10 Jahre nach Ende des Bergbaus – Wie erhalten wir eine würdige Erinnerungskultur

Als der saarländische Rundfunk mich vor einiger Zeit kontaktierte, ging ich zunächst einmal davon aus, dass ich zu einem kommunalpolitischen Thema Stellung beziehen sollte. Die junge Dame am Telefon hatte jedoch andere Pläne und wollte mit mir über den Bergbau an der Saar reden. Aufmerksam wurde die freundliche Dame durch einen meiner Blogeinträge. 

Mehr als 250 Jahre prägte der Bergbau unser Heimatland. Am 30. Juni 2012 wurde das Kapitel Bergbau endgültig geschlossen. Der Saarländische Rundfunk nimmt dies zum Anlass um ein erstes Fazit zu ziehen. Zehn Jahre nach dem Ende des Bergbaus stellt man sich die Frage: Was wurde aus den vielen Bergleuten und wie bewahren wir uns eine gewisse Erinnerungskultur? Wie erhalten wir die alten Traditionen oder die uralte Bergmannssprache. Neben den aktuellen Themen wie Grubenflutungen und Bergbauschäden sollten sich auch diese positiven Aspekte in den Köpfen der Menschen verankern.

In dieser Woche von Montag, 27. Juni bis Donnerstag, 30. Juni, widmen sich das SR Fernsehen, die Hörfunkwellen, SR.de, SAARTEXT und die Social Media-Auftritte dem Erbe der Bergbau-Ära – unter der Überschrift: „Zehn Jahre danach – Was vom Bergbau übrigblieb“.

Schön, dass ich dabei über meine persönlichen Erfahrungen berichten durfte und ein Teil dieses Rückblicks wurde. Der Bergbau an der Saar hat in seinen 260 Jahre deutliche Spuren hinterlassen. Heute ist der Bergbau Teil unserer Identität und unserer Kultur. Die Geschichte des Saarlandes wurde auf Kohlenpapier geschrieben.

Überall im Land findet man noch die alten Fördertürme wobei der „weiße Riese“ in Göttelborn nicht so viele Jahre auf dem Buckel hat. Die Fördertürme dieses Landes sind zu stählernen Zeitzeugen geworden und erinnern an eine längst vergangene Zeit. Dabei hat jeder einzelne Saarländer seine ureigene Verbindung und seine ganz persönliche Geschichte zum Bergbau. In den 1960-er und 1970-er Jahren war jeder zweite Saarländer auf irgendeine Weise mit dem Bergbau verbunden. Genauso war das auch bei mir Zuhause. Meine Großväter waren über Generationen im Bergbau tätig und auch mein Vater verdiente „Unter Tage“ sein Brot. Als ich von der Schule ging war mein Weg schon von Familienhand gezeichnet: „Dau geschd off die Gruub“ hatte der Vater gesagt und ohne Gegenwehr ließ ich es auch geschehene. Es folgte die Ausbildung zum Bergmann und viele harte aber auch schöne Jahre „Unter Tage“. Zuhause war ich auf den Anlagen Duhamel, Camphausen und Ensdorf (Nordschacht). Im Jahre 2001 schloss sich auch für mich persönlich das Kapitel Bergbau.

Dirmingen liegt an der ehemaligen „Kohlenstrasse“ die früher quer durch das ganze Land verlief. Nachweislich nahmen schon Kohlekutschen ihren Weg durch unser Dorf. Die Kutscher verbrachten beispielsweise in „Alt Schuhhannesse“ die Nacht oder tranken im Gasthaus „Johne-Saal“ ihr Bier. Der Bergbau und auch die Stahlindustrie gehörten auch in unserem kleinen Dörfchen zu den größten Arbeitgebern.

Nach dem Ende des Bergbaus hat die saarländische Landesregierung die „Initiative Saarländische Bergbaustraße“ ins Leben gerufen. Diese virtuelle Straße soll Orte, Räume und Gegenstände in den Mittelpunkt stellen, die die Geschichte des saarländischen Bergbaus aus ihrer individuellen Betrachtung erzählen. Die Saarländische Bergbaustraße soll ein fester Bestandteil einer gut funktionierenden Erinnerungskultur werden. Stellt sich die Frage, ob diese Straße ihrem Anspruch tatsächlich gerecht wird ? Bestimmt ging es den Machern um einen zukunftsorientierten und kulturbewahrenden Umgang mit den ehemaligen industriellen Anlagen, Arealen oder Bergbaudenkmälern. Dabei ist die Saarländische Bergbaustraße keine reale Route, die alle Etappenorte miteinander verbindet. Vielmehr wurde ein gewisser Netzwerkgedanke ins Leben gerufen. Bleibt die Frage, ob dieser Gedanke tatsächlich umgesetzt werden konnte. Wird die Bergbaustraße tatsächlich als Solche angenommen und beworben ?

