Von der “halb Schicht”, einem Arschleder, einem “Knubbe”, dem Primtabak und einer Prise

Die Erinnerung an den Saarbergbau spiegelt sich überall in unserem Land wider. Wenn man durch unser Bundesland fährt, findet man viele sichtbare Erinnerungsstücke wie zum Beispiele Fördertürme, Schachtanlagen, ehemalige Kantinen, Waschkauen oder Halden. Die Überreste auf den ehemaligen Bergwerken in Camphausen, Göttelborn, Heinitz, Reden oder auch der Warndt erinnern uns an die Zeit der Montanindustrie. Dabei spiegelt sich die Geschichte des Bergbaus auch in unserer täglichen Sprache wider. Die Sprache der Bergleute hat sich längst in das Unterbewusstsein der kommenden Generationen eingeschlichen. Die Bergbausprache hat unendlich viele Ausdrucksformen und einen riesigen Wortschatz. Ein alter Hauer sagte mal zu mir:“ Hier unten ist eine andere Welt mit einer eigenen Sprache“. Ich finde, dass trifft es genau auf den Punkt. Ganz viele Wörter des Bergbaus ersetzen eine längere Satzbildung. Die meisten Ausdrücke haben ihre Wurzeln in den früheren Jahrhunderten. Ganz oft benutzen wir in unserer Mundart verschiedene bergmännische Wörter, ohne zu wissen woher diese eigentlich stammen. Ganz heimlich hat uns die saarländische Bergmannskultur ihre Wörter in den Mund gelegt. Es sind die Wörter unserer Väter und die Sprache unseres Landes. Wir alle nutzen in unseren täglichen Dialogen Wörter wie zum Beispiel Schicht, Ablegen, Abwerfen, Anbruch, Anfahren, Anschlag, Korb, Knubbe, Wetter, Alter Mann oder Glück auf!

Bei unserem Bergmannsgruß „Glück auf“ bin ich ein Stückweit empfindlich. Ausgerechnet diejenigen die sich damals für ein Ende des Bergbaus ausgesprochen haben, grölen diesen traditionsreichen Gruß nach jeder politischen Rede und pressewirksamen Auftritt. Sei’s drum. Fakt ist: ohne Kohle und Stahl würde es das heutige Saarland nicht geben. Unser Land und die Menschen dieses Landes wurden von 250 Jahre Steinkohlebergbau geprägt. Überall in unserem Ländchen findet man in den einzelnen Dörfern Gegenstände, Mahnmale oder auch Denkmäler, die an den Bergbau erinnern sollen. Wir sehen Loren, Schrämwalzen, Schilder oder wie in Dirmingen einen Mannschaftstransportwagen. Hunderte von Exponaten schlummern in den Kellern unserer Häuser. Wer hat heutzutage keine Wasserpumpenzange, Bandmesser oder Schaufel von der Grube? Man muss halt ganz genau hinschauen, um die Zeichen und Erinnerungsstücke des Bergbaus zu erkennen.

Auch unser Landkreis Neunkirchen ist praktisch auf Kohle und Stahl entstanden. Auf meinem täglichen Weg quer durch unseren Kreis passiere ich ständig verschiedene Relikten des Bergbaus. Da stehen Fördertürme, Absinkweiher, Schlacke-Halden, Loren, Seilscheiben oder sogar ganze Schrämmaschinen. Wenn man die Bergmannssiedlung Maybach durchfährt, erkennt man unwillkürlich die großen Doppelhäuser der Bergbausiedlungen. Wer hat nicht schon alles dort gelebt und geschlafen?

