Was bleibt vom Bergbau ? – Eine gesunde Erinnerungskultur beginnt in unseren Köpfen
Letztens habe ich im saarländischen Rundfunk den Dokumentationsfilm “Das Erbe unter den Fördertürmen – Was bleibt vom Bergbau?“ gesehen. Der Film von Mirko Tomic zeigt auf beeindruckende Weise wie es um das vorhandene Bergbauerbe an der Saar steht. Als ehemaliger Bergmann hat mich dieser Film sehr berührt und auch ein stückweit nachdenklich gemacht. Über 250 Jahre prägte der Saarbergbau unser Heimatland. Die Spuren sind noch heute in jedem Dorf unseres Bundeslandes zu finden. In Dirmingen steht ein Mannschaftstransportwagen, der seinerzeit dankenswerterwiese vom hiesigen Heimat- und Verkehrsverein angeschafft wurde. Nach dem Film habe auch ich mich mit der Frage beschäftigt, ob wir wirklich genug investieren um das Erbe unserer Bergbaugeschichte zu erhalten. Bestimmt wird es den ein oder anderen Zeitgenossen geben, der das ganz anders sieht und keinen Wert auf eine solche Erinnerungskultur legt.
Ich selbst habe nicht gewusst, dass es im Saarland 38 Objekte gibt, die als Denkmäler des Steinkohlebergbaus dienen. Innerhalb dieser Liste sind 15 Bergbaustandorte von besonderer Bedeutung verzeichnet. Daneben gibt es wie bereits erwähnt in fast jedem Dorf eine Lore, eine Schrämwalze oder eben wie bei uns in Dirmingen ein Mannschaftstransportwagen. Auf der Grube Luisenthal begann man in der vergangenen Woche damit teile der Anlage abzubrechen. Was bleibt am Ende von 250 Jahren Bergbau übrig und wie gehen wir damit um? Die Dokumentation beklagt das Fehlen eines Gesamtkonzepts und das Engagement der Politik und des Unternehmens RAG. Aus meiner Sicht benötigen wir aber auch ein Umdenken in unserer Gesellschaft.
Ich stelle auch in meinem Dorf immer wieder fest, dass die Erinnerungskultur an den Bergbau verblasst. Immerhin hat Kohle und Stahl auch unserem Dorf den Wohlstand gebracht. Meistens erinnern wir uns an den Bergbau, wenn sich irgendein Jahrestag wiederholt oder der Barbaratag ansteht. Dabei beschleicht mich immer wieder das Gefühl, das gerade im Monat Februar der Saarbergbau vermehrt in unser Gedächtnis rückt. In diesem Monat erinnern wir uns an die beiden schrecklichen Grubenunglücke von Luisenthal und Camphausen. Natürlich gab es an der Saar mehrere schlimme Unglücke. Die beiden Katastrophen von Luisenthal und Camphausen haben jedoch die Nachkriegszeit stark geprägt. Bei der Schlagwetterexplosion in Luisenthal, am 07 Februar 1962, verloren 299 Bergleute im Alsbachfeld ihr Leben. Bis heute gehört diese Katastrophe zu den schlimmsten in der Geschichte des Saarbergbaues. Zu dem Unglück am 16.Februar 1986 in Camphausen habe ich einen persönlichen Bezug. Bei dieser verheerenden Schlagwetterexplosion kamen sieben Bergleute ums Leben. Ich war damals als Bergmann unter Tage auf der Anlage Camphausen tätig.
Der 16. Februar 1986 war ein Sonntag. Die Schlagwetterexplosion im Streb 2-Nord, Flöz 3, achte Sohle, in 1100 Metern Tiefe bedeutete aus meiner heutigen Sicht zeitgleich das Ende für das Bergwerk Camphausen. Gottlob arbeiteten sonntags in der Regel nur wenige Bergleute unter Tage. Nicht auszudenken, wie viele der 1500 auf der Anlage beschäftigten Bergleute, an einem Werktag gestorben wären. Hätte es auch mich erwischt? Was wäre passiert, wenn diese Katastrophe einen Tag später auf meiner Frühschicht stattgefunden hätte?
