Warum sind wir nicht mehr “ von guten Mächten wunderbar geborgen“?

Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Gedicht Dietrich Bonhoeffer Dezember 1944

Als der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer im Dezember 1944 dieses geistliche Gedicht in einem Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer verfasste, konnte er nicht ahnen welche Auswirkungen diese Zeilen auslösen würden. Bonhoeffer schreib diese Verse am 19.Dezember 1944 aus seiner Zelle im Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in Berlin. Erstmals veröffentlicht wurde das Gedicht im Jahre 1951. Die meisten werden die Zeilen als Musikstück wahrgenommen haben. Dabei ist „Von guten Mächten treu und still umgeben“ Bonhoeffers letzter erhaltener theologischer Text vor seiner Hinrichtung am 9. April 1945. Heute wird der Text als geistliches und auch weltliches Lied gerne interpretiert. Mit der Melodie von Otto Abel wurde das Werk im 1959 erstmals im evangelischen Gesangbuch veröffentlicht. Später wurde das Lied auch mit der Melodie von Kurt Grahl im katholischen Gotteslob aufgenommen. Am bekanntesten ist jedoch die Version Siegfried Fietz aus dem Jahre 1970. Diese Melodie ist bis heute die populärste und wird gerne in Gottesdiensten, Messen aber auch zu Beerdigungen oder anderen Anlässen gesungen. Dietrich Bonhoeffer hätte wahrscheinlich nie damit gerechnet, dass sein Gedicht einmal zu einem der bekanntesten Kirchenlieder unserer Zeit wird.


Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Gedicht Dietrich Bonhoeffer Dezember 1944

In dem Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer kündigte Bonhoeffer sein Gedicht mit folgenden Worten an: „ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen“ als „Weihnachtsgruß für Dich und die Eltern und Geschwister“ an. Bonhoeffer war sich seiner Situation bewusst und schrieb dieses Gedicht mit dem Wissen, dass seine Hinrichtung bevorsteht. Bonhoeffer nahm öffentlich Stellung gegen die nationalsozialistische Judenverfolgung und engagierte sich im Kirchenkampf gegen die Deutschen Christen. Selbst ein ihm aufgelegtes Rede und Schreibverbot konnte ihn nicht daran hindern seine Stimme gegen die Nazis zu erheben. Schließlich wurde er am 5. April 1943 verhaftet und zwei Jahre später, gemeinsam mit anderen Verurteilten, auf ausdrücklichen Befehl Adolf Hitlers hingerichtet.


Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.

Gedicht Dietrich Bonhoeffer Dezember 1944

Dietrich Bonhoeffer wurde in der Morgendämmerung des 9. April 1945 durch den Strang hingerichtet. Der SS-Lagerarzt Hermann Fischer-Hüllstrung berichtete im Jahre 1955 wie folgt :

„Durch die halbgeöffnete Tür eines Zimmers im Barackenbau sah ich vor der Ablegung der Häftlingskleidung Pastor Bonhoeffer in innigem Gebet mit seinem Herrgott knieen. Die hingebungsvolle und erhörungsgewisse Art des Gebetes dieses außerordentlich sympathischen Mannes hat mich auf das Tiefste erschüttert. Auch an der Richtstätte selbst verrichtete er noch ein kurzes Gebet und bestieg dann mutig und gefaßt die Treppe zum Galgen. Der Tod erfolgte nach wenigen Sekunden. Ich habe in meiner fast 50jährigen ärztlichen Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben sterben sehen.“

