungszeremonie verweigerte Pfarrer Engel den gemeinsamen Ruf der Trauergemeinde: „Gott strafe England“. Pfarrer Engel sagte damals: „Dies ist nicht meines Amtes“. Für diese Aussage hagelte es erstmals nicht nur Kritik sondern auch Anerkennung.

Pfarrer Engel im Alter von 78 Jahren

Als am 21.Februar 1945 die hiesige katholische Kirche auf dem Rothenberg durch einen Bombenangriff zerstört wurde, war Pfarrer Engel an der Front eingesetzt. Durch ein Telegramm war er sich jedoch sehr schnell mit seiner Frau einig, den katholischen Mitchristen das eigene Gotteshaus zur Mitnutzung anzubieten. Pastor Didas willigte nach kurzer Überlegung ein und führte seine Gemeinde in die für ihn fremde Kirche in der Ortsmitte. Fast 5 Jahre lang wurde in der evangelischen Kirche das sogenannte Simultaneum durchgeführt.

Nach dem Krieg wurde Engel, im Jahr 1948, zum Superintendenten des Kirchenkreises Ottweiler berufen. Bis zum Februar des Jahres 1969 behielt er dieses ehrwürdige Amt.  Am 07. Juni 1981 verstarb Pfarrer Wilhelm Engel nach einem langen, arbeitsreichen Leben in Berschweiler.

Pfarrer Engel hat nicht nur für seine Kirchengemeinde, sondern auch für unseren Heimatort Dirmingen vieles in die Wege geleitet. Mit seinen Büchern förderte er die Heimatforschung und in so manchem Dirminger Wohnhaus hängt bis heute ein echtes Engel-Gemälde. Im Jahre 1936 wurde die evangelische Kirche um den Anbau der Sakristei erweitert. Pfarrer Engel legte Zeit seines Wirkens großen Wert auf die Entwicklung seiner Gemeinde. Was jedoch am meisten in Erinnerung bleibt, ist seine Gradlinigkeit und sein Gottvertrauen. Pfarrer Engel ließ sich nicht verbiegen und könnte mit seiner Einstellung heute noch als Vorbild gelten.

Im Jahre 2019 entschied das Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Dirmingen, im Anbetracht der großen Verdienste des Pfarrers Wilhelm Engel, sein Grabkreuz und das seiner Ehefrau an die Kirche zu verlegen. Ich bin mir sicher, dass sich Pfarrer Engel über diese Geste gefreut hätte.

Gemälde von Pfarrer Engel

3 Kommentare

  • Thomas Graf

    Das Gemälde der Ev. Kirche Dirmingen hängt heute im Wohnzimmer meiner Mutter in der Schweiz. Sie ist das älteste Kind der Pfarrfamilie Engel . Wenn ich in meiner Kindheit die Grosseltern in Dirmingen besuchen durfte, habe ich das immer besonders genossen.
    ThomasGraf

  • Hans-Martin Engel

    Lieber Verfasser,
    mit Interesse habe ich diesen Artikel gelesen und sogar noch für mich Neues erfahren. Ein kleiner Fehler ist mir aufgefallen: Mein Vater starb nicht in Birkenfeld, sondern in Berschweileir, im Haus seiner Tochter Elsbeth, wo er seinen Ruhestand verbrachte.
    Mit freundlichen Grüßen aus München
    Hans-Martin Engel

  • Eva Paar

    Danke fuer den interessanten Artikel. Ich wurde im November 1946 in der Evangelischen Kirche von Pastor Didas katholisch getauft. Pfarrer Engel war ein guter Mensch.

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