Kindheitserinnerungen – Am Balken

Ich dürfte 10 Jahre alt gewesen sein: Voller Energie, Tatendrang und Lebensfreude. Obwohl mir die ganze Welt offenstand und ich viele Wege hätte wählen können, gab es da ein einziges Hindernis, dass ich unbedingt überqueren wollte oder musste. Wie einst „Don Quichote“, vor seinen Windmühlen, stand ich am Ufer der Alsbach vor dem schmalen Balken, der die beiden Ufer miteinander verbindet. Ganz früher soll an dieser Stelle schon einmal eine alte Brücke gestanden haben. Als die Zeichen der Zeit diesem alten Bauwerk zu arg zusetzten, ließ man nach dem Abriss der Brücke einfach den Balken stehen. Ich habe bis heute nicht verstanden, wie man damals zu diesem Entschluss kommen konnte.

Nun stand ich also vor diesem Balken und musste irgendwie rüber auf die andere Seite. Jeder schafft dass und so wird es auch mir irgendwie gelingen müssen. Ich redete mir selbst Mut zu und rieb meine feuchten Hände an meiner Hose ab. Rainer hatte mittlerweile die Nerven verloren und herrschte mich an: „Was ist denn? Beeil dich“. „Nichts“, kein Problem, nur kein Stress“, entgegnete ich lässig. Schließlich war es doch nur ein Balken und zudem die einzige Möglichkeit von der einen Seite des Albachsufers zur anderen Seite zu gelangen.

Längst bevor die heutige Alsbachbrücke zwischen Borrwieshalle und der heutigen Grundschule gebaut wurde, gab es dort halt nur diesen einen eisernen Balken, der von einer vorherigen Brückenkonstruktion stammte. Zugegebenermaßen musste man schon etwas balancieren können, um diesen Balken zu überqueren. Für die meisten war das Überlaufen dieses Balkens kein Problem. Ich persönlich hatte immer mit mir selbst zu kämpfen. Selbstvertrauen und Sicherheit gehörten als Kind nicht unbedingt zu meinen Stärken. Rainer war schon drüben und ich musste nun auf die andere Seite. Langsam ging ich Schritt für Schritt über das Gebälk. Auf der anderen Seite angekommen ließ ich mir nichts von meiner Nervosität anmerken. “Kein Problem, los es geht weiter“. Rainer konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und folgte mir in Richtung Alsbachauen.

Der Balken hatte bestenfalls eine Breite von ca. 20 cm. Bei einer Fallhöhe von 1, 80 Metern konnte dem Überläufer ohnehin nicht allzu viel passieren. Täglich nutzten zahlreiche Menschen den Balken als Abkürzung. Obwohl ein paar Meter weiter in Richtung Ortsmitte noch eine Brücke die Alsbach überquerte, nutzen viele Einheimische den Balken um Zeit zu gewinnen. Nach außen hin tat ich immer sicher und souverän, wenn ich jedoch allein war, vermied ich die Überquerung des Balkens. Immerhin war meine Sorge nicht unbegründet. Wenn das Eisen erstmal nass war, stieg die Rutschgefahr enorm. Außer einer nassen Kleidung, ein paar blauer Flecken und einem Bad in der Alsbach konnte jedoch nicht viel passieren. Von daher lag meine Sorge nicht darin mich zu verletzen oder nass zu werden, sondern vielmehr darin mich zu blamieren.

Ich hatte eigentlich immer schon ein Talent dafür, mich zu blamieren. Von daher war dieser Balken für mich eine echte Herausforderung. Bloß nicht fallen, dass gäbe ein Gelächter. Rainer hatte andere Probleme. Zur Anfertigung eines Baumhauses musste eine Leiter von der einen Uferseite zur anderen Seite über den Balken transportiert werden. „Das geht nicht Rainer“ fauchte ich meinen Kameraden an. „Wieso soll das nicht gehen“ erwiderte er entschlossen. Gekniffen hatte ich noch nie also würde ich auch diese Aufgabe angehen. Also ging es mit der Leiter auf der rechten Seite (Grundschulseite) über den Balken. Rainer ging voraus und ich bildete das Ende. In der Mitte des Balkens kamen wir zum ersten Mal ins Wackeln. „Halte ruhig“ fauchte Rainer mich an.“ Ich bin ruhig“ geh jetzt endlich weiter“. Es konnte nicht gut gehen. Als Rainer die andere Seite erreichte und naturgemäß eine kleine Kurve gehen musste war es um mich geschehen. Ich sah die Alsbach immer näherkommen und schlug schließlich mit einem gewaltigen „Rumms“ ins Gewässer.

Rainer hatte seinen Spaß und kam aus dem Lachen nicht mehr raus. Für mich galt: Wie sag ich’s meiner Mutter?! Schließlich hatte Sie mir verboten über den Balken zu gehen. Es nutzte nichts. Nass bis auf die Haut nahm ich den Weg auf mich und ging Nachhause. Meine Oma rette schließlich die Situation und gab mir trocken Kleidung. Mutter weiß bis heute nichts von diesem Vorfall.

Nur wenige Jahre später hatte ich einen Mini-Job als Zeitungsjunge angenommen. Alle zwei Wochen musste ich Zeitschriften und Fernsehzeitungen zu den Leuten bringen. Bereits nach einigen Monaten machte mir die Arbeit keinen Spaß mehr. Mein Vater bestand jedoch darauf, dass ich meine Arbeit fristgerecht erledigte. Die Zeitungen mussten immer von der Wochenmitte bis zum Wochenende verteilt werden. Ich hatte nie Zeit und Lust für diesen Job und nutzte jede mögliche Ausrede und Abkürzung. Eines Tages regnete es stark und der Balken war eigentlich viel zu nass zum überqueren. Ich war jedoch aufgrund meines Fußballtrainings in großer Eile. Immerhin warteten die Jungs bereits auf dem Belker. Ich stand unter enormen Zeitdruck und der unsägliche Regen gab mir den Rest. Um Zeit zu gewinnen, wählte ich mit dem Balken die denkbar schlechteste Variante. Warum hatte ich nicht auf mein Bachgefühl gehört? Ich wusste doch genau, dass nasses Eisen gefährlich glatt werden kann. Natürlich endete auch diese Geschichte für mich in der Alsbach. Diesmal war nicht nur meine Kleidung, sondern auch alle Zeitungen und Zeitschriften klatschnass. Von den Kunden gab es Beschwerden und von meinen Eltern Hausarrest.

Übrigens nahm ich auch schon mal in der Ill ein unfreiwilliges Bad. Aber dass, ist eine andere Geschichte !