Wo ist bloß mein Fußballfieber geblieben ?

Seit meinem 6. Lebensjahr bin ich dem Fußball verbunden. Dabei habe ich selbst 45 Jahre aktiv in Jugend, Männer und Alt- Herrenmannschaft gespielt. Über 25 Jahre war ich Vorstandsmitglied in meinem Heimatverein dem SV Dirmingen, davon 18 Jahre Jugendleiter und Jugendtrainer. Im Jahre 2006 wechselte ich als Funktionär zum, Saarländischen Fußballverband und war dort als Jugend-Staffelleiter und später 6 Jahre als Kreisjugendleiter tätig. Ich habe dem Fußball ein Großteil meines Lebens gewidmet und bin diesem Sport bis heute dankbar. Der Fußball hat mir viele schöne Stunden geschenkt. Jedes Jahr freue ich mich auf die Eröffnung der Bundesligasaison einer EM oder WM. Ungeduldig fiebere ich sogar der Eröffnung der Bezirksliga-Saison entgegen und freue mich auf die vielen Jugendspiele.

Bei der Eröffnung der diesjährigen Europameisterschaft ertappte ich mich jedoch dabei, dass ich dieses Spektakel ganz nebenbei und völlig emotionslos verfolgte. Was ist passiert? Wo ist mein Fußballfieber geblieben? Schon einige Tage vor dem EM-Start in Rom verspürte ich keinerlei Vorfreude. Von Euphorie und Begeisterung konnte keine Rede sein.

Früher war auch nicht alles gut aber zumindest anders und vielleicht besser. Ein Spiel der deutschen Elf durfte man nicht verpassen. Meistens wurde schon Stunden vor der Partie vorgeglüht. Während der Begegnung lagen die Nerven blank und nicht selten flossen bei einer Niederlage sogar die Tränen. Das alles kann ich mir heute kaum noch vorstellen. Das mag unter anderem auch an der Vielzahl der Spiele liegen. Sicherlich liegt es auch daran, dass man älter wird und mit den Jahren auch etwas ruhiger und gelassener. Hauptsächlich liegt es jedoch daran, dass mit den Jahren die Identifikation mit dem Team auf der Strecke blieb.

Autos mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen, Nationalfarben auf den Wangen gemalt und das feierwütige Volk im schwarz-weißen Dress gehüllt. Fehlanzeige. Warum habe ich in diesem Jahr keine EM-Stimmung? Die erste Ursachenerforschung ergab, dass der Patient unter starker Unlust leidet. Neben der Pandemie dürfte der aufgeblähte Turniermodus und der Zustand unserer Nationalelf eine Rolle spielen. Selten herrschte eine so deutliche Kluft zwischen Mannschaft und Fans. Zugegeben, als ich während der Eröffnung die Fans im Stadion sah, habe ich mich gefreut. Endlich wieder Zuschauer und Emotionen.

Der Fußball hat sich verändert und die Pandemie hat die vielen Probleme verdeutlicht. Die Kluft zwischen Fans und Vereine, Funktionären und Spielern ist gewachsen. Während vielerorts Vereine wegen der Pandemie an den Abgrund gedrängt wurden, handelte unsere Nationalmannschaft eine Rekord EM-Prämie von 400 000,- € pro Spieler heraus. Wo sind die Spieler die Zu fuß durch Europa laufen würden, nur um einmal den Adler auf der Brust tragen zu dürfen? Unsere U-21 zeigte, wie es gehen kann. Mit viel Herzblut, Bescheidenheit und einer großen Portion Demut und Einsatzwille wurde die Europameisterschaft gewonnen. Das hat Spaß gemacht!

Der Fußball von Heute vergisst immer öfter diejenigen die ihn tragen. Wenn die Identifikation mit der Mannschaft verloren geht, steht das Turnier auf wackeligen Beinen. Unser Fußball hat längst viele seiner Werte verloren. Für Geld werden sogar Länder unterstützt die Menschenrechte mit Füßen treten. Kinderarbeit wird mal kurz vergessen und für ein Trikot der deutschen Elf muss ein Schulkind gut und gerne das Taschengeld eines ganzen Jahres opfern. Was interessiert den Fußballstar, den Arbeiter, der in Katar bei über 45 Grad bis zu 12 Stunden am Tag schuften muss, um mit wenig Lohn seine Familie zu ernähren.

