Dirmingen – Ein Tag im Jahr 1281

Dirmingen im 13. Jahrhundert. Das heutige Deutschland, so wie wir es kennen, bezeichnete man im späten 13. Jahrhundert als Heiliges Römisches Reich. Die damaligen römisch-deutschen Könige und Kaiser sahen sich in der Tradition des antiken Römischen Reichs. Das Gebiet des heutigen Saarlandes wurde im Jahr 925 mit dem fränkischen Lothringen dem Ostreich zugeordnet. In dieser Zeit wurde das Territorium des heutigen Saargebietes von Erzstift und Kurfürstentum Trier, des Herzogtums Lothringen, des Wittelsbachischen Herzogtum Pfalz-Zweibrücken und der Grafschaft Saarbrücken geprägt. Das Rittertum erreichte in dieser Zeit seine erste Blütezeit. Die Menschen lebten überwiegend auf dem Land und nicht wie vielleicht vermutet in Burgen oder Schlössern. Am Ende des 13. Jahrhunderts hatte das Saargebiet einen stattlichen Bevölkerungsstand. Im Jahre 1300 erfasste das heutige Saargebiet ca. 820 Ortschaften. Der Bau von Burgen wurde vorangetrieben und sollte der Sicherung des Landesausbaues dienen. Neue Straßen wurden angelegt und Verkehrswege zunehmend kontrolliert damit die Einnahme von Zöllen sichergestellt wurde. Die Grafen von Saarbrücken zählten mit dem Beginn des 12. Jahrhunderts zu den mächtigsten Geschlechtern im südwestdeutschen Raum. Zu ihren Besitztümern gehörten Landsitze an der Saar, im Bliesgau, im Elsass, in der Pfalz und am Mittelrhein sowie zahlreiche einträgliche Vogteien. Dirmingen gehörte bereits vor seiner ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 1281 zur Grafschaft Saarbrücken. In der Grafschaft Saarbrücken existierten nach den „Grafen von Saarbrücken“ die „Grafen von Saarbrücken-Commercy“ und erst danach die „Grafen von Nassau-Saarbrücken“.

Wie aber sah es damals, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in unserem Dörfchen aus? Ein Versuch einen Tag in Dirmingen im Jahre 1281 zu rekonstruieren, sollte naturgemäß scheitern. Schließlich war ich aus natürlichen Gründen nicht selbst vor Ort. Dennoch habe ich einmal mehr versucht einen Tag in Dirmingen im Jahre 1281 nachzustellen. Ich werde bei diesem Versuch bestimmt nicht frei von Fehlern gehandelt haben. Dennoch oder “graad se lääds” möchte ich es wagen:

Es ist der 28. Dezember 1281. Der Tag vor der vierten Rauhnacht ist angebrochen und versetzt die Menschen auf dem Gehöft in Angst und Schrecken. Es ist kalt und vereinzelt liegt noch Schnee auf den Feldern. Christian verlässt seinen Hof und schnürt seinen Mantelumhang fest zusammen. Seine Frau Katharina steht an der Tür und schaut ihrem Mann mit sorgenvoller Miene hinterher.

Die Nachricht erreichte das Gehöft kurz vor der heiligen Christnacht. Das adlige Burgmannengeschlecht der Grafen Saarbrücken-Commercy bereiste in den Tagen der Rauhnächte das Land, um neue Möglichkeiten des Landtauschs und der Lehnsherrschaft zu suchen. Der Baron Simon aus der Grafschaft Sarabruck und der Herrschaft Commercy verlangte Rechenschaft von den Menschen in seinem Herrschaftsgebiet. Dies war nichts Verwerfliches, wobei es immer wieder zu Unruhen in der Bevölkerung führte. Man hörte von einem Interesse der Adelsbrüder Jehans und Godelsmans, Ritter von Ekeswilre an dem Tal entlang dem Wasserlauf Illara.

Christian lebt seit seiner Geburt in diesem Tal und hat erst vor wenigen Jahren sein Weib Katharina zur Frau genommen. Das erste Kind hat der Herr schon vor seinem ersten Lebensjahr zu sich gerufen. Nun ist Katharina wieder schwanger und sorgt sich um ihren Ehemann. Seit Wochen geht er nach seiner Feldarbeit zu dem kleinen Kirchlein am Zusammenfluss beider Wasserläufe. Eine Handvoll Männer hat es sich zur Aufgabe gemacht die kleine Dorfkirche zu ertüchtigen. Katharina sieht ihren Mann fast nur noch im gemeinsamen Ehebett oder beim Essen.