Ich war an diesem Sonntag, 16.Februar 1986 Zuhause. Aus irgendwelchen Gründen hatte ich die Nachricht vom Unglück nicht mitbekommen. Mein Vater arbeitete ebenfalls auf der Grube Camphausen. Wenn wir gemeinsam Schicht hatten, fuhren wir mit einem Auto zur Arbeit. An diesem Montagmorgen fuhren wir ungeachtet des schrecklichen Unglücks zur Anlage Camphausen. Mittlerweile hatten wir längst von dem Unglück erfahren und wurden darüber informiert, dass an diesem Tag ohnehin kein Bergmann einfahren wird. Warum wir dennoch nach Camphausen fuhren, kann ich mir heute nicht mehr erklären. Ich weiß noch, dass wir auf der Hinfahrt kaum miteinander redeten. Als wir auf dem Parkplatz der Anlage angekommen waren, stellten wir fest, dass viele Bergarbeitern zur Anlage gekommen waren. Warum eigentlich? War es Neugier? War es Solidarität? Wir standen fassungslos vor der Anlage. Überall waren Absperrungen und irgendjemand sagte, ohne vorher gefragt worden zu sein: “Sie haben noch nicht alle Opfer gefunden”. Es war ein verstörendes Erlebnis. Mindestens zwei der Opfer waren mir bekannt.
Am 12.11.1990 wurde die Kohleförderung auf dem Bergwerk Camphausen eingestellt. Wahrzeichen der Anlage Camphausen ist der „Hammerkopf-Förderturm“. Dieser wurde mittlerweile als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ ausgezeichnet. Überall im Land finden wir noch sogenannte Leuchttürme des Bergbaus. Das Imposanteste dürfte wohl der Förderturm der Grube Göttelborn sein. Wie gelingt es uns eine gesunde Erinnerungskultur und die positive Einstellung zu den verschiedenen Bauten zu bewahren? Eine Besonderheit des Bergmannsstandes ist seine Sprache. Besonders im saarländischen Dialekt finden sich viele versteckte Wörter aus der Bergmannssprache. Begriffe wie zum Beispiel: Alter Mann, Partiemann, Kletzje, Knubbe, Aufhauen, Befahrung, Rauben, Bruch, Buckeln, Feld, Gezähe, Hangendes, Korb oder Verlesen haben wir alle irgendwo schon einmal gehört. Eigentlich ist in unserer Heimat eine gesunde Grundlage für eine funktionierende Erinnerungskultur vorhanden. Wir müssen es nur wollen und Leben.
Als ich letztens wieder vor der imposante Hammerkopfschachtanlage des Bergwerkes Camphausen stand, kehrten alte Erinnerungen zurück. Heute erinnert das Bauwerk an ein Mahnmal aus längst vergangenen Tagen. Im Bergwerk Camphausen habe ich 5 harte Arbeitsjahre verbracht. Ein Sprichwort sagt: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Ich kann dieses Zitat nur unterschreiben. Im Januar 1986 wurde ich nach dem Ende meiner Ausbildung nach Camphausen verlegt. Dort herrschten raue Sitten und schlechte Wetter. Die Luftfeuchtigkeit war enorm hoch und die hohe Hitze unerträglich. Der Umgangston war eine Katastrophe. Nicht selten wurde schon unter Tage Alkohol konsumiert. Dennoch gab es in Camphausen eine hohe Identifikation der Bergleute mit ihrer Grube. Ich wurde in der Abteilung 03 in den Streb verlegt wurde und erlebte dort meine schwerste Zeit. In unerträglicher Hitze auf den Knien durch den Streb hetzen und dabei schwere Tätigkeiten ausüben ist kein Honiglecken. Es war eine harte Lebensschule und ich konnte mir damals nicht vorstellen, diesen Job bis zur Rente auszuüben.