Der SR stellte mir die Frage, ob aus meiner Sicht genug für diese Straße des Bergbaus gemacht wird. Ehrlichgesagt bin ich mir gar nicht so sicher ob jeder Saarländer diese Straße auch wirklich kennt. Wie gelingt es uns am Ende eine faire und gute Erinnerungskultur an den Bergbau zu bewahren ? Wenn ich an die Menschen im westlichen Saarland denke, kann ich mir gut vorstellen, dass diese keine guten Erinnerungen an den Bergbau hegen. Die Erdstöße gegen Ende der Bergbauzeit haben viele Menschen tief getroffen und verletzt.

Die bereits vorhandenen Bergbaudenkmäler spielen eine gewichtige Rolle. Natürlich kennen wir alle den 2016 in Ensdorf errichteten Saarpolygon oder den sogenannten „weißen Riesen“ den Förderturm von Göttelborn. Bergbaudenkmäler sollen im kollektiven Bewusstsein der Saarländer verankert bleiben. Am Ende findet man fast in jedem Dorf an der Saar irgendein Bergbaudenkmal. Egal ob Schrämwalzenkopf, Lore oder wie in Dirmingen einen Mannschaftstransportwagen. Hauptsache die Identifikation zum Bergbau wird wirksam zur Schau gestellt.

War’s das ? Soll das alles gewesen sein ? Auch in meinem Heimatort müssen wir gegen das Vergessen ankämpfen. Unser Bergbaudenkmal bedarf dringend besseren Pflege. Viele Menschen gehen täglich gleichgültig an diesem Mannschaftstransportwagen vorbei und fragen sich nicht einmal was es mit diesem Wagen auf sich hat. Zehn Jahre nach dem Ende des Bergbaus sind wir schon mittendrin im Kampf gegen das Vergessen. Manchmal frage ich mich was dieser alte Mannschaftstransportwagen in der Dirminger Ortsmitte nicht schon alles erlebt hat. Welche Gespräche konnte er vernehmen, wer wurde damit schon alles transportiert und wie viele Bergleute wurden damit zur Schicht gebracht. Sorgt unser Bergbaudenkmal tatsächlich für ein Stück Erinnerungskultur. Haben wir überhaupt noch Interesse an einem solchen Bergbaudenkmal?

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Ich glaube, die eigentliche Erinnerungskultur beginnt im Kopf. Viele Saarländer gebrauchen noch heute Teile der alten Bergmannssprache: „Mutterkletzje“, „Befahren“, „Hartfüßler“, „Kaffekisch“, „Knubbe“, „Gezähe“, „Auf- und Hängen“, „Alter Mann“, „schlechte Wetter“ oder „Partiemann“ gehören fest zum Wortschatz zahlreicher Saarländer/innen. Wenn wir diese Sprache weitersprechen geht sie auch nicht verloren. Ich wünsche mir einen würdigen Umgang mit diesem Wortschatz und hoffe wir finden einen Weg diese Wörter unseren Kindern nahezulegen. Unser Dialekt stirbt langsam aber sicher aus. Mit dem Ende unserer Muttersprache wird auch die Bergmannssprache verloren gehen. Für dieses Stück Erinnerungskultur ist jeder selbst verantwortlich. Es liegt alleine an uns das allgemeine Vergessen zu bekämpfen. „Schwätze ma wie de Mund uus gewach’s es, dann gedd aach nix verlor“.

In dieser Woche wird auf der Homepage des saarländischen Rundfunks ein Bericht von mit erscheinen. Außerdem könnt ihr am Donnerstag, 30. Juni 2022 um 18:50 Uhr im SR-Fernsehen ein Interview mit mir genießen. Ich habe mich für diesen Termin frisch rasiert und habe mir Mühe gegeben deutlich zu reden, ich hoffe ihr versteht mich !

Glück auf !