Es steckt so viel Bergbau in unserem täglichen Leben. Wir finden die Erinnerungskultur in unserer Sprache, Gestik und in unserem Verhalten. Alles kommt zurück und erinnert an das Vergangene. Alte Gewohnheiten und Bräuche kommen wieder in Mode und werden auf eine andere Art und Weise zelebriert. Es gibt sie wieder! Was? Na, die Prise, der „Schnuppes“ oder besser der Schnupftabak.  Während meiner Zeit „Unter Tage“ hatte ich wöchentlich eine Dose verbraucht. Es gab Unmengen von Sorten: Gletscherprise, Edelprise oder Löwenprise wurden in rauen Mengen inhaliert. In letzter Zeit stelle ich immer öfter fest, dass viele Männer wieder auf die Prise gekommen sind und fleißig das braune Pulver schnupfen. Im Bergbau hatte das „schnupfen“ schon seinen Grund. Die Nasenschleimhäute wurden mit dem Tabak feucht gehalten und die Aufnahme von Kohlen- oder Steinstaub dadurch minimiert. Ähnlich verhält es sich mit dem Primtabak. Die Bergleute legten den „Prim“ in einem Schnaps ihres Gefallens um anschließend ein Tabakstück unter die Zunge oder in die Wangentaschen zu legen. Auch hier ging es im Wesentlichen darum den Kohlenstaub zu binden.

Wenn zwei Bergleute eine Pause machten, hockten sie sich zwischen Grubenstempeln oder in die Strecke auf einen Mutterklotz und genehmigen sich eine Prise Schnupftabak. Auf das kalte Eisen setzen sich die Bergleute nicht gerne nieder. Meistens wurde ein Stück Holz (Muddakletzje) untergelegt. Viele gerade im niedrigen Streb beschäftigte Bergleute trugen ein Arschleder. Der Schnupftabak war schon allein aufgrund der Tatsache, dass Rauchen „unter Tage“ verboten war, eine echte Alternative. Der Prise wurde unter Tage eine soziale Funktion nachgesagt. Bei der Prise tauschte man sich aus und förderte unwillkürlich das Zusammengehörigkeitsgefühl. Ganz oft kam es vor, dass man sich einfach zusammenstellte und die Prise der Reihe um gereicht wurde. Da wurde beim „Schnupfen“ diskutiert, die Arbeit geplant oder einfach nur „gesproocht“.

Jedes Jahr am Barbaratag denke ich an meine Zeit „Unter Tage“ zurück und versinke dabei gerne in Erinnerungen. Neben der oftmals harten Arbeit vereinbarte der Bergbau viele soziale Eigenschaften. Wenn wir zur „Halb Schicht“ aus dem Streb kletterten suchten wir schnellstmöglich den Weg zum eigenen „Jubbe“. Meistens hing der Arbeitsanzug („Jubbe“) an einem Kabelhacken am Ausbau. Hastig ein Schluck aus dem Kaffeeblech und einen Bissen ins „Kneibche“, dann noch eine Prise und weiter zur Arbeit. Gut beraten war man, wenn man sein Brot in einem Blech aufbewahrte. Es kam nicht selten vor, dass der Bergmann in der “halb Schicht” eine böse Überraschung erlebte und eine Maus das Brot anknabberte hatte. Ich selbst war 18 Jahre im Saarbergbau tätig. Auch mein Ur-Großvater, mein Großvater, mein Vater arbeiteten „Unter Tage“. Wenn ich an meine Zeit „Unter Tage“ denke, erinnere ich mich an: Hitze, Staub, schwere Last, rauer Umgangston, schwer-verletzte und sogar Tote. Ich erinnere mich aber auch an: Schulterklopfen, Zuspruch, Ermutigung und Kameradschaft. Ich denke gerade am Barbaratag sollten wir Saarländer nicht nur der Schutzpatronin der Bergleute, sondern auch dem Berufsstand des Bergmannes selbst Gedenken. Immerhin haben uns Kohle und Stahl zu dem gemacht, was wir heute noch sind! In letzter Zeit beschleicht mich immer öfter das Gefühl, dass wir im Begriff sind unsere Erinnerungskultur zu vernachlässigen. Natürlich hat nicht jeder positive Erinnerungen an den Bergbau. Gerade die Menschen, die am Ende des Saarbergbaus unter den schlimmen Erderschütterungen gelitten haben, werden dem Ende des Bergbaus nicht nachweinen.