Unser Fußball ist erkrankt und benötigt dringend einen erheblichen Reformprozess. Dabei muss die Basis viel enger mit einbezogen werden. Vereine und auch Spieler vergessen immer öfter, dass sie über eine große Vorbildfunktion verfügen. Der DFB, immerhin einer der größten Dachverbände weltweit, schlittert von einer Krise in die Nächste. Kein Mensch in Sicht, der in der Lage wäre, dem Verband eine Stabilität zu verleihen. Aus meiner Sicht der Dinge hilft nur eines: Back tot he Roots – Zurück zu den Wurzeln. Fairness muss man nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch im Ehrenamt und im Umgang mit den Mitgliedern und Vereinen walten lassen. Es gibt Zuwenig vertrauenswürdige Funktionäre. Ich kann mich kaum noch an einen guten DFB-Präsidenten erinnern. Viele der DFB-Funktionäre lassen jegliche Empathie vermissen.

Wie in einer alten Ehe, haben sich mein geliebter Fußball und meine Wenigkeit, entfremdet und auseinandergelebt. Wir beide benötigen dringend eine Paartherapie. Vereine und auch Fans müssen jetzt mehr einbezogen werden. Der Fußball gehört nicht nur den oberen Zehntausend. Nein, gerade das hat den Fußball so fantastisch gemacht. Wo ist der geliebte Straßenfußball geblieben? Wo sind die Jungs oder Mädels die sich ohne lukrativen Vertrag aufopfern und Flagge zeigen. Was wir brauchen sind mehr Fußballromantiker. Eine Mitverantwortung an dieser Entwicklung tragen die vielen ehrgeizigen Eltern und Vereine, die schon die Jüngsten aus ihren Kindermannschaften herauskaufen. Immer höher, schneller weiter! Kinder bekommen kaum die Zeit die sie für ihre Entwicklung benötigen. Nur die Guten kommen durch und nur Gott weiß wie viele versteckte Talente auf dem Weg übersehen wurden.

Jeder Rekord will gebrochen werden und jede Ablösesumme kann man überbieten. Verträge sind da, um sie zu brechen. Welcher Lizenzspieler oder seit neustem auch Trainer legt noch Wert auf seinen Vertrag? Es soll selbsternannte Fachleute geben, die im Fernsehen erklären, dass dies in der Branche völlig normal sei. Wenn das Angebot stimmt, kann man über alles reden. Wie soll so noch eine Identifikation mit dem Verein, den Fans und der eigenen Jugend Zustandekommen ? In der Bundesliga wird den Kindern doch vorgelebt, wie Profis mit dem Wörtchen Ehre umzugehen haben.

Der Fußball ist krank und muss sich verändern. Dabei hat der Sport nichts von seiner Strahlkraft und Faszination verloren. Millionen tingeln, wenn sie denn dürfen, jedes Wochenende in die Stadien. Ich gehöre in der Regel dazu und möchte kein Spiel verpassen. Zumindest war das bisher immer genauso! Und jetzt? Alles im Leben ändert sich und ich brauche wahrscheinlich einmal eine Pause. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft das EM-Spiel Dänemark gegen Finnland. Der dänische Spieler Erikson fällt plötzlich zu Boden und muss wiederbelebt werden. Ich habe das Drama nicht live erlebt und bekomme den Trubel zunächst überhaupt nicht mit. Der Vorfall führt mir jedoch wieder mal brutal vor Augen, was im Leben eigentlich wirklich zählt. Als ich schließlich vor dem Fernseher lande, ist das schlimmste überstanden. Ich persönlich hätte das Spiel nach diesem Vorfall nicht mehr angepfiffen. Das Geld hat wohl anders entschieden und der Mensch muss hintenanstehen.

Beeindruckend war jedoch die Reaktion der dänischen und finnischen Fans. In den Farben getrennt in der Sache vereint wurde der Spieler Erikson unter Gesängen und großem Beifall verabschiedet. Gänsehautmomente wie sie nur der Fußball kennt. Genau das sind die Emotionen, die den Fußball so besonders und einzigartig machen. Dieser Sport hat so viel zu bieten. Es wird höchste Zeit, dass das wieder erkannt, gelebt und in den Vordergrund gerückt wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert