Ursachenforschung – Woher kommt der Hass auf Juden ?

Schon in Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ protestiert der Jude Shylock zu Recht gegen jegliche Form von Antisemitismus.  Ich kann den heute wieder aufflammenden Hass auf Juden nicht nachvollziehen und frage mich woher diese Abneigung kommt. Wenn heute wieder in deutschen Straßen: „Scheiß Jude“ gerufen wird, macht mich das traurig.

„Und was hat er für Grund! Ich bin ein Jude. Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen? Sind wir euch in allen Dingen ähnlich, so wollen wir’s euch auch darin gleich tun. Wenn ein Jude einen Christen beleidigt, was ist seine Demut? Rache. Wenn ein Christ einen Juden beleidigt, was muss seine Geduld sein nach christlichem Vorbild? Nu, Rache. Die Bosheit, die ihr mich lehrt, die will ich ausüben, und es muss schlimm hergehen, oder ich will es meinen Meistern zuvortun.

(Quelle: Der Kaufmann von Venedig; 1600 ; Shylock)

Der Hass auf Juden ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Manchmal frage ich mich, woher diese Abneigung rührt und wie sie über Generationen hinaus übertragen wird. Woher stammt der Antisemitismus, der bis in die kleinsten Dörfer reicht. Ich persönlich kenne keinen Menschen mit jüdischen Wurzeln. Ich hatte auch noch nie das Vergnügen mich mit jemanden auszutauschen, der jüdischen Glaubens ist. Eigentlich schade, ich kann mir leider kein eigenes Bild machen. Der Hass auf Juden geht weit zurück, wobei schon die Christen den Juden vorwarfen, dass sie an der Kreuzigung von Jesus Christus die Verantwortung tragen. Im Mittelalter wurden Juden verfolgt, weil man ihnen angebliche Kindsmorde unterstellt hat. Ganz oft waren Juden schlaue und intelligente Menschen, die ihren Zeitgenossen etwas voraushatten. Der Neid auf die reichen Juden kam schon recht früh zur Geltung. Bis heute gibt es zahlreiche Verschwörungsmythen gegen das Judentum. Irgendwie wird diesem Volk immer die Schuld gegeben. Warum eigentlich?

Leider findet die Geschichte der Juden in unserem Land ihren traurigen Höhepunkt. Das Drama gipfelte während des Nationalsozialismus in einem echten Massenmord. Sechs Millionen Juden wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Sechs Millionen. Davon rund vier Millionen in Konzentrations- und Vernichtungslagern. Viele unserer Mitbürger haben damals weggesehen oder wussten überhaupt nichts von diesen Gräueltaten. Ganz nebenbei ist der Nationalsozialismus nicht die einzige Sünde unseres Volkes. In den letzten Tagen erreichte uns die Nachricht, dass Deutschland endlich die Gräueltaten an den Nama und den Herero als Völkermord anerkennt. Im Jahre 1904 fielen dem verbrecherischen Vorgehen der deutschen „Schutztruppe“ in Afrika bis zu 95. 000 Menschen vom Stamm der Herero und Nama zum Opfer. Dieses historische Ereignis gilt nachweislich als der erste verbrecherische Völkermord.

Unsere Chroniken geben keine Hinweise darauf, ob in Dirmingen zur Zeit des Holocaust jüdische Mitbürger lebten. Absolut sicher kann man sich diesbezüglich jedoch nicht sein. Meine Recherchen im Staatsarchiv Saarbrücken haben jedoch ergeben, dass zumindest keine jüdischen Opfer aus Dirmingen zu beklagen waren. In unserem Nachbarort Illingen hingegen gab es seit Beginn des 18. Jahrhunderts jüdische Mitbürger. Aus vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass gegen Mitte des 18.Jahrhunderts in Illingen der jüdische Begräbnisplatz angelegt wurden. Später entstand sogar eine jüdische Gemeinde. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde in Illingen vermehrt antisemitisches Gedankengut verbreitet. Zwischen 1933 und 1939 mussten mehr als 100 Juden aus Illingen ihren Heimatort verlassen. Während des Novemberpogroms von 1938 wurde die vorhandene Synagoge von den Nazis geplündert und angezündet. Das Gebäude brannte bis auf die Grundmauern nieder und die restlichen Juden mussten fliehen oder wurden festgenommen. Die einheimischen Juden wurden auf LKWs abtransportiert. Illingen liegt nun mal knapp 8 Kilometer von Dirmingen entfernt. Wie haben unsere Landsleute damals reagiert? Aufgrund der Nähe zu Illingen können wir davon ausgehen, dass einige jüdische Mitmenschen auch Kontakt nach Dirmingen pflegten.

