Meine Gedanken zum Volkstrauertag 2022 – Ist eine Erinnerungskultur noch zeitgemäß ?

“Das schönste Denkmal, das ein Mensch bekommen kann, steht in den Herzen der Mitmenschen”.

(Albert Schweitzer)

Der Volkstrauertag ist ein bundesweiter Gedenktag für die Opfer von Gewalt, Terror und Krieg. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. führte diesen Volkstrauertag zum Gedenken an die Kriegstoten des Ersten Weltkrieges ein. Die erste offizielle Feierstunde zum Volkstrauertag fand im Jahre 1922 im Deutschen Reichstag in Berlin statt. Heute findet der Volkstrauertag seinen Platz unmittelbar vor der Advents- und Weihnachtszeit. Während der Vorarbeit zu der diesjährigen Feststunde am Sonntag, 13. November um 14:00 Uhr auf dem Dirminger Friedhof habe ich mir die Frage gestellt, ob das Gedenken an die Kriegsopfer der beiden Weltkriege noch immer in den Köpfen der heutigen Generation einen Platz findet. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge kontaktiert mich jedes Jahr aufs Neue, um eine Sammelaktion zu organisieren. Leider finden sich kaum noch Menschen, die bereit sind, ihre Zeit zu opfern um eine solche Sammelaktion durchzuführen.

Die Nationalsozialisten schafften den Volkstrauertag nach 1933 ab und ersetzten ihn 1934 durch den “Heldengedenktag”. Nach Gründung der Bundesrepublik wurde der Volkstrauertag erstmals 1950 wieder begangen und 1952 zum staatlichen Gedenktag erklärt. Man einigte sich darauf, den Trauertag auf den vorletzten Sonntag des evangelischen Kirchenjahres beziehungsweise auf den 33. Sonntag im Jahreszyklus der Katholiken festzulegen. Ein der Beweggrund lag darin, sich deutlich vom nationalsozialistischen “Heldengedenktag” abzugrenzen. Obwohl der Volkstrauertag immer noch gefeiert wird, tauchen jedes Jahr immer wieder die gleichen Fragen auf. Eine der vielen Fragen lautet: Ist diese Form des stillen Gedenkens noch zeitgemäß? Tatsächlich sind es bei weitem keine Menschenmassen, die zu den Zeremonien des Volkstrauertages pilgern. Eine offizielle Kranzniederlegung einer Kommune oder einer Stadt lockt heute niemanden mehr hinter dem Ofen heraus. Schade eigentlich, oder?

In unserem Heimatort Dirmingen mussten während der beiden Weltkriege fast 300 Menschen ihr Leben lassen. Darunter waren Soldaten, Familienväter, junge Männer und zahlreiche Opfer aus der Zivilbevölkerung. Auch Frauen und Kinder kamen während den verheerenden Bombenangriffen auf Dirmingen zu Tode. Der Volkstrauertag bleibt aus meiner Sicht ein wichtiger Tag gegen das Vergessen. Wie aber bringen wir das effektiv an den Mann oder die Frau? Wie erreichen wir die heutige Generation und wie bewahren wir unsere Erinnerungskultur?

Neben der Diskussion um den Volkstrauertag spielen der Zustand und der Erhalt der vielen Denk -und Mahnmäler eine gewichtige Rolle. Bei aller Freude über den Neubau des Mahnmals auf unserem Friedhof, im Jahre 2016, wuchs in mir die Erkenntnis, dass wir ganz bewusst ein historisches Werk unserer Väter dem langsamen Verfall hingeben. Das alte Denkmal auf dem „Hundsberg“ wurde in den letzten Jahrzehnten systematisch von allen Beteiligten vernachlässigt. In diesem Fall kann sich niemand von Schuld freisprechen. Das alte Denkmal im Naherholungsgebiet „Steinrausche“ wurde schon lange nicht mehr von den Menschen wahrgenommen. Auch die Kommune wurde ihrem Pflegeauftrag immer seltener gerecht. Hinzu kam, dass durch den langen Wegfall einer Volkstrauertags Zeremonie das Denkmal seine Sinnhaftigkeit verloren hatte. Eine Zeremonie zum Volkstrauertag wurde in Dirmingen erst wieder mit dem Neubau eines Mahnmals auf dem Friedhof im Jahre 2016 begangen.  

