Am Beispiel „Dirmingen in den beiden Weltkriegen“ – Was macht der Krieg in Europa mit uns ?
Seit über einem Jahr tobt die kriegerische Auseinandersetzung in der Ukraine. Ich habe mir einmal die Frage gestellt, was dieser Krieg mit uns macht. Was bewirkt er in uns und wie gehen wir damit um? Viele von uns verbinden mit dem Kriegsbeginn in der Ukraine die oft zitierte Zeitenwende. Dabei ist der Konflikt in der Ukraine nicht der einzige Krieg, der auf dieser Welt geführt wird. Neben dem Krieg in der Ukraine finden beispielsweise auch im Südsudan, in Syrien oder auch im Jemen kriegerische Handlungen statt. Jeder geht auf seine ureigeneweise mit diesem Krieg um. Während die kriegerischen Auseinandersetzungen mitten in Europa den einen Angst bereiten, schieben Andere ihre Sorgen einfach beiseite.
Wir leben in Zeiten in denen sich ein gewisser Weltschmerz ausbreitet. Genährt wird dieser Schmerz von einer Wirtschaft -und Energiekrise. Wir fühlen uns machtlos, wütend und natürlich haben wir auch Angst vor einer nuklearen Katastrophe. Dabei ist dieser Krieg in erster Linie ein Angriff auf die Menschen in der Ukraine. Ganz gleich wer Recht oder auch Unrecht hat, derjenige der Gewalt als Mittel wählt, hat aus meiner Sicht immer verloren. In Europa herrschte fast 80 Jahre lang Frieden. Das ist nun vorbei! Was macht das mit uns und wie gehen wir mit dieser Angst um? Wir alle verfallen in einen gewissen Pessimismus. Beim genaueren Blick auf die Dinge sehen wir nur noch schwarz oder weiß. Die gesunde Mitte haben wir längst aus den Augen verloren. Wir fühlen uns ohnmächtig und sind verzweifelt. In unserer Not fühlen wir uns verlassen und im Stich gelassen.
Eigentlich gab es auf diesem Planeten nie einen weltweiten Frieden. Irgendwo wurde immer gekämpft. Dabei ging es wie immer um Politik, Macht oder Glauben und Religion. Die Dinge haben sich kaum verändert, sondern bestenfalls verschoben. Krieg ist Krieg. Am Ende leidet immer die Bevölkerung. Zivilisten sterben und Millionen von Eltern verlieren ihre Söhne. Das Ganze nur um die Eitelkeiten irgendwelcher machtgierigen Menschen zu stillen. Was würden wir tun, wenn es heute in unserem Land losginge ? Würdet wir unser Heimatland nach einem Angriff verteidigen? Würdet ihr fliehen? Was würdet ihr tun?
Krieg ist etwas Furchtbares. Krieg ist immer anders und wird auf viele Arten geführt. Die Menschen in unserem Heimatort Dirmingen haben in den beiden Weltkriegen schreckliches erlebt. Die Ereignisse in Dirmingen vor über 80 Jahren mit den Geschehnissen in der Ukraine aufzuwiegen oder zu vergleichen ist unmöglich. Dennoch könnte uns ein Blick auf die eigene Vergangenheit helfen zu verstehen.
Zeitensprung: In den beiden Weltkriegen war es für die Soldaten eine Ehrensache für das eigene Vaterland zu sterben. Stimmt das? Wer verliert schon gerne sein Leben für eine Fahne oder ein Land. Patriotismus wurde in den beiden vorherigen Weltkriegen großgeschrieben. Heute verteidigen die Menschen in der Ukraine ihr Heimatland und sterben auch für ihre Familien. Am Ende ist es jedoch immer das Gleiche. Wir ziehen in den Krieg für unser Vaterland. Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns.
