„Lost Places“ – Areal der alten Dampfziegelei Dirmingen
„Lost Places“ nennt man verlassene Orte, an denen sich Menschen in der Vergangenheit einmal aufgehalten oder gelebt haben. Dabei kann es sich beispielsweise um ehemalige Fabriken, Krankenhäuser, Gaststätten oder einfach nur Wohnhäuser handeln. Wenn man sich mit dem Thema „Lost Places“ beschäftigt, stößt man in der Regel auf verwilderte Gebäude, leerstehende Häuser oder auch ungenutzte Fabriken oder Krankenhäuser. „Lost Places“ sind Orte, die im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten sind und kaum noch gebraucht werden. In den letzten Jahren wuchs aus kulturellen und touristischen Gründen das Interesse an den verlassenen Orten in unserer Region. Mittlerweile gibt es Menschen, die sich mit diesen magischen Orten beschäftigen und manchmal sogar völlig illegal besuchen. Viele dieser verlassene Orte befinden sich im Privatbesitz oder gehören der öffentlichen Hand. Dennoch machen sich viele „Lost Places-Touristen“ einen Spaß daraus diese Gebäude oder Orte aufzusuchen und zu fotografieren. Natürlich geht es dabei neben er Abenteuerlust auch um ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Zugegebenermaßen entstehen ganz oft wunderbare Bilder, die einen gewissen Zauber mit sich bringen. Es ist der einzigartige Charme, die Verlockung, die Aura und das Geheimnisvolle das die Menschen wieder zu diesen verlassenen Orten lockt. Viele „Lost Places“ gehören zu den beliebtesten Fotomotiven oder dienen als Drehorte für Filme oder Dokumentationen. Ganz oft ist fehlendes Interesse an dem Erhalt des Gebäudes oder des Gebietes der eigentliche Grund für den Verfall. Oftmals fehlt es an Geld für Instandhaltung, die Restaurierung oder den Gebäudeabriss. Es scheint, als würde die Zeit stillstehen. Auf vielen Bildern steht das Essensbesteck noch auf dem Tisch oder der Bettbezug ist noch aufgezogen. „Lost Places“, auf deutsch „verlassene Orte“ lassen uns in Erinnerung schwelgen. Dabei handelt es sich bei vielen verlassenen Orte nicht nur um historische Gebäude, sondern auch verwilderte Gebiete, die von Menschen zurückgelassen wurden. Auch diese Gebiete wurden über viele Jahre hinweg der Witterung und der Natur überlassen und dem Verfall hingegeben.
Ich habe mich einmal mit der Frage beschäftigt, welche „Lost Places“ wir noch in unserem Heimatort Dirmingen finden. Bestimmt gibt es auch in unserem Dorf das ein oder andere Schmuckstück. In den letzten Wochen habe ich mich diesbezüglich einmal umgesehen und bin auf meiner Suche auf das ein oder andere Haus oder Areal gestoßen. Was befand sich hier vor 100 Jahren? Was spielte sich hier an diesem Ort vor unserer Zeit ab und was trieb die Menschen an? Grundsätzlich sollte man sich vor dem Besuch eines „Lost Places“ die Genehmigung des Eigentümers abholen. Man kann und darf nicht einfach überall rumlaufen, wo man gerade möchte. Zudem sind viele verlassene Orte nicht abgesichert und bergen große Gefahren.
Im Jahre 1961 wurde die ehemalige Dampfziegelei zwischen Dirmingen und Wustweiler an der Illaue abgebrochen. Ich selbst habe aus natürlichen Gründen die Backsteinfabrik nie mit eigenen Augen gesehen. Das Produktionsgebäude, der um das Jahr 1900 erbauten Dampfzieglei, wurde weit vor meiner Geburt abgebrochen. Mein Vater erzählte mir viel über die alte Backsteinfabrik und nahm mich als kleiner Junge mit zu diesem „Lost Places“. Die Backsteinfabrik befand sich praktisch gegenüberliegend der ehemaligen Gaststätte „Illtalerhof“ auf der anderen Seite der Ill und Bahn. Zur Zeit der Entstehung gehörte diese Backsteinfabrik zu der größten ihrer Art. Der Standort Dirmingen wurde nicht zuletzt aufgrund seiner guten Infrastruktur und damit verbundenen Bahnverbindung gewählt. Die Dampfzieglei befand sich damals im Besitz des Unternehmen Picard-Gross. In der Fabrik wurden überwiegend Ton- und Mauerziegel hergestellt. Das Unternehmen arbeitete in seiner Hochzeit eng mit dem Neunkircher Hüttenwerk zusammen.
Während meiner Kinderzeit konnte man noch einige Überreste der Fabrik finden. Hinterlassene Steine und Mauerstücke zierten das Areal, auf dem sich früher die Fabrik befand. Im Laufe der Zeit eroberte sich Mutter Natur das Gelände Stück für Stück zurück. Wer weiß, wie viele Häuser in Dirmingen mit Klinker-Backsteinen der alten Dampfzieglei Dirmingen erbaut wurden? Eigentlich erinnert heute fast nichts mehr an die Backsteinfabrik. Alleine der Charme eines „Lost Places“ und eine gewisse Aura sind bis heute vorhanden. Wenn man den Ort aufsucht und seine Augen schließt fühlt man diese besondere Magie. Was mag sich an diesem Ort vor über 120 Jahren abgespielt haben? Bestimmt mussten die Männer eine schwere Arbeit verrichten. Wurden an diesem Ort auch Menschen verletzt oder kamen sogar welche zu Tode? Welches Schicksal mag sich an diesem Ort abgespielt haben. Der Beruf des Ziegelbrenners hat in Dirmingen eine gewisse Tradition. Bereits im Jahre 1840 befand sich in Dirmingen, in der heutigen Straße „Auf Bauerhaus“, eine kleine Ziegelei. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Betrieb dieser ersten Ziegelei eingestellt.
