Zum Tag der Deutschen Einheit – Eine Wende war auch in Dirmingen spürbar

Als sogenanntes „Kassettenkind“ hat man die Wende hautnah miterlebt. Die 80-ger Jahre haben bis heute einen festen Platz in meinem Herzen. Das war meine Zeit: Zauberwürfel, Kassettenrecorder, NENA -Poster an der Wand, ZDF -Hitparade und Wetten, dass ..?  am Samstagabend, erstes „Schäfer-Bier“, Walkman auf dem Kopf und die erste Liebe im Herzen.

Die achtziger Jahre waren gezeichnet von politischer Bewegung. Der „kalte Krieg“ sorgte für ein Wettrüsten zwischen Ost und West und die Tschernobyl-Katastrophe, im Jahre 1986, war die erste Ankündigung eines bevorstehenden Overkills. Schon damals machte man sich erheblich Sorgen um die Umwelt, das Baumsterben und den Klimawandel. Leider waren die Leute damals nicht so bissig wie heute. Die 80-ger gehören bis heute zu den beliebtesten Jahrzehnten der Deutschen. Die Saarländerin Nicole gewann 1982 mit „Ein bisschen Frieden“ den ESC und Tennislegende Steffi Graf begeisterte die Sport- und Männerwelt. Die Musik dieses Zeitalters hat bis heute einen hohen Stellenwert. Von handgemachter Rockmusik, über die ersten Technotöne bis hin zu der „Neuen Deutschen Welle“. Die 80-ger waren schrill und vielfältig. Punks und Popper stritten über den besten Styl und in den Kinos lief „Footloose“, „La Boum“ oder „Flaschdance“. Im Fernsehen hingegen liefen mit „Dallas“ und „Denver-Clan“ die ersten „Daily Soaps“ wobei der Tatort mit Horst Schimanski seinen ersten Kult-Kommissar bekam. Im Radio lief ein Ohrwurm nach dem anderen. Von „99 Luftballons“ bis „Forever Young“ über „Thriller“ bis hin „Material Girl“. Ich habe mich mein Leben lang nach den besten weißen Turnschuhen der Welt, die ADIDAS -Allround, gesehnt. Bekommen habe ich sie leider nie.

Bekommen haben wir alle dafür aber eines der bedeutendsten historischen Ereignisse der Nachkriegszeit: Die Wende. Für mich persönlich der Sturz der Mauer ein absoluter Glücksfall. Die Diskussion um Wessis und Ossis habe ich nie verstanden. Aus meiner Sicht wuchs am 09. November 1989 zusammen, was zusammengehört.

Wenn ich mich mit meinen Kindern über dieses historische Ereignis unterhalten möchte, vergesse ich allzu oft, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht geboren waren. Meine älteste Tochter kam gerade einmal 6 Jahre später auf die Welt. Die heutigen Generationen haben nur noch wenig Bezug zu den damaligen Ereignissen rund um den Mauerfall. Irgendwie hat das auch seine Vorteile. Die endlosen Diskussionen über den besseren Lebensstandard hängen mir zum Hals raus. Unsere Kinder sollen ohne Vorbehalte in Freiheit aufwachsen. Dabei darf die Herkunft niemals eine Rolle spielen. Dies wäre ohnehin ein Fehler, immerhin ist der Osten wunderschön. Ich bleibe dabei, für mich war der Mauerfall und die damit verbundene Wende eine wunderbare Sache, die längst überfällig war. Fakt ist: Die Wiedervereinigung ist auch über 30 Jahre danach längst nicht abgeschlossen. Der Osten hängt in vielerlei Hinsicht noch hinterher. Die Löhne und Renten sind geringer als im Westen und die Anzahl der Menschen, die von Sozialhilfe leben ist weitaus höher als bei uns. Es gibt also noch einiges zu tun.

Im Saarland war bis zu diesem besagten 09. November nur wenig von der östlichen Aufbruchstimmung zu spüren. Die Gruppe „Kaoma“ erstürmte, im Herbst 89, mit ihrem Hit „Lambada“ die Charts und die Gruppe „Milli Vanilli“ war im Begriff ihr Publikum zu veralbern. Der Fußball hatte mich damals voll im Griff, wobei ich mich in diesem Jahr über den Pokalsieg von Borussia Dortmund über Werder Bremen freuen durfte. Der FC Saarbrücken verlor die Relegation gegen Eintracht Frankfurt und im April des Jahres 89 kam es im Hillsborough-Stadion im nordenglischen Sheffield zu einer Katastrophe, bei der 96 Menschen ihr Leben verloren. Anlass war das Halbfinale des englischen FA-Cups zwischen Nottingham Forest und dem FC Liverpool.