Protokoll des anwesenden SS- Lagerarztes

An der Darstellung des SS-Lagerarztes gibt es jedoch Zweifel. Die Historiker glauben heute, dass der Lagerarzt sich vor Gericht in ein besseres Licht stellen wollte. Vielmehr war es üblich, dass die Ärzte der Nazis die Aufgabe hatten, die bis zur Ohnmacht Strangulierten wiederzubeleben, um ihren Todeskampf zu verlängern. Tatsächlich dauerte der gesamte Hinrichtungsvorgang, mit mehreren Delinquenten, volle sechs Stunden. Außerdem hatte der Galgen des KZ in Flossenbürg nachweislich keine „Treppe“. Mit Sicherheit war Bonhoeffer mit sich im reinen und hatte keine Angst vor dem Tod. Vor seiner Hinrichtung gab Bonhoeffer dem englischen Offizier Payne Best, der mit ihm gefangen war, eine Botschaft an den befreundeten anglikanischen Bischof George Bell mit. Diese Nachricht enthielt unter anderem folgende Worte: «Sagen Sie ihm, dass dies für mich das Ende, aber auch der Anfang ist.» Kurz vor seiner Hinrichtung hielt Bonhoeffer am 7. April auf Wunsch von Mithäftlingen noch eine Morgenandacht. Danach wurde er von der Gruppe getrennt und in das Konzentrationslager Flossenbürg gebracht. Auch wenn die Schilderungen des SS-Lagerarztes zweifelhaft sind, ändern sie nichts an der Standhaftigkeit und Stärke Bonhoeffers der mit großem Glauben aus dem Leben schied, Bonhoeffer hatte keine Angst vor dem Tod und war bis zum Ende voller christlicher Zuversicht.

Doch willst du uns noch einmal Freude schenken, an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann wolln wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört dir unser Leben ganz.

Gedicht Dietrich Bonhoeffer Dezember 1944

Seit meiner Konfirmation ist mir das Lied „Von guten Mächten“ allgegenwärtig. Ich spiele es selbst gerne auf der Gitarre und freue mich wenn es im Gottesdienst gesungen wird. Seltsamerweise habe ich gerade aktuell in dieser Zeit das Gefühl, dass der Text dieses Liedes passender als je zuvor ist. Jede Zeile dieses Gedichtes oder Liedes kann man als Trostpflaster und Hoffnungsmacher eins zu eins in unsere Zeit übernehmen. Eine Umfrage zufolge wird kaum ein anderes Lied während einer Beerdigungszeremonie öfters gespielt als dieses Lied. Seltsamerweise wird es auch gerne an Sylvester oder Neujahr als Hoffnungsmacher gesungen. Selbst Menschen die sich von der Kirche abgewendet haben suchen in diesem Lied Hoffnung, Trost und Zuversicht. Irgendetwas hat dieses Lied. Ist es die Melodie oder doch der Text mit seiner anrührenden Geschichte ?

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Gedicht Dietrich Bonhoeffer Dezember 1944

„….führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht“. Ja, wie gerne wären wir wieder zusammen und würden allzu gerne wieder zusammen feiern, tanzen, singen oder springen. Mittlerweile würde es schon ausreichen, wenn wir nur mal wieder zusammenkommen und reden oder uns gegenseitig trösten könnten. Die Nähe und die Geborgenheit fehlt in jeder Hinsicht. Wie kann man in dieser Zeit „wunderbar geborgen“ sein ? Wie können wir mit Zuversicht und Mut in ein neues Jahr starten ?

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Gedicht Dietrich Bonhoeffer Dezember 1944

„……wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang….“ Viele von uns erleben in Zeiten der Pandemie eine erdrückende und schwerwiegende Stille. Wir wollen raus und lauthals unsere Wut herausbrüllen. Das ganze soll endlich enden und vorbeigehen. Viel zu lange schon müssen wir Abstand halten und uns an Regeln halten. Verordnungen machen uns müde und nagen an unserer Zuversicht. Dabei ist es gerade Zuversicht, Glaube und Hoffnung die uns in dieser Zeit fehlt. Wir haben den Glauben an gute Mächte verloren und verlieren uns in Hass, Schuldzuweisung und Verzweiflung.

Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Gedicht Dietrich Bonhoeffer Dezember 1944

Warum fehlt es uns an Zuversicht und Hoffnung ? Wäre es nicht wunderbar „….von guten Mächten wunderbar geborgen zu sein „? Seltsam, selten war mir der Text dieses Liedes so vertraut und nahe wie in dieser heutigen Zeit. Hätten wir doch nur ein wenig von dem Glauben und der Zuversicht des zum Tode verurteilten Dietrich Bonhoeffer.

Ich wünsche Euch allen ein gutes und gesundes neues Jahr 2022 in dem ihr “ von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar“ seid und voller Zuversicht in eine bessere Zukunft blicken könnt.


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