Es sind harte Zeiten, wobei die Feldarbeit in diesen harten Wintertagen ohnehin vollständig zum Erliegen kommt. Christian nimmt den Weg vorbei an der kleinen Dorfkirche in Richtung der Als. Seit der Entstehung des Hofes Diermanges kommen immer wieder Freunde und Weggefährten der Grafen zu Sarabruck in das Dorf an Als und Ilara. Einen Steinwurf entfernt entstand ein neues Dörflein Namens Berswilre. Christian war auf dem Weg zu seinem Freund Jakob der mit seinem Weib Magdalena am Ufer der Als lebte. Gemeinsam mit Jakob möchte er über den bevorstehenden Besuch des Landsherren und Burgmannsgeschlechter reden. Auf seinem Weg findet er niemanden an. Frauen müssen während der Rauhnächte ohnehin im Hause bleiben. Christian ist aufgeregt und sucht nach Leidensgenossen. Wie wird es wohl mit seinem Gehöft weitergehen? Werden sich die neuen Landesherren edel oder fortan als uneinsichtig beweisen? Jakob erwartet Christian schon an seiner schweren Holztür. Beide begrüßen sich schweigend mit einer Umarmung.

„Tritt ein“, raunt Jakob und weist auf den schweren Tisch inmitten des einzigen Raumes des kleinen Häuschens. „Magdalena?“, fragt Christian. „Sie ist in der Stallung und schaut nach dem Vieh“. Christian nickt und nimmt auf einem der Holzhocker Platz. „Sagt an, wie verbleiben wir, was wollen wir den Herren sagen?“, Jakob nimmt tief Luft und nimmt einen großen Schluck Bier. „Wollt ihr mittrinken, mein Freund?“. Christian presst die Lippen festzusammen und nickt zustimmend. Die beiden Männer verharren mit sorgenvollen Minen an dem großen Holztisch und wissen nicht mit der Situation umzugehen.

Mittlerweile ist die Mittagstunde angebrochen und die beiden Männer sitzen sich immer noch abwartend gegenüber. Was wird die Zeit bringen? Plötzlich klopft es an der schweren Holztür. Jakob blickt seine Frau Magdalena an, zuckt mit den Schultern und öffnet die schwere Tür. Der Weber Johannes steht vor der Tür und bittet um Einlass. Christian blickt den Landsmann prüfend an und nickt grüßend. „Was gibt’s Weber?“, fragt Jakob neugierig. „Nehmt euren Mantel und folgt mir ins Dorf, wir wollen uns besprechen.“ Jakob blickt seinen Freund Christian tief in die Augen. „Komm alter Freund, machen wir uns auf den Weg.“ Magdalena ruft Jakob beunruhigt hinterher: „und die Kinder?  Du wolltest doch…“ Jakob schaut seine Frau an und erwidert: „Mach dir keine Sorgen Lenchen, ich komme recht bald zurück. Bitte denk dran im Hause zu bleiben es herrscht die Rauhnacht.“

Die Männer gehen strammen Schrittes inmitten des Gehöfts Diermanges. Von Ferne erkennen Sie schon eine handvoll Männer, die zusammen vor dem kleinen Kirchlein stehen und aufgeregt debattieren. Gottfried, der Ortsälteste, krault sich seinen vollen Bart und hört sich interessiert die Worte der Männer an. Als er Jakob und Christian sieht, hebt er beschwichtigend seine großen Hände und redet beruhigend auf die Männer ein: „Aber ihr wisst doch gar nicht was uns geschieht. Sagt, warum befürchtet ihr das Schlimmste? Habt Gottvertrauen. Syed gegrüßt Christian und Jakob, schön, dass ihr zu uns kommt“. Christian spuckt auf die lehmigen und wässerigen Straßen und nickt Gottfried wohlwollend zu: „Der Weber sagt, ihr verlangt nach uns?“