Ich arbeitete damals als Bergmann auf dem Bergwerk Camphausen und musste zu diesem Zeitpunkt vier Schichten fahren. Die FCS Stammtischrunde Dirmingen wurde gegründet und die „Blau-Schwarzen“ aus der Landeshauptstadt zogen zahlreiche Dirminger in ihren Bann. Ich spielte in der zweiten Mannschaft des SV Dirmingen, wobei ich mir gerade zu dieser Zeit selbst im Weg stand. Manche Zeitgenossen vertraten damals der Meinung, dass ich mein bisschen Talent verschwenden würde. Es fiel mir zusehends schwerer auf das gute „Schäfer Bier“ zu verzichten und um die saarländische Küche meiner Oma Erna konnte ich einfach keinen Bogen machen. In meiner Stammkneipe „Alte Post“ fühlte ich mich wohl und konnte vom Alltag Abstand gewinnen. Jedes Wochenende ging es in „Charly’s Disco“. Im Grunde ging es bei allem was wir machten nur um eines: Mädchen !

In Dirmingen ging man zur Zeit der ersten Montagsdemonstration am 4. September 1989 dem täglichen Leben nach. Ein Jahr vor der Wende wurde die historische „Alte Mühle“ abgebrochen und im Jahre 1989 kämpfte der SVD und die gesamte Dirminger Kommunalpolitik um eine Erneuerung der Sportplatzdecke. Der Umgangston zwischen den ortsansässigen Parteien war hart und Schuldzuweisungen an der Tagesordnung. Unser Dorf hatte gegen Ende der 1980-ger Jahre das alte Gemeindehaus, die alte evangelische Schule, die „Alte Mühle“ und das alte Doktorhaus durch Abbrucharbeiten verloren. Binnen weniger Jahre veränderte sich das Ortsbild unseres Dorfes. Vieles war im Wandel. Irgendwie gab es zu diesem Zeitpunkt auch in Dirmingen eine Wende.

Im Herbst 1989 drängte eine Demokratiebewegung, die zu einem verstärkten Ausreisestrom führte, die damalige DDR-Führung in die Defensive. Ab Mitte Oktober überschlugen sich die Ereignisse. Die Auswirkungen waren bis in Saarland spürbar. Immer mehr Menschen flüchteten über Ungarn nach Deutschland. Ohne Gewalt, mit viel Beharrlichkeit, setzte sich die sogenannte „Macht der Straße“ Stück für Stück durch. Wir saßen damals ganz oft zusammen am Stammtisch und fragten uns wie das wohl enden wird und wie lange die DDR -Führung noch stillhält. Keiner konnte sich vorstellen, dass diese Vorkommnisse zum Fall der Mauer führen würden. Damals gab es auch kritische Stimmen, die sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machten. Die Frage: Wer das alles bezahlen sollte stellte sich schon damals. An solchen Diskussionen habe ich mich niemals beteiligt. Ich konnte sehr gut nachvollziehen, dass die Menschen sich nach Freiheit sehnten. Ich habe mich schon damals von jeder Art der Fremdenfeindlichkeit distanziert. Zur Wahrheit gehört jedoch sehr wohl, dass es auch in unserer Region nicht nur Beifall für die friedlichen Demonstrationen im Osten gab. Ich persönlich war von der friedlichen Freiheitsbewegung überwältigt. Man darf nicht vergessen, dass diese Bewegung alleine auf der Straße entstand.

Zum eigentlichen Fall der Mauer trug die geschichtsträchtige Pressekonferenz am Abend des 9. November 1989 bei. Kaum eine andere Pressekonferenz ist den Deutschen bis heute so in Erinnerung geblieben, wie diese des 9. November 1989 in Ost-Berlin. Einverstanden, vielleicht kann die „Flasche leer-Konferenz“ von Bayerns Trainer Trapattoni noch mithalten. Letztendlich sollte die Pressekonferenz in Ost-Berlin jedoch alles verändern. Der SED-Funktionär Günter Schabowski gab die neuen Regelungen für Westreisen bekannt. Mit seinem damaligen legendären Statement riss er praktisch die Mauer im Alleingang ein. Dabei war alles ganz anders geplant. Auf Schabowskis berühmtem Zettel war keinerlei Sperrvermerk zu lesen, obwohl der ja eigentlich geplant war. Dieser kleine Fehler führte zu diesem wunderbaren historischen Mauerfall.

Als der rot-weiße Schlagbaum am Berliner Grenzübergang „Bornholmer Straße“ fiel, wurde Geschichte geschrieben. Es war Donnerstag, 9. November 1989 und ich hatte Frühschicht. Nach meiner Schichte hatte ich mich auf die Couch gelegt um wenig Augenpflege betreiben. Als ich aufwachte lief das Fernsehgerät. Den ganzen Tag berichteten die Sender von flüchtenden DDR- Bürger, die sich auf den Weg in den Westen machten.