In den vergangenen Jahren sind in ganz Deutschland Denkmäler zu einem heiß umstrittenen Thema geworden. Vielerorts stellt man sich die Frage, warum die Vergangenheit überhaupt noch in unsere Gegenwart gehören sollte. In Dirmingen wurde der Zerfall des alten Denkmals durch die Schändung im Jahre 2014 vorangetrieben. Auch unsere Gemeinde sah sich damals nicht im Stande die idyllische Anlage, am Waldrand, zu pflegen. Alle Bemühungen, dass alte Denkmal zu erhalten und aufzuwerten, mussten recht bald aufgegeben werden. Braucht man für eine funktionierende Erinnerungskultur überhaupt noch ein Denkmal ? Ich für meinen Teil denke: ja !

Heute ist die ehemalige Denkmalanlage auf dem „Hundsberg“ vollkommen verwildert und in einem erbärmlichen Zustand. Nein, diesen „Staus Quo“ haben wir mit dem Bau des neuen Denkmals nicht gewollt. Obwohl, konnten wir nicht vorhersehen, dass mit dem Bau eines neuen Denkmals noch weniger Wert auf das alte Mahnmal gelegt wird? Wie können wir verhindern, dass dieses historische Bauwerk, aus dem Jahre 1955, völlig verfällt und als Ruine im Wald dahinbröckelt? Der Versuch einen „Pflege-Paten“ zu finden, musste frühzeitig aufgegeben werden. Irgendwie haben wir mit dem Bau eines neuen Mahnmals, auf dem Dirminger Friedhof, das alte Mahnmal zum Verderben verurteilt. Ich bin jedoch nach wie vor der Meinung, dass es richtig und gut war ein neues Denkmal gegen das Vergessen auf dem Friedhof zu errichten. Schon alleine aus Pflege- und Sicherheitsgründen machten dieser Schritt durchaus Sinn. Dennoch bewegt mich der aktuelle Zustand des alten Mahnmals und lässt mich traurig zurück.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass mich mein Vater als kleiner Junge zum Festakt am Volkstrauertag mitnahm. Während der Kranzniederlegung wirkte mein Vater immer sehr ergriffen. Ich stand schweigend an der Hand meines Vaters, vor dem stolzen Denkmal und verstand eigentlich nicht um was es genau ging. Meine Oma hatte mir zwar erklärt, dass mein Großvater im Krieg gefallen war, aber so richtig einordnen konnte ich es damals noch nicht. Ich verstand jedoch, dass dieses Bauwerk für meine Familie wichtig war. Die Zeremonie mit Kranzniederlegung wirkte auf mich immer sehr würdevoll, aber auch irgendwie steif. Ich erinnere mich an eine große feierliche Veranstaltung mit Soldaten, Feuerwehr, Trauermusik und einer langen Rede.

In Dirmingen hat man immer schon versucht, eine gewisse Erinnerungskultur zu bewahren. Bereits am 28.August 1928 wurde das erste Denkmal an gleicher Stelle auf dem „Hundsberg“ eingeweiht. Dieses Denkmal stand auch während des zweiten Weltkrieges und verfiel ebenfalls im Laufe der Jahre in einen erbärmlichen Zustand. Als dieses „erste“ Dirminger Mahnmal zu Beginn der 1950-ger Jahre baufällig geworden war, musste es von der Verwaltung abgebrochen werden. Nach großem ehrenamtlichem Einsatz wurde ein neues Denkmal an gleichem Ort in Auftrag gegeben und erbaut. Genau über dieses Denkmal unterhalten wir uns heute aus gleichem Grunde. Am 06.November 1955 fand die Einweihung dieses heutigen Denkmals auf dem Hundsberg statt. Im Frühjahr des Jahres 1965 wurden angefertigte Namenstafeln an einer Mauer hinter dem Denkmal angebracht. Im Frühjahr des Jahres 2014 wurde das Denkmal geschändet und die Namenstafeln abgebrochen und gestohlen. Fast 60 Jahre diente das alte Bauwerk im Naherholungsgebiet Steinrutsch der Erinnerung an die Opfer der beiden Weltkriege.

