„Derminga Herbschdfeschd“ – Mit altem Bräuchen und Traditionen durch den Herbst
„Rummelbootzeschnitze“, Kastanien sammeln, Stockbrot machen, Drachen steigen lassen, Obst einmachen und „Siessschmeer“ oder Laxem kochen. Dieser Herbst lädt uns dazu ein die alten Traditionen und Sitten wieder aufleben zu lassen. Viele Jahre waren viele der alten Bräuche in Vergessenheit geraten oder wurden kaum mehr berücksichtigt. In letzter Zeit scheint es jedoch so, als hätten wieder mehr Familien und Kinder Interesse an den alten Brauchtümern gefunden. Dabei können gerade unsere Kinder im Herbst vollends auf ihre Kosten kommen.
Ich erinnere mich noch gut an meine Kinderzeit. Das ist zugegebenermaßen eine Ecke, her und seitdem hat sich so einiges verändert. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich meine Oma in unserem Garten sitzen. Zwischen den Beinen auf dem Boden steht ein Eimer. In der Hand hat Sie ein kleines Messer, ein „Kneipsche“ und schält in sekundenschnelle eine Kartoffel. Meistens war Sie im Herbst den ganzen Tag damit beschäftigt Obst oder Kartoffeln zu schälen, Marmelade (Siess) zu kochen oder Obst einzumachen. In unserem Garten gab es damals so einiges zu ernten. Erdbeeren, Salat, Gurken, Tomaten und auch Bohnen. Wenn der Herbst kam, musste alles verarbeitet oder eingemacht werden. Meine Mutter und meine Oma waren meistens eine ganze Woche damit beschäftigt. Während der Arbeit erzählte meine Oma von Früher. Gebannt hörte ich ihr zu und lauschte die alten Geschichten.
Nach der Schule ging es los. Mit den Kindern aus unserer Straße wurde die „Leh“ unsicher gemacht. Wir sammelten Kastanien und stahlen dem Bauer ein paar Futterrüben. Die schönste aller „Rommelbootze“ musste es sein. Früher gab es in unserem Dorf noch viele Bauern die Futterrüben anpflanzten. Die Futterrüben wurden damals eigens für das Vieh angebaut. Irgendwann wurde dieser Anbau überflüssig und die Landwirtschaft konzentrierte sich auf den Maisanbau. Wenn der Herbst kam, wimmelte es im Dorf nur so von Traktoren.
Eingebettet und beseelt von diesen alten Traditionen erlebten wir eine unbefangene Kinderzeit. Vieles spielte sich auf der „Leh“, oberhalb unserer Straße ab. Wir ließen Drachen steigen, und brachten „Rommele“ zum Schnitzen und Kastanien zum Basteln mit nachhause. Auf dem Nachhauseweg vermischte sich der Geruch der Biermaische unserer Brauerei mit dem Geruch von Äpfeln oder gekochtem Laxem. Dazwischen gab es noch eine Prise Kuhmist. Wie ich das vermisse! Ja, ich liebte den Gestank von Kuhmist! Irgendwie hat Kuhmist bis heute etwas „Hämisches“ für mich. Komisch, seltsam, aber wahr !
Die „Rommelbootze“ wurden in der Regel abends zuhause geschnitzt. Anschließend wurden die Teile ans Fenster oder vor die Haustür gestellt. Das Wort „Rummelbootze“ stammt aus dem saarländischen wobei das Wörtchen im moselfränkischen anders ausgesprochen wird als bei uns im rheinfränkischen. Es bedeutet in hochdeutscher Übersetzung ungefähr so viel wie „Rübengeist“. Eine Rommelbootze ist eine ausgehöhlte Futterrübe mit einer eingeschnitzten furchterregenden Fratze. Damit das Ganze im Dunklen gruselig ausschaut, steckte man noch eine Kerze oder eine Glühlampe hinein. Das Ganze erinnert irgendwie schon ganz stark an das heutige Halloween.
Im Jahre 2021 habe ich erstmals im „Büttelseck“ ein „Rommelboozze schnitze“ mit Kindern und Familien durchgeführt. Dabei war es zunächst gar nicht so einfach genügend “Rommele” zu bekommen. Wenn man heutzutage „Rommele“ möchte, muss man sich schon darum bemühen. Die saarländische Tradition des „Rommelbootze schnitze“ hat ihren Ursprung aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Man erzählt sich, dass damals die Kinder Futterrüben von den Feldern stahlen, um in der Not wenigstens eine Rübensuppe essen zu können. Aus den ausgehöhlten Rüben bastelten die Kinder dann Laternen, mit denen sie von Haus zu Haus zogen und um Essen bettelten. Die ganze Geschichte ähnelt sehr dem heutigen “Halloween” Brauchtum. Die einen stehen auf Halloween und die Anderen auf „Rommelbootze“. Tatsächlich hat sich im Laufe der Jahre ein Wandel vollzog. Ein keltischer Totenkult wurde von der Kirche überholt. Noch heute betrachtet die katholische Kirche auf der Insel den Abend vor Allerheiligen als „All Hallows Eve“, als den Abend vor Allerheiligen am 1. November. Wir evangelische Christen hingegen erinnern am 31. Oktober an den Reformationstag.