Dirmingen zählt heute fast 3000 Einwohnern. Im zweiten Weltkrieg lebten ca. 2400 Menschen in unseren Dorf. Dabei waren dies zur Hälfte Katholiken und Protestanten. Unser Heimatort hat im Verlaufe des 2. Weltkrieges mehr als die meisten anderen Landgemeinden im ehemaligen Kreis Ottweiler gelitten. Am Ende war unser Dorf die schwerbeschädigste Landgemeinde unserer Region. Wie viele Verluste an Menschen, Häuser und Material innerhalb der Kriegsjahre tatsächlich entstanden, ist nur schwierig zu rekonstruieren. Eine vorliegende Statistik beruht auf persönlichen Recherchen und verschiedener Zeugenaussagen oder Tagebuchaufzeichnungen. Vom ersten feindlichen Überflug im Juni 1942 bis zum Einzug der amerikanischen Truppen am 18. März 1945 fanden insgesamt 23 Fliegerangriffe auf Dirmingen statt. Dabei sind alle Angriffe auf Dirminger Bann, Flur und bewohnte Bereiche einbegriffen. Wenn man sich vor Augen führt, dass Dirmingen aus militärischer und strategischer Sicht eine eher untergeordnete Rolle spielte, sind das verdammt viele Luftangriffe. Während dieser 23 Luftangriffen wurden insgesamt 33 Menschen getötet, davon 16 Dirminger Bürger/innen und 17 Menschen die zum Teil nach Dirmingen evakuiert wurden oder gerade den im Ort befindlichen Truppen angehörten. Am Ende wurden 15 Gebäude zerstört, 18 Gebäude wurden bis zu 50- 80 % massiv beschädigt und etwa 200 Gebäude von ca.10- 30 Prozent in Mitleidenschaft gezogen. Das Dorf zählte vor Beginn des 2. Weltkrieges etwa 400 Wohnhäuser, ohne die vorhandenen Scheunen, Stallungen Getreideschuppen und Ökonomiegebäuden. Insgesamt fielen in unserem Heimatort, im zweiten Weltkrieg, 90 Mann und 50 vermisste Männer (Soldaten) dem Krieg zum Opfer. Schwerverwundete mit einer Beschädigung von mehr als 50 Prozent hat Dirmingen 9 Männer. Insgesamt haben 92 Kinder ihren Vater verloren und gelten demnach als Halbwaise. Dabei kommen zu diesen Zahlen noch die Opfer der Fliegerangriffe auf Dirmingen.
Der 11.Mai.1944 war ein Donnerstag. An diesem Tag brachte die “Operation No. 351″ unserer Dorfgemeinschaft großes Leid. Ziel der „Operation No. 351“ war die Bombardierung der Verschiebebahnhöfe in Brüssel, Lüttich, Konz-Karthaus, Luxemburg, Völklingen – und Saarbrücken. Insgesamt 608 viermotorige Bomber vom Typ B-17 »Flying Fortress« starten zwischen 15.00 Uhr und 15.45 Uhr von ihren Flugplätzen in Ost- und Südostengland. Die damaligen Kriegsberichterstatter berichtet: „… zunehmend schlechter werdende Sichtverhältnisse über der Stadt, stellenweiser Bodendunst und die Saarbrücker Flak erschweren den einfliegenden B-17 jedoch die genaue Zielerfassung.“ Die Alliierten hatten es schwer und am Ende waren sie nur noch mit 21 Maschinen über Saarbrücken präsent. Nach Abbruch der“ Operation No. 351“ werfen 16 Flieger ihre Bombenlast über Völklingen ab, die übrigen B-17 lassen ihre Bomben später irgendwo auf dem Rückflug fallen. Später irgendwo auf dem Rückflug fallen! Irgendwo, war an diesem Tag auch in Dirmingen. An diesem Schicksalstag mussten 11 Bewohner ihr Leben lassen. Unter den Opfern befand sich damals auch ein 2-jähriges Kleinkind.