Die legendäre Pressekonferenz in Ost-Berlin lief bis ca.19:00 Uhr. Ganz am Ende der Veranstaltung ging Schabowski auf die Ausreisereglung ein. Großes Erstaunen im Saal, darauf die Frage „Ab wann tritt das in Kraft?“ Als Schabowksi antwortete: „Das tritt nach meiner Kenntnis… ab sofort, unverzüglich“ war es praktisch gelaufen. Der Einsturz der Mauer war nicht mehr zu verhindern. Ab 19:00 wurde es in den ersten Radiosendern gemeldet und um 20:00 Uhr wurde es offiziell in der Tagesschau gebracht. Die Mauer war praktisch gefallen das DDR-Regime stand vor dem Ende. Ich spürte sofort, dass da gerade etwas ganz besonderes passierte. Ich erinnere mich noch ganz genau daran, dass ich mir alle Sondersendungen anschaute und aus dem Staunen nicht mehr rauskam. Was bitte war da heute passiert? Ich streifte meine Jacke über und ging zu meiner Stammkneipe „Alte Post“. Auf diesen Schreck brauchte ich erstmal ein gutes „Schäfer-Bier“. An der Theke angekommen staunte ich über die Unwissenheit der anderen Gäste. Die Leute dort wussten noch nichts und sahen mich mit großen Augen an. Bis in die späte Nacht haben wir debattiert, geredet und auch diskutiert. Wir waren uns darüber einig, dass wir Zeitzeuge eines der bedeutendsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts geworden sind. Schon ein paar Tage später lernte ich den ersten ostdeutschen Einwanderer in unserem Dorf kennen. Gehalten hat ihn jedoch nichts in unserem Heimatort.

Ich denke noch heute gerne an den Mauerfall und die darauffolgende Wende zurück. Als Jugendlicher habe ich nie verstanden, warum man ein Land durch eine Mauer geteilt hat. Heute ist das alles Geschichte. Dabei können wir sehr viel von den damaligen Geschehnissen lernen. Menschen stehen auf, nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand und schaffen gemeinsam, auf der Straße, etwas Historisches. Ist das nicht wunderbar? Hand in Hand wurde für die Freiheit gekämpft: „…die Mauer muss weg“ oder „…wir sind das Volk“ sind unvergessene Sätze die als Meilensteine in unsere Geschichtsbücher eingingen.

Moment: „…wir sind das Volk“, da war doch was? Neulich ist mir zu Ohren gekommen, dass dieser Satz von der rechten Szene auf diversen Corona Demonstrationen gerufen wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies im Sinne der Menschen ist, die im Jahre 1989 für ihre Freiheit auf die Straße gingen.

Ich freue mich über die Wiedervereinigung. Herzlichen Glückwunsch‘ Bundesrepublik Deutschland oder soll ich schreiben: „Bunte Republik Deutschland“?

Egal beides ist sympathisch und gut. Übrigens: Die Wende-Hymne „Wind of Change“ von den Scorpions wurde erst 1990 veröffentlicht und Udo Lindenberg war niemals mit dem Sonderzug in Pankow (1983).

Welche Erinnerungen habt ihr an den Mauerfall und die Wende? 30 Jahre danach, was ist geblieben? Ich freue mich über jeden Kommentar auf dieser Seite!

Ein Kommentar

  • Wahrhaft „Historische Ereignisse“ wie die Wiedervereiniung machen uns oft allzu euphorisch. Das ging uns im Sport ja genau so beim „Sommermärchen“ – oder? Vergessen wir jedoch nicht den Beipackzettel, wie er allen Medizinalprodukten beiliegt: „Zu Risiken oder Nebenwirkungen fragen Sie…….“ Bei historischen Ereignissen hilft dies wenig. Es hilft nur seinen gesunden Menschenverstand zu befragen. Die Saarländer meiner Generation kennen ja nicht nur eine Wiedervereinigung mit all deren Folgen. Wir haben die „kleine Wiedervereinigung“ – die Angliederung des Saarlandes an die Bundesrepublik mit all ihren Folgen noch miterlebt. Die „große Wiedervereinigung“ oder besser gesagt „Angliederung“ ist und war nichts Anderes. Nur die Risiken und Nebenwirkungen derselben zeitigen bis heute noch diese unsere gesamte Republik – auch wenn es den Meisten – insbesonders den Westdeutschen – so nicht bewusst ist. Es ist an der Zeit den Jungen unserer Gesellschaft die historischen Wurzeln socher Ereignisse nahezubringen und ihnen klarzumachen wie verletztlich unsere Demokratie und damit wir alle als Teil unserer Gesellschaft sind.

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