Stille Nacht – Gestern wie heute – Weihnachten zu schweren Zeiten

Stille Nacht, Heilige Nacht, Alles schläft, einsam wacht nur das traute hochheilige Paar. Holder Knabe im lockigen Haar, Schlaf in himmlischer Ruh! Schlaf in himmlischer Ruh!”

(Stille Nacht – Melodie Franz Xaver Gruber, Text von Joseph Mohr -24.12.1818)

Als ich letztens durchs Dorf ging, sprach mich ein guter Bekannter an. Mit seinen fast 85 Jahren hat er vieles gesehen und erlebt. Mit bedeckter Stimme sagt er zu mir: “…, dass hier ist schlimmer als der Krieg.“ Ich erwiderte: “Meinst du wirklich?“, er antwortete: „ja, da konnten wir wenigstens noch frei rumlaufen und uns die Hand reichen.“

Seine Worte machten mich nachdenklich. Ist das tatsächlich so? Angesichts der vielen Opfer, die diese Pandemie mit sich bringt, ist man leicht dazu hingerissen dem guten Mann recht zu geben. Dennoch tue ich mir schwer damit die aktuelle Situation, um die Corona-Pandemie, mit einem Kriegszustand zu vergleichen. Die Menschen in unserem Dorf hatten im zweiten Weltkrieg kaum eine Chance und nur wenige Möglichkeiten sich zu schützen. Während der Bombenangriffe schützten sich die Menschen in einem Bunker, heute nutzen wir den Mund -und Nasenschutz. Welches Übel wiegt schwerer?

Weihnachten 2020: Ein Leben im Abstand und ohne soziale Kontakte. Keine Weihnachtsmärkte, keine Gottesdienste, kein Krippenspiel und kein gemeinsames Singen. Unmittelbar vor dem Fest wird ein harter „Lockdown“ verhängt. Geschäfte müssen schließen und Kontakte stark eingeschränkt werden. Die Vereinsamung schreitet unaufhaltsam voran. Ältere Menschen dürfen keinen Besuch erhalten und müssen Weihnachten allein verbringen. Die Nerven liegen blank und die Stimmung ist gereizt. Jeder wartet auf das Heilmittel wobei sich nur knapp die Hälfte der Menschen impfen lassen möchten. Die sogenannte Corona-Depression macht die Runde. Weihnachten darf nur im engsten Familienkreis gefeiert werden. Viele von uns bleiben auf der Strecke und wünschen sich, dass dieses Fest nur schnell vorbeigehen möchte. Kurzum, keine schönen Zeiten. Wie aber war das vor 80 Jahren während des zweiten Weltkrieges: Ich habe mir in unseren Dorfchroniken einmal die beiden Tagebucheintragungen der katholischen Volksschullehrerin Anna Andres und dem damaligen Pastor Didas, von der katholischen Pfarrgemeinde Dirmingen angesehen.

Erinnerung von Anna Andres:

„Im November des Jahres 1944 erreichte die Front die Saar. Das große Elend in den Städten und Dörfern begann. Flüchtlinge durchliefen im Stundentakt unseren Heimatort. Tagelang zogen die Flüchtlingskolonnen bei Regen und Kälte durch unsere Heimat. Im Winter 1944 waren viele Flüchtlinge in unserem Dorf. Die meisten wollten in den Dörfern das Kriegsende abwarten und sich wohlmöglich verstecken. Der Angriff der Amerikaner an der unteren Saar war etwas ins Stocken geraten, und so ging es auf Weihnachten. Am heiligen Abend 1944 erlebte unser Dorf wieder zwei schwere Jabo-Angriffe, und es waren Menschenleben und großer Sachschaden zu beklagen. Die Bewohner verbrachten diesen Heiligen Abend meist in Bunkern und Kellern. Unter dem Eindruck der fortdauernden Angriffe auf unser Dorf machte die katholische Pfarrgemeinde am Weihnachtsmorgen in der Mette das feierliche Gelöbnis, der Mutter Gottes eine Kapelle zu erbauen und flehte Sie um Hilfe an. Das Dorf kam jedoch nicht zur Ruhe. Die Angriffe dauerten an unserem Dorf immer neue Wunden schlagend. Dirmingen war darob in der ganzen Umgebung so berüchtigt, dass sich ein Fremder nicht gern hier aufhielt.“

Gottlob hat die Pandemie in unserem Dorf bisher nur wenige schwere Opfer gefordert. Am Heiligen Abend 1944 hingegen fielen allein zwei Soldaten den schweren Jabo-Angriffen zum Opfer. Ich glaube das diese beiden Katastrophen nicht zu vergleichen sind. Auch am Heiligen Abend 1944 gab, wie wahrscheinlich in diesem Jahr, keinen Schnee. Gott sei dank, denn was die Menschen in dieser Zeit mit Sicherheit nicht benötigten, war Kälte oder Schnee. Schon allein der Regen, der an diesem Tag auf unser Dorf fiel, machte den Menschen zu schaffen. Der Krieg ging in seine finale Phase und die deutschen Truppen waren der Luftüberlegenheit der Alliierten ausgesetzt. Die sogenannte Ardennenoffensive war gescheitert. Mein Großvater Artur Klein kämpfte zu dieser Zeit an der Front. Die Sorgen um Zuhause müssen ihn wahnsinnig gemacht haben. Das Weihnachtsfest meines Großvaters verlief wahrscheinlich äußerst bescheiden. Kein Tannenbaum, keine Kerzen und auch kein Gebäck oder Lebkuchen. Das Leben an der Front oder Zuhause im Bunker war alles andere als erstrebenswert.