“Sankt Barbara, bei Tag und Nacht, fahr’ mit dem Vater in den Schacht! Steh Du ihm bei in jeder Not, bewahr’ ihn vor dem jähen Tod!”

Traditionelles Bergbaugebet

Am 4. Dezember gedenken also die katholischen Christen und mit ihr alle die sich dem Bergbau verbunden fühlen der christliche Märtyrerin Barbara von Nikomedien. Obwohl ihre Existenz historisch nicht belegt ist, hat sich ihre bewegende Geschichte bis heute gehalten. Der Überlieferung zufolge lebte Barbara als Tochter eines reichen Kaufmanns im 3. Jahrhundert in Nikomedien in der heutigen Türkei. Der heidnische Vater wollte Barbara gegen ihren Willen verheiraten. Die junge Frau hingegen wollte ihr Leben Christus widmen. Obwohl der Vater seine eigene Tochter foltern ließ, hielt Barbara an ihrem christlichen Glauben fest. Der Legende nach brachte ihr Vater Barbara vor Gericht und enthauptete sie schließlich eigenhändig. Bis heute gilt die heilige Barbara als Schutzpatronin der Bergleute. Der Überlieferung zufolge suchte Barbara auf ihrer Flucht vor ihrem Vater Schutz in einer Felsspalte. Der Felsen soll sich auf wundersame Weise vor ihr geöffnet haben. Auch die Überlieferung wonach Barbara in einem dunklen Turm eingesperrt und gefoltert wurde lässt auf eine Verbindung zu den Bergleuten und ihrer Arbeit unter Tage schließen. Der dunkle finstere Turm der heiligen Barbara auf der einen und der finstere dunkle Stollen der Bergleute auf der anderen Seite haben sicherlich etwas Gemeinsames.

Ich glaube, die eigentliche Erinnerungskultur beginnt im Kopf. Viele Saarländer gebrauchen noch heute Teile der alten Bergmannssprache: „Mutterkletzje“, „Befahren“, „Hartfüßler“, „Kaffekisch“, „Knubbe“, „Gezähe“, „Auf- und Hängen“, “Alter Mann”, “schlechte Wetter” oder „Partiemann“ gehören fest zum Wortschatz zahlreicher Saarländer/innen. Wenn wir diese Sprache weitersprechen geht sie auch nicht verloren. Ich wünsche mir einen würdigen Umgang mit diesem Wortschatz und hoffe wir finden einen Weg diese Wörter unseren Kindern nahezulegen. Unser Dialekt stirbt langsam aber sicher aus. Mit dem Ende unserer Muttersprache wird auch die Bergmannssprache verloren gehen. Für dieses Stück Erinnerungskultur ist jeder selbst verantwortlich. Es liegt alleine an uns das allgemeine Vergessen zu bekämpfen. “Schwätze ma wie de Mund uus gewach’s es, dann gedd aach nix verlor”.

Ich wünsche allen ehemaligen Bergleuten und allen Freunden einen besinnlichen Barbaratag und uns allen das Gedenken an den Bergbau.

Glück auf!

O, St. Barbara, o, St. Barbara, aller Knappen Beschützerin. In den Gefahren wollt uns bewahren. Schütze uns, schütze uns, St. Barbara. O, St. Barbara, o, St. Barbara, aller Knappen Beschützerin. Sei uns Erretter bei schlagend Wetter. Schütze uns, schütze uns, St. Barbara. O, St. Barbara, o, St. Barbara, aller Knappen Beschützerin. Wollst uns erhalten, wenn Felsen spalten. Schütze uns, schütze uns, St. Barbara. O, St. Barbara, o, St. Barbara, aller Knappen Beschützerin. In den letzten Streiten steh’ uns zur Seite. Schütze uns, schütze uns, St. Barbara.

Traditionelles Knappenlied