Gottfried nickt und spricht weiter auf seine Landsleute ein: „Sehet, seit Jahren wohnen wir mit unseren Familien in diesem Dorf und dem Gehöft Diermanges. Jedes Haus steht einzeln von Hof, Garten und Feld umgeben in diesem schönen Tal. Noch haben sich nicht allzu viele Menschen hierher verirrt. Unsere Häuser aus Holz, Lehm und Strohdach haben die ersten harten Winter gut überstanden und wir leben rechtens in diesem Tal. Gottesfürchtig bauen wir an unserem Kirchlein und Arbeiten von früh bis Spat auf dem Felde. Sagt, warum sollen die Herren an uns einen Verdruss finden? Vor vielen Jahren ließen sich schon unsere Väter in diesem Tal nieder. Hier gibt es Wasser und gute Erde. Überall im Lande entstehen an Flüssen und Läufen Dörfer und Gehöfte. Sagt, werte Herren, warum sollte unser Landesherr dies ändern wollen? Ist es nicht vielmehr so, dass der Graf das Volk in seinem Lande braucht?“

Der Jüngling Alexander fror unter seiner Cotte und dem dünnen Leibhemd. Zitternd erhebt er das Wort: „Lasst uns zu den Waffen greifen und das Tal verteidigen“. Jakob versetzt dem Jüngling eine schallende Backpfeife. „Sag, weißt du wovon du redest, du Narr?“ Alexander blickt verschämt zum Boden und zieht zitternd seinen Mantelumhang zusammen.

Agnes, die Frau von Gottfried, eilt plötzlich über die schlammigen Straßen zu den Männern. Schon von Ferne hört Gottfried sein Weib rufen. Erstaunt blickt er nach oben. „Was treibst du hier Husvrouw (Hausfrau), solltest du nicht mit der Magd und den Infantias (Kindern) im Hause bleiben? Gleich beginnt die Rauhnacht und die Dämonen werden durch das Tal streichen.“ „Noch ist Zeit, bis zum Abend vergehen noch Stunden“, sagt Agnes und ringt nach Atem: „Von Wustvilre kommend sucht eine Reiterschar den Weg zu unserem Dörflein.“

Jakob sieht seinen Freund Christian prüfend an und raunt: „Nun werden wir sehen was passiert“, Christian nickt und schnürt seinen Kragenmantel zusammen. Die Kälte kriecht den Männern von unten durch die dünnen Hosen hinauf bis zu den Haaren. „Es ist kalt“, flüstert Christian leise vor sich hin.

Die Männer blicken den Reitern mit Ehrfurcht entgegen. Als die Burgmänner endlich vor dem kleinen Kirchlein angekommen sind, verbeugen sich die Dorfbewohner vor den edlen Ankömmlingen. Gottfried ergreift das Wort: „Syed gegrüßt edle Herren, sagt an, was führt euch zu uns?“

Vier Reiter sind mit edler Kleidung versehen. Sie sind von stattlicher Gestalt und tragen teures Tuch und feinen Zwirn. Begleitet werden die Herren von vier Soldaten, die mit schwerer Rüstung und Waffen ausgestattet sind. Der Kleinste der Herren zieht eine Schatulle aus seinem Sattel und entnimmt ein großes Schreiben: „Sagt, Bauern, wie heißt dieses Dorf im Lande unseres Grafen Simon zu Sarabruck?“

„Diermanges ist’s und gleich dahinter findet ihr das Dörflein Berswilre“, erwidert Christian mit fester Stimme. Der edle Reiter nickt wohlwollend und greift nach seiner Feder: „Nun, dann soll dieses Gehöft fortan Platz auf unseren Karten finden und beurkundet seyn.“

„Sagt an, edler Herr, was geschieht nun mit uns? Wir leben redlich mit Recht in diesem Tal und waren dem Grafen immer untergeben.“ Der Reiter nimmt tief Luft und zeigt gen Osten: „In dieser Richtung geht’s nach Berswilre, sagt ihr?“, Christian nickt zustimmend. „Ja, einen Steinwurf entfernt.“ „Nun denn“, fährt der edle Herr fort, „ruft das Volk von Berswilre herbei, wir haben etwas kundzutun.“

Der Jüngling Alexander erhebt die Stimme: „Ich werde hinübereilen und die Männer herbeirufen.“ Gottfried klopft dem jungen Mann anerkennend auf die Schulter und sagt: „Nimm den Weg an der Als vorbei, so gewinnst du an Zeit.“

Nach einer Stunde stehen die Männer von Diermanges mit den Männern von Berswilre vereint vor dem kleinen Kirchlein und harren den Dingen, die da kommen sollen.