Kriegs-Protokoll von 24.12.1944: Jabo-Angriffe auf Dirmingen um 12:45 Uhr, 2. Soldaten gefallen, 4 Frauen schwer verwundet, mehrere leicht verwundet. Haus Brück Wilhelm zerstört, Haus Josef Klein, schwerer Schaden, Haus Peter Schorr, Haus Jakob Schneider schwerer Schaden, zweiter Angriff auf Dirmingen um 16:00 Uhr, ein Bauernhaus schwer beschädigt, viel Glas und Dachschaden.

Erinnerung von Pastor Didas:

24. Dezember 1944: „Heftiger Angriff feindlicher Jagdflieger auf Dirmingen. Am Morgen während des Hochamts überflog ein Verband den Ort. Um die Mittagszeit erfolgte der Angriff. Durch die abgeworfenen Bomben wurde auf dem Gänseberg ein Haus völlig zerstört (Brück), das ehemalige Eisenbahnhaus so mitgenommen, dass es baufällig und unbewohnbar geworden ist. Hier wird ein Soldat, der bei Klein einquartiert war, tödlich getroffen. Er war, als der Angriff erfolgte, in der Scheune beim Pferdeputzen. Um sich in Sicherheit zu bringen, sprang er hinten in der Scheune heraus, um in den Keller zu gelangen, dabei hat es ihn erwischt. Tragisch, weil beim Einsatz an der Front ihm nichts passierte. Die Familie Klein blieb heil. Zwar war ein Kind des in Russland vermissten Aloys Klein verschüttet; es wurde aber sofort von der Mutter herausgebuddelt und blieb so unversehrt. Auf dem Gänsberg kam ein Soldat zu Tode, der bei seinen Eltern auf Urlaub war.- Der Nachmittags-Gottesdienst fällt aus. Am Nachmittag folgt der 2. Angriff auf unser Dorf.“

25. Dezember 1944: Weihnachten: Halb 6 Uhr Mette. Kann ungestört gehalten werden. Viertel nach sieben 2. Hl Messe, halb neun: Hochamt. In der Mette habe ich gepredigt. In den anderen Messen wagte ich es nicht. Um die Mittagszeit fliegt ein starker Bomberverband durch. Vesper fällt aus. Um 4 Uhr habe ich die Beichte angesetzt, aber erst als es dunkel wird, wagen einige Leute zu kommen.

25. Dezember 1944: Keine besonderen Vorkommnisse.

Weihnachten 2020: Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnet die Corona-Pandemie als „…die größte Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg.“ Ist das angebracht oder übertrieben? Immerhin dürfen wir das diesjährige Weihnachtsfest mit allem vorhandenen Komfort in unserer schönen warmen Wohnung genießen. Während des zweiten Weltkrieges verbrachten die Menschen das Weihnachtsfest in ihren Bunkern. In Folge der Pandemie mussten Gaststätten, Geschäfte und Fachbetriebe schließen. Viele Gewerbe drohen diese Pandemie nicht zu überleben. Anstatt dem eigenen Gewerbetreibenden unter die Arme zu greifen lassen wir uns zu Hamstereinkäufen hinreißen und bestellen sogar unser tägliches Brot online im Netz. Die Gewinner dieser Pandemie sind die großen Konzerne. Fakt ist: Die Menschen lebten damals und auch heute in Todesnagst. War es im zweiten Weltkrieg noch die Furcht vor herabfallenden Bomben, so ist es heute die Angst vor dem stillen, unsichtbaren Killer.

Nach einigen Überlegungen bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass man die derzeitige Pandemie nicht mit dem Krieg vergleichen kann. Jeder Vergleich hinkt und wird der Sache nicht gerecht. Nein, es sind bestimmt keine leichten Zeiten, die wir alle derzeit erleben. Dennoch befinden wir uns definitiv nicht im Krieg. Vielleicht sollten wir die Pandemie als Chance erkennen. Jedes Ende birgt ein Neunanfang. Am Ende können wir sogar gestärkt aus dieser Katastrophe hervorgehen. Vielleicht sollten wir uns ein Beispiel an den Menschen nehmen, die im zweiten Weltkrieg in unserem Dorf lebten. Das Miteinander und die Solidarität wurden gerade zu Kriegszeiten großgeschrieben. Man teilte sein Brot und seinen letzten Pfennig. Der Krieg bewirkte, dass die Menschen sich wieder gegenseitig aufrichteten. Wenn diese Pandemie am Ende zu etwas gut gewesen sein sollte, dann genau dafür!  

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