Der Herbst kann so schön sein: Drachen steigen lassen, „Rommelkepp“ schnitze, Kastanien und bunte Blätter sammeln und Kartoffeln am offenen Feuer zubereiten. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass uns der Bauer einmal dabei erwischte, wie wir aus seinem Feld die „Rommelkepp“ stibitzen, um daraus zuhause die bekannten Fratzen zu schnitzen. Der Bauer war damals nachsichtig und wusste, dass ihm die ein oder andere „Rommel“ ohnehin verloren gegangen wäre.
Am Ende ist es die Aufgabe von uns Älteren die alten Bräuche und Sitten vor dem Vergessen zu bewahren. Wir müssen es einfach unseren Kindern weitergeben, dann geht es auch nicht verloren. Genauso sieht das offensichtlich auch unser Kulturverein Dirmingen. Am 13./14. Oktober 2022 findet das erste „Derminga Herbschdfeschd“ rund um die Borrwieshalle statt. Der Kulturverein hat sich für diese Veranstaltung vieles vorgenommen. Nicht zuletzt soll die Dorfgemeinschaft gefördert und die alten Traditionen aufgefrischt werden.
Eine gute Idee! Im Mittelpunkt dieses Herbstfestes steht mit dem Laxem kochen eine weitere uralte Tradition auf dem Programm. Das schöne am Laxem kochen ist die Tatsache, dass man diese Delikatesse gemeinsam in der Gruppe oder wie hier in der Dorfgemeinschaft durchführen muss. „Laxem koche“ als Gemeinschaftsprojekt. Beim Kochen sitzt man zusammen am Kessel, „sproocht“ oder musiziert.
Das Rezept für Laxem ist sehr einfach. Alles, was man braucht, sind Zwetschgen oder Birnen, Zucker, Zimt und Sternanis. Am allermeisten benötigt man aber Geduld. In der Regel kann es bis zu zehn oder zwölf Stunden dauern, bis der Laxem in Gläser abgefüllt werden kann. Der „Laxem“ muss in dem großen Kessel ständig gerührt werden. Hierbei hat man sich früher in der Großfamilie oder in der Straße immer zusammengetan und abgewechselt, Marmelade konnte man früher eben nicht im Geschäft kaufen. Wenn damals in großen Mengen Laxem gekocht wurde, war die ganze Straße oder sogar ein Ortsteil auf den Beinen. Die wichtige Aufgabe des Rührens obliegt dem Kulturverein und den vielen teilnehmenden Vereinen. Das Herbstfest wird zur Gemeinschaftsaufgabe. Dabei kommen neben den Vereinen und Organisationen auch eine Vielzahl von ehrenamtlichen Bürgerinnen und Bürger zu Mithilfe herbeigeeilt. Schon freitags am 13. Oktober kommen zahlreiche Helferinnen und Helfer zusammen, um gemeinsamen die Birnen zu schälen. In Dirmingen wird es in diesem Jahr Birnen- Laxem geben. Leider gab es in diesem Sommer zu wenige Quetschen. Das Schälen ist eine mühselige Arbeit, die aber im Team bei guten Gesprächen viel Spaß machen kann. Genau das macht es doch aus, oder? Arbeit gibt es während dem „Herbschdfeschd“ genug. Jeder ist herzlich eingeladen mitzumachen.
Während die Erwachsenen den Laxem zubereiten, sollen auch Kindern und Jugendlichen auf ihre Kosten kommen. Wir werden mit Kindern „Rommelbootze schnitze“ und Kastanien basteln. Dabei sind alle Kinder unseres Dorfes oder auch der angrenzenden Dörfer herzlich am Samstag, 14. September ab 14:00 Uhr eingeladen. Mitzubringen sind Arbeitsbesteck wie Löffel oder Messer.
Ich bin sehr stolz darauf, dass unser Dorf wieder an alte Tradition anknüpft. Übrigens, unserem Laxen wird am Ende in Gläser abgefüllt und verkauft.
Die Tage werden kürzer. Die Morgen werden immer öfter nebelverhangen und kalt. Mit dem Oktober rückt der Herbst immer näher in unser Leben. Allzu oft steht der Herbst sinnbildlich für den Abschied. Das muss nicht sein! Jeder Jahreszeit hat etwas Wunderbares, einzigartiges. Die Natur präsentiert im Herbst ihre Farben- und Genussvielfalt: Wein, Viez, Apfelmuss, Marmelade, Gemüse- und Fruchternte und auch „Laxem“. Warum nutzen wir den Herbst nicht einmal zum Aufbruch. Lasst uns gemeinsam in eine neue, bessere Zeit starten. Schön, wenn wir uns dabei wieder an alte Bräuche und Traditionen erinnern. Für meine Oma waren diese Bräuche eine Selbstverständlich. Genau dort müssen wir wieder hinkommen!