Unsere Heimat ist auf Kohle entstanden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts arbeiteten rund 50.000 Menschen auf den saarländischen Zechen. Dabei waren in vielen saarländischen Familien mehrere Generationen auf einer Grube beschäftigt. Auch mein Ur-Großvater, mein Großvater und mein Vater arbeiteten auch „Unter Tage“. Am Ende war ich 18. Jahre lang Bergmann „Unter Tage“ und es waren bestimmt nicht nur schöne Jahre darunter. Dennoch bin ich enorm stolz diesen harten Beruf ausgeübt zu haben.
Der Beruf des Bergmanns hat mich Respekt, Loyalität und Solidarität gelehrt. Ich habe gelernt für meinen Kameraden einzustehen und zu helfen, wenn es nötig scheint. Es war eine harte, aber auch gute Schule. Im Laufe meiner Tätigkeit auf den Anlagen in Camphausen und Nordschacht gab es viele schwer Verletzte und auch tote Kumpels zu beklagen. Irgendwie hatte ich immer das Pech in der Nähe zu sein. Viele Bilder gehen mir bis heute nicht aus dem Kopf. Ich habe erlebt das Kumpels lachend zur Schicht fuhren und im Schleifkorb rausgebracht wurden. Familienväter mussten ihr Leben lassen und Kinder ohne ihren Vater aufwachsen. Natürlich blieb mir das Unglück vom 16.Februar 1986 ganz besonders in Erinnerung. Damals wurde mir als junger Mann erstmals vor Augen geführt, wie schnell das Leben enden kann. Wir dürfen die vielen Opfern des Saarbergbaus nicht vergessen.
Mittlerweile bin ich schon seit 20 Jahren nicht mehr als Bergmann “unter Tage” beschäftigt. Ein guter Freund sagte mir einmal:“ Bergmann bleibt man für sein Leben“, ich glaube, da ist etwas dran. Manchmal plagt mich die Sorge, dass unsere Kinder den ehrvollen Beruf des Bergmanns vergessen werden. Eine gesunde Erinnerungskultur beginnt gerade an diesem Punkt. Wie sagt man im Saarland so schön“ Großes entsteht im Kleinen“. Beginnen wir doch einfach mal damit wieder davon zu erzählen und zu berichten. In unseren persönlichen Geschichten lebt die Erinnerung an den Bergbau weiter. Wenn wir davon sprechen, berichten oder erzählen werden auch die kommenden Generationen davon profitieren. Dabei sollten wir uns nicht nur an den vielen bergmännischen Baudenkmäler orientieren.
Wenn Politiker ihre Reden mit dem Bergmannsgruß „Glück auf“ enden bekomme ich immer ein ungutes Gefühl. Immerhin wird dieser Gruß auch von denen genutzt die dem Bergbau ein Ende versetzten. Ich hatte lange Zeit das Gefühl, dass die Verantwortlichen in unserem Land vergessen haben woher ihr eigentlich Wohlstand kommt. Mit den Jahren wird man klüger und wenn man sich das Thema Klimawandel vor Augen führt, muss man sich auch als ehemaliger Bergmann eingestehen, dass es besser ist sich von fossilen Brennstoffen zu verabschieden. Heute finde ich es gut, dass wir an der Saar immer öfter den Bergmannsgruß gebrauchen. Auch dies ist ein Stück Erinnerungskultur.
Schon mit kleinen Dingen kann man vieles erreichen und dabei echte Zeichen setzen. Auch kleine Steine ziehen im Wasser ihre Kreise. Was können wir hier vor Ort tun? Ich denke wir haben auch unsere Möglichkeiten an den Bergbau zu erinnern. Ich glaube, dass fast jeder in diesem Land irgendeinen Bezug zum Bergbau besitzt. Ein Bergbaudenkmal haben wir schon mal im Dorf stehen. Zugegebenermaßen sollten wir uns intensiver und besser darum kümmern. Wir sollten in den Dialog gehen und weitere Möglichkeiten prüfen. Vielleicht könnte man einen Platz oder eine Straße nach einer Bergmann spezifischen Sache umbenennen? Es gibt viele Möglichkeiten. Der Weg zu einer guten Erinnerungskultur beginnt in unseren Köpfen.