Der neue Fußball – Verlorene Bolzplatzmentalität und neue Wort Akrobatik
Die Faszination des Fußballs zieht mich auch heute noch, viele Jahre nach meiner aktiven Laufbahn, in ihren Bann. Ich habe diesem Sport viel zu verdanken und konnte meine Begeisterung bis heute nicht ablegen. Ich erinnere mich an viele schöne Stunden, emotionale Momente, großartige Erfolge aber auch schmerzliche Niederlagen und Enttäuschungen. Als Kind spielten wir jeden Tag auf der „Leh“, der Straße oder auf dem Hartplatz des SV Dirmingen. Auf der Wiese nutzten wir Holz und auf der Straße Kleidungsstücke als Torpfosten. Auf dem Sportplatz spielten wir auf die großen oder kleinen Tore des Vereins. In den meisten Fällen waren diese Tore während der Woche nie benetzt. Jedes erzielte Tor bedeutete gleichzeitig, dass man dem Ball nachlaufen musste, um das Spiel fortzusetzen. Während das auf dem Sportplatz kein Problem war und sich bestenfalls nervend oder ermüdend auswirkte, konnte es auf der Wiese oder der Straße zu echten Problemen kommen. Der Ball konnte die Straße runterrollen oder in den Bäumen hängen bleiben. Außerdem musste man auf Häuserwände, parkende Autos oder Fensterscheiben aufpassen. Beim „eins gegen eins“ auf der Straße, sind in der Regel viele Tore gefallen. Manchmal musste man auch die Straße aufwärts spielen oder sich über eine ungemähte Wiese kämpfen.
Bei diesen Kindheitserinnerungen wird deutlich, wie sehr sich der Fußball in den letzten Jahren verändert hat. Heute verfügen unsere Kids und Jugendliche über bessere Voraussetzungen. Hartplätze gibt es kaum noch und in aller Regel darf der Fußballnachwuchs auf Kunst- oder Naturrasen spielen. Auch der Lederball ist aus der Mode geraten. Heute spielt man mit Fußbällen aus Kunststoff, genauer gesagt Polyurethan. Das Spiel mit dem Lederball war gerade für Kinder sehr anstrengend und oftmals auch schmerzhaft. Ein Fernschuss mit einem durch Regenwasser durchnässten Lederball ist für Kinder kaum möglich. Ein bei minusgraden mit dem Oberschenkel abgewehrter Lederball kann schmerzlich sein. Das Los eines Straßenfußballers ist nicht immer nur mit Ruhm und Ehre verbunden.

Heute bin ich in den erlesenen Kreis der Fernsehfußballer und Couch-Potatos aufgestiegen. Ich fühle mich unter Millionen von Nationaltrainern und Fußballspezialisten wohl. Ich hoffe, dass ich noch viele Jahre diesen anstrengenden Wohnzimmersport erfolgreich betreiben kann. Natürlich gibt es auch heute noch Dinge, die mich kolossal ärgern und die meiner Meinung nach nichts im Fußball verloren haben. Der Erfolg des FC Bayern München geht mal so überhaupt nicht. Zum Sport gehören immer auch Siege und Niederlagen. Der FC Bayern weigert sich seit Jahren Niederlagen hinzunehmen. Das Resultat ist eine ermüdende langeweile Bundesliga. Auch die Tatsache, dass der Fußball viel zu sehr dem schnöden Mammon unterliegt, nervt. Die heutigen Ablösesummen von mehreren hundert Millionen Euro sind nicht mehr vermittelbar. Wo führt das hin?
Was mich aber am meisten nervt ist die neumodische Fußballsprache. König Fußball hatte immer schon sein eigenes Vokabular. Diese Sprache hat uns geprägt und geformt. In den letzten Monaten musste ich feststellen, dass die alte Sprache überholt ist und nicht mehr angewendet wird. Machen wir es kurz: Ich bin Oldschool – Mein Sohn hatte Recht!

Ich gebe zu: Die neue Fußballsprache geht mir manchmal gehörig auf die Nerven. Ich kann dieser Sprache nichts abgewinnen. Die neue Fußballsprache ist eine echte Revolution und lässt Altbekanntes vergessen. Die Fachmänner oder Fachfrauen sprechen heute von einem „halben Achter“, „verkappter Zehner“, „Hinter die Kette kommen“ oder kein „durchkommen in der Box“. Die neuen Trainer wollen viel lieber „1:1 stellen“, oder für „Klarheit in der letzten Zone“ sorgen. Ich habe ewig gebraucht, bis ich begriffen habe, was eine Box ist!
Der Fußball hat sich nicht nur auf dem Platz verändert, sondern auch in seiner Außendarstellung. Heute ist von einem „High pressing“ oder „low pressing“ die Rede. Das Spielfeld wird eingeteilt in eine Boxbesetzung oder eine tiefe Pressing Linie. Ganz ehrlich, so sehr ich diesen Sport liebe, ich komme nicht mehr klar. Natürlich weiß ich mittlerweile, was in den einzelnen Fällen gemeint und welche Spielform gewählt wird. Dennoch fällt es mir immer schwerer der Wort Akrobatik der vielen Sport- Moderatoren zu folgen. Ganz oft frage ich mich: Was will mir der Künstler eigentlich sagen?
Okay, der Fußball hat sich verändert! Schade nur, dass so viel Gewohntes und Altbewährtes auf der Strecke bleibt. Das Spiel als solches muss sich natürlich weiterentwickeln. Der moderne Fußball wird von Ballbesitzphasen und intensiven Pressing beherrscht. Um erfolgreich zu sein, muss man mit der Zeit gehen und seine Möglichkeiten anpassen. Dazu gehört auch, den Sport attraktiv zu gestalten und gerade junge Menschen zu begeistern. Es gehört aber auch dazu, dass die Spieler/innen ihren Sport beherrschen. Heute kassiert schon jeder Kreisligaspieler seine Kohle. Der heutige Fußball hat viele Nebengeräusche: Sportwetten, tausende Fußball-Talkshows und Nachmittagskonferenzen bis dir der Schädel platzt. Wir erleben einen Überkonsum unseres allseits beliebten Fußballsports. Der europäische Fußball ist völlig überstrapaziert. Zuviel Ligen, Wettbewerbe und Konsum. Hinzu kommt ein immer komplizierter werdendes Regelwerk und eine endlose Debatte über den VAR und das Schiedsrichterwesen. Wo soll das hinführen?

Ich wünsche mir die alte Hartplatz- oder Bolzplatzmentalität zurück. Ich sehne mich nach ein wenig mehr Fußballromantik. In einer Zeit in der die Box noch ein 16-er, ein 10-er noch ein Spielmacher, Pressing noch „draufgehen“ oder 1:1 stellen noch ein Zweikampf war. Letztens habe ich ein Champions- League Spiel verfolgt, in dem ein Spieler einen falschen Einwurf fabrizierte. Das muss man sich mal vorstellen. Mein ehemaliger Trainer hätte uns damals um den Platz gejagt. Ich schätze, irgendwann muss man akzeptieren, dass die Zeiten sich ändern. Mir fällt es immer schwerer dem Zirkus und der Show im Fußball zu folgen. Ich wünsche mir die Zeit zurück, als Fußball noch gespielt und nicht performt wurde.