Unsere Dorfchronik berichtet vom 18. März 1945:
„Die Nacht vom 17.zum 18.03. schlief niemand, Dauerschießen von Artillerie. Den ganzen Tag im Stollen. Um 14:00 Uhr wird der Volkssturm alarmiert. Panzersperre schließen. Volkssturm kommt nicht dazu. 15:00 Uhr: Die Hölle ist los. Dirmingen bekommt die nächsten Treffer. Um halb 16:00 Uhr wurde das Gemeindehaus (Feuerwehrgerätehaus brennt) lichterloh getroffen, ebenfalls das Anwesen von Heinrich Heintz (Landwirt) brennt. Um 16:30 Uhr einzelne deutsche Truppen auf Autos kommen vom Westen und ziehen nach Osten ab. 17:00 Uhr: amerikanische Truppen ziehen in Dirmingen ein. Auf die zurückziehenden deutschen Truppen wird geschossen, einige werden tödlich getroffen. Ein Dirminger Bürger wird ebenfalls erschossen“.
Dorfchronik
Diese schmerzlichen Verluste und Schäden waren für die Dorfbevölkerung verheerend. Gehört es sich überhaupt, diese historischen Ereignisse mit den aktuellen Kriegshandlungen in der Ukraine zu vergleichen ? Welches Leid wiegt mehr ? Ich glaube schon, dass man den Finger in diese historische Wunde legen und dazu mahnenden Worte finden sollte. Warum aber traf es eigentlich so oft Dirmingen? Wahrscheinlich hatte es mit der Bahnverbindung und der militärischen Versorgung der eigenen Truppen zu tun. Nachweislich standen auf dem Bonhof auch verschiedene Flaggs, die in regelmäßigen Abständen auf der Bahnstrecke verschoben wurden. Aufgrund seiner Lage verliefen viele Liefer- und Fluchtwege der Nationssozialisten durch unseren Heimatort.
Übrigens, auch der 1. Weltkrieg riss tiefe Wunden in unser Dorf. Mit Kriegsbeginn im Jahre 1914 bis zum Ende des Krieges im Jahre 1918 hatte Dirmingen 42 Gefallene zu beklagen. Dazu kamen 7 Vermisste so das am Ende der Kriegswirren 49 Mann nicht mehr nachhause zurückkehrten. Dieser Krieg fand überwiegend an der Front statt. Habt ihr den Oscarnominierten Film „im Westen nichts Neues“ gesehen ? Habt ihr schonmal die Schlachtfelder von Verdun besucht ? Das sollte man beides schon einmal gemacht haben. Auf eindrucksvolle Art und Weise wird das Kriegsgeschehene und die Grausamkeit des 1 Weltkrieges gezeigt. Gerade für die jüngere Generation sollten diese historischen Erinnerungspfeiler zu Eckpunkten der Erziehung gehören. Am Ende des 1. Weltkrieges waren in der Zivilbevölkerung erheblich weniger Menschenopfer zu beklagen.
Unsere Mütter und Väter, unsere Vorfahren und Landsleute haben in beiden Weltkriegen fürchterliches erlebt. Kann und sollte man das Leid gegeneinander aufwiegen ? Nein ! Ein Vergleich kann jedoch helfen zu verstehen und aufzuzeigen was ein Krieg am Ende bedeuten kann. Meine Familie hat die beiden Weltkriege teuer bezahlt. Meine Ur-Großvater fiel im ersten Weltkrieg in Russland, mein Großvater fiel im zweiten Weltkrieg in Tschechien und meine Großtante fiel am 11. Mai 1944 während eines Bombenangriffs auf Dirmingen. Bestimmt erging es vielen Dirmingerinnen und Dirmingern ganz ähnlich. Ich für meinen Teil bin nicht bereit mein Kinder oder Enkelkinder auf den Schlachtfeldern dieser Welt zu opfern. „Nein, meine Söhne gebe ich nicht…..„