Woher kommt der Hass auf Juden? Ich persönlich kann mit dieser Abneigung nichts anfangen. Ich möchte mich auch nicht verantwortlich fühlen müssen. Meine Familie hat während der beiden Weltkriege große Opfer gebracht. Mein Ur-Großvater fiel während des ersten Weltkrieges in Russland und mein Großvater während des zweiten Weltkrieges an der Ostfront. Meine Großtante wurde während eines Luftangriffs auf Dirmingen getötet und aus meinem entfernten Verwandtschaftkreis wurde sogar jemand wegen seiner politischen Einstellung, in einem Konzentrationslager getötet.  Ich könnte also gut und gerne fragen: Was gehen mich eure Götter an???

Das wäre jedoch zu einfach! Schließlich ist es auch mein Land und auch ich habe in diesem Land meine Geschichte. Der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer sagte einmal: „Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht.“  Ich schließe mich diesem guten Zitat an. Wir alle tragen die Verantwortung, dass es nicht wieder geschieht. Wehret den Anfängen und setzt ein Signal für Menschlichkeit. Zugegebenermaßen wird das gerade für die jüngere Generation, aufgrund ihrer fehlenden Bindung zur Geschichte, immer schwieriger. Das Netz sorgt mit Fehlinformationen ganz oft dafür, dass Hass entsteht.

Bei vielen Corona-Demonstrationen findet man Rechtsextremisten, Linksextremisten, Reichsbürger, Impfgegner und auch christliche Gruppen. Alle sind davon überzeugt, dass ihre Grundrechte zu Unrecht eingeschränkt wurden. Ich persönliche glaube jedoch, dass gerade die rechtsradikale Szene diese Bühne zur Eigenprofilierung nutzt. Auf vielen Demonstrationen werden erneut Juden für die Pandemie verantwortlich gemacht. Anderorts vergleichen sich manche Coronaleugner mit Holocaustopfern. Gezeigt wird der Davidstern mit der Inschrift „Corona“. Ich frage mich: “Geht’s noch“? Ich lasse jedem seine Meinung und wenn ich mich bemühe, kann ich alles verstehen. Für solche Aktionen fehlt mir jedoch die jegliche Form von Empathie. Höhepunkt dieser unrühmlichen Entwicklung, war der Auftritt eines Elfjährigen Mädchens, während der „Querdenker“-Demo in Stuttgart, die sich mit der Jüdin Anne Frank verglichen hatte. Dabei verurteile ich keineswegs das Mädchen, sondern vielmehr ihre Eltern.  

Jetzt hat es im Nahen Osten wieder geknallt. Der Konflikt um die Region Palästina zwischen Juden und Palästinensern begann im 20. Jahrhundert, wobei bis heute kein Ende in Sicht ist. Alle politischen Bemühungen waren bisher erfolglos. Man fragt sich: Was hat das alles mit dem Antisemitismus in unserem Land zu tun ? Als die ersten Demonstrationen gegen das jüdische Volk aufflammten stand ich vor der Frage, warum man dies hier in unserem Land ausdiskutieren muss. Irgendwie scheint unser Land mit seiner Demonstrationsfreiheit eine gute Bühne zu bieten. Auch Kurden oder Osteuropäer demonstrierten in unserem Land für ihre Rechte in ihrem Heimatland. Soweit so gut, ich habe damit grundsätzlich kein Problem. Die Kosten trägt jedoch der Steuerzahler und die Verantwortung bekommt immer die Politik in die Schuhe geschoben. Wahrscheinlich ist dies der Preis für unser unsägliches Verhalten während des Nationalsozialismus. Genau dort schließt sich der Kreis und es stellt sich die Frage, was können meine Kinder dafür, dass die Leute sich in Nahost nicht vertragen?

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass gerade unser Volk gegenüber den Juden eine gewisse Verantwortung trägt. Wobei bei den jüngsten Demonstrationen gegen den Nahost Konflikt überwiegend Menschen aus Palästina „Scheiß Juden“ schrien. Keine Frage, natürlich findet man während diesen Demonstrationen auch Vertreter der rechten Szene. Witzigerweise zeugen deren Nachnamen ganz oft davon, dass ihre Wurzeln nicht in Deutschland liegen. Grundsätzlich haben Diskriminierungen und Fremdenhass jeglicher Art nichts in unserem Land verloren !

Ich für meinen Teil halte es mit Sophie Scholl die während des Verhörs sagte: „Ich für meine Person will mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben.“ Dabei wurde die gute Sophie Scholl von der rechen Szene auch schon zu Propagandazwecken benutzt. Plakate mit der Aufschrift „Sophie Scholl würde…..wählen“ entziehen sich jeder Grundlage und sind aus meiner Sicht untragbar.

Vielmehr sollte uns ein weiteres Zitat von Sophie Scholl wachrütteln und zur Vorsicht mahnen:

„Der wirkliche Schaden geschieht durch jene Millionen die „überleben“ wollen. Die ehrlichen Männer die nur in Ruhe gelassen werden wollen. Jene die ihre kleinen Leben nicht durch etwas Größeres als sie selbst gestört haben wollen. Jene ohne Seiten und ohne Gründe.““

Zitat : Sophie Scholl

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