Dirmingen war durch seine Lage am Zusammenfluss von Ill- und Alsbach, sowie durch seinen Anschluss an das Bahnnetz, immer schon ein Anziehungspunkt von Gewerbe- und Produktionsbetrieben. Im Jahre 1898 wurde die Dampfziegelei Ausgangs Dirmingen, in Richtung Wustweiler an rechten Illaue, durch Peter Samson gegründet. Bis zum Jahre 1900 leitete der Unternehmer die Geschicke der Ziegelei. Die Fabrik produzierte Ton- und Mauerziegel, die durch den betriebseigenen Bahnanschluss bequem und einfach verladen werden konnten. Im Kesselhaus sorgte eine Dampfkraftmaschine von 150 PS für mächtig viel Lärm. Mit dem Einsatz von zwei Lehmmahlwerken und mehreren Lehmpressen konnten täglich bis zu 7000 Backsteine (Ziegelsteine) hergestellt werden. Der vorhandene Ringofen hatte wahrscheinlich eine Länge von bis zu 50 Metern. Mit der Produktion waren in der Regel bis zu 45 Arbeiter beschäftigt. Dazu gehörten noch die Mitarbeiter/innen in der Verwaltung oder im Transportwesen. Mit dem 1. Weltkrieg erlebte das Unternehmen die erste große Krise. Im Jahre 1918 wurde die Ziegelei an das Stumm‘ sche Eisen und Hüttenwerk in Neunkirchen verkauft.
Viele Jahre war der Weg zum Standort der ehemaligen Dampfzieglei verwildert und kaum begehbar. Mutter Natur drängte mit Macht auf ihr Recht. Heute hat sich die Situation etwas entspannt. Wenn man den Weg hinunter zur alten Eisenbahnbrücke nimmt und den alten Tunnel passiert, wird man unwillkürlich von der Geschichte ergriffen. Schon die ersten Meter versprühen eine besondere Aura. Unmittelbar nach der Brücke findet man auf der rechten Seite die letzten Überreste des alten Bürogebäudes der Firma. Man erkennt alte Treppenstufen und Grundrisse des Bürogebäudes. Bäume und Pflanzen wachsen zwischen dem Gemäuer und drängen Richtung Sonne. Wenn man den Waldweg weiter in Richtung ehemaliges Gelände geht, wird man wiederum von einer gewissen Neugier ergriffen. Wie mag es hier wohl, zu Zeiten der Produktion, genau ausgesehen haben? War dieser Weg immer so eng und ungepflegt? Mussten die Arbeiter genau diesen Weg zu ihrer Arbeitsstelle aufsuchen? Wenn man schließlich den Platz des ehemaligen Produktionsgebäudes erreicht, will man zunächst kaum glauben, dass dort einmal eine der größten Dampfziegleien ihrer Zeit stand. Auf dem Gelände selbst findet man kaum noch Hinweise auf den Bestand der Backsteinfabrik. Ehrlichgesagt findet eigentlich überhaupt nichts mehr außer Wiese, Pflanzen und ein leerstehendes, gähnendes Areal. Hin und wieder stößt man auf einen großen Stein. Ob dieser Stein jedoch als ein letztes Indiz und den Bestand der alten Dampfzieglei deutet? Wir wissen es nicht und werden es auch kaum noch erfahren. Damals brachte die alte Dampfziegelei viele Menschen Arbeit, Lohn und Brot. Heute erinnern nur noch alte, historische Bilder und Aufnahmen an das Fabrikgebäude. Die Menschen, die diese Fabrik noch mit eigenen Augen gesehen haben sind zumindest in die Jahre gekommen. Ein letztes Mauerwerk und ein paar erkennbare Grundrisse. Mehr ist leider nicht mehr zu finden.
Ich möchte niemanden ermutigen, dass alte Gelände unserer Backsteinfabrik aufzusuchen. Nicht zuletzt handelt es sich heute um ein Naturschutzgebiet und das sollte wirklich von allen respektiert werden. In einen Besuch, dieses historischen Geländes, sollte man ohnehin nicht allzu viele Erwartungen stecken. Bis auf einige Restmauern des Bürogebäudes ist, wie bereits erwähnt, kaum noch etwas zu erkennen. Dank einiger Rodungsarbeiten kann man mittlerweile wieder von der Landstraße zwischen Dirmingen und Wustweiler, hinunter auf das historische Gelände blicken. Vielleicht genügt das dem ein oder anderen Zeitgenossen, um die größte Neugier zu stillen. Im Jahre 1973 wurde das alte Bürogebäude aus Sicherheitsgründen abgerissen. Die Dampfzieglei hingegen wurde bereits im Jahre 1961 dem Erdboden gleich gemacht. Die Türme der Fabrik wurden gesprengt. Das Gelände des Produktionsgebäudes wurde zunächst als neue Heimstätte des Hundesportvereins Dirmingen (Illtal) genutzt. Im September des Jahres 1977 schenkte die Firma Picard-Gross der damaligen Gemeinde Eppelborn, insbesondere dem Ortsteil Dirmingen, das Gelände der ehemaligen Fabrik. Auf Wunsch des Schenkers sollte auf diesem Gelände ein Schutzgebiet für die einheimischen Pflanzen und Tierwelt entstehen.
Ein Schild, an der heute noch vorhandenen Eisenbahnbrücke, verweist auf den damaligen Bestand der ehemaligen Dampfziegelei Dirmingen und die damit verbundene Schenkung der Firma Picard-Gross. Auf der heute noch vorhandenen Schenkungstafel an der Bahnbrücke steht geschrieben: “Bitte Störungen vermeiden”