 „Höret, Volke des Gehöfts und Dorfes Diermanges und des Dorfes Berswilre. Unser edler Graf Simon zu Sarabruck verkündet die Vergabe der neuen Lehn über das Tal an Als und Ilara. Als neue Lehnsherren gelten fortan Jehans und Godelsman, Ritter von Ekeswilre, die euch an meiner Seite grüßen, um folgendes kundzutun.“

Die Männer sehen sich erschrocken an! „Sagtet Ihr, an meiner Seite?“, unterbricht der Ortsälteste Gottfried den edlen Redner. „So ist es“, herrschte einer der beiden Reiter vom Pferd herunter. „Mein Name ist Jehans von Ekeswilre, nebst an meiner Seite seht ihr meinen Bruder Godelsmann. Sehet Männer, vor euch stehen eure neuen Lehnsherren.“ Die Männer aus Diermanges und Berswilre verbeugten sich voller Ehrfurcht und treten unwillkürlich einen Schritt zurück. „Habt keine Furcht und hörtet von der Beurkundung eures Dorfes“, fährt der stattliche Reiter fort. Jehans von Ekeswilre blickt zu seinem Knappen und raunt ihn an: „Fahrt fort mit eurer Rede, mein Guter.“ Der Knappe nickt zustimmend und ergreift das Wort, um die Urkunde zu verlesen:  

„Die Brüder Jehans und Godelsmans, Ritter von Ekeswilre, bekunden, dass sie einen Tausch mit dem Baron Simon, Grafen von Sarabrucke und Herrn von Commercy, gemacht, indem sie ihm das Land von St. Jehan und St. Arnual, das sogenannte Neuegut, mit Ausnahme der beiden Brüder Fomar und Orri von Bradebach und ihres Gutes, übergeben und dafür erhalten haben das Dorf Berswilre im Hof von Diermanges mit Ausnahme der Hörigen Dolart und Simont mit ihrem Gute”. Heinrich, Graf von Salm und Castres, und Eberhard von Walram, Grafen von Zweibrücken, siegeln.

1281 le dimenge apres la nativitei nostres seignor.“ (Das Original dieser Urkunde wird im Staatsarchiv in Koblenz bewahrt)
Kopie der Erwähnungsurkunde aus dem Jahre 1281 ( Das Original befindet sich im Staatsarchiv Koblenz)

Godelsmann von Ekerswilre ergreift das Wort: „Fortan sollt ihr in Frieden mit dem Segen Gottes unter dem Schutze unseres Banners stehen.“ Die Dorfbewohner verbeugen sich abermals tief und blicken mit Ehrfurcht zu den Reitern auf.

Am Abend sitzen Christian und sein Weib Katharina zuhause beim Abendbrot. Christian lässt Brot und Käse links liegen und rührt nachdenklich in seiner Getreidebrei. „Was wird aus uns werden?“, grummelte er in seinen Bart. Christian legt seinen Löffel zur Seite und ergänzt: „Seit vielen Jahren sind wir ein Allod der Grafen von Sarabruck. Im Familienbesitz wurden wir nie als Lehn angesehen. Warum jetzt? Wie werden die Grafen fortan mit ihren Gütern und Renten an das Sarabrucker Burgmannengeschlecht umgehen? Was wird aus uns werden?“

Still betrachtet Katharina ihren Ehemann eine Zeit lang, um dann zu erwidern: „Die Zeit wird es zeigen. Ich glaube fest daran, dass auch unsere Kinder hier eine feste Heimat finden werden. In diesem Tal steht unser Heim und auch unsere Nachfahren werden hier zuhause sein.“

Diese Geschichte ist auf der Grundlage historischer Ereignisse frei erfunden, wobei es die namentlich erwähnten Personen tatsächlich gegeben hat. Ziel ist es den Lesern und Menschen unseres Heimatortes die Geschichte Dirmingens näher zu bringen und dem Vergessen entgegenzuwirken. So wie in dieser frei erfundenen Geschichte, könnte es sich am Ende tatsächlich zugetragen haben !

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