Mit dem alten Denkmal auf dem Hundsberg scheint auch der Volkstrauertag in die Jahre gekommen zu sein. Gerade junge Menschen haben verständlicherweise kaum noch eine Bindung zu diesem stillen Festtag. Intern hat man sich schon vor Jahren darüber Gedanken gemacht, ob ein Denkmal und die Durchführung des Volkstrauertages überhaupt noch einen Sinn ergeben. Benötigen wir in der heutigen Zeit noch ein Denk- oder Mahnmal? Das Gedenken an Helden und verdienstvolle Mitbürger fällt uns auch ohne Denkmal leicht. Mit dem Gedenken für Opfer – und auch daran, dass es unter unseren Soldaten auch Täter gab – ist es weitaus schwieriger umzugehen. Viele Menschen vertreten die Meinung, so etwas wie damals wird sich nicht mehr wiederholen. Wirklich nicht? Ich fürchte dies ist ein Irrglaube. Wir leben in unruhigen Zeiten und aus meiner Sicht sind Denkmäler und die damit verbundene Erinnerungskultur enorm wichtig.

Wir schreiben das Jahr 2022 und in Europa herrscht Krieg. „Was tun, sprach Zeus?“ Wir werden in Dirmingen auch am diesjährigen Volkstrauertag, dem 13.November 2022, einen Ehrenkranz für unsere Kriegsopfer niedergelegen. Ich bin froh, dass der Ortsrat an der Tradition der Kranzniederlegung zum Volkstrauertag festhält. Die Bevölkerung nimmt an unserer Zeremonie mal mehr oder weniger teil. Natürlich sorgt die nur mäßige Teilnahme der Bevölkerung nicht gerade für große Ermutigung. An meinen Kindern stelle ich fest, dass die Bindung zu den beiden Weltkriegen kaum noch vorhanden ist. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ihr Ur-Ur- Großvater und der Ur-Großvater und eine Ur-Großtante den beiden Kriegen zum Opfer fielen. Man kann und darf der heutigen Generation ihr Verhalten nicht vorwerfen. Unsere Kinder wurden in Friedenszeiten geboren und haben Gott sei Dank keine Kriegswirrungen erfahren. Gerade für jüngere Menschen ist es schwierig eine Erinnerungskultur zu bewahren, ohne daraus eine gewisse eigene Erfahrung schöpfen zu können. Immerhin beteiligen ich neben unseren beiden Kirchengemeinden auch noch der evangelische Posaunenchor und die Reservistenkameradschaft Illtal an der Zeremonie zum Volkstrauertag in Dirmingen. Ich weiß diese Treue zu schätzen und bin allen Beteiligten sehr dankbar !

Bis heute beschäftigt sich unsere Dorfgemeinschaft mit der Frage, wie wir mit der alten Gedenkstätte auf dem „Hundsberg“ umgehen sollten. Unser Ortsrat hat hier eine klare Meinung und ist am Erhalt des Mahnmals interessiert. Nur in welcher Form kann ein solcher Erhalt oder eine Aufwertung dieses Denkmals stattfinden. Demnächst soll dieses Thema in einer eingeräumten Sitzung des Ortsrates auf der Tagesordnung stehen. Woher nehmen wir Zeit, Geld und Innovation zum Erhalt dieses sanierungsbedürftigen Denkmals?

Beginnen wir bei uns selbst! Aus meiner Sicht muss in unseren Köpfen ein Umdenken stattfinden. Wenn wir ernsthaft an einer Sanierung des alten Denkmals interessiert sind, müssen wir auch zukünftig daraus unseren Nutzen schlagen. Das Denkmal zu sanieren nur damit es im Wald schöner dasteht, genügt mir nicht. Das wird dem Anspruch bei weitem nicht gerecht. Wenn wir das alte Denkmal erhalten möchten, muss dies sinnvoll geschehen. Eine vielversprechende Chance bietet in diesem Fall der sanfte Tourismus. Jeden Tag wird das Naherholungsgebiet Steinrausche von zahlreichen Wanderern, Spaziergängern, Radfahrern und Sportlern genutzt. In diesem Kontext könnte man das alte Denkmal als einen Ort der Erholung und Besinnung gestalten und nutzen. Hierzu braucht es aber wie bereits erwähnt Zeit, Glück und Geld !

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