100 Jahre Saargebiet oder auf der Suche nach der eigenen Identität
Das Saargebiet, wie wir es heute kennen, feiert in diesem Jahr sein 100- jähriges Bestehen. Inoffiziell wird der 10. Januar 1920 als das Gründungsjahr des heutigen Saarlandes gefeiert. Vor 100 Jahren entstand also großes im Kleinen. Nachdem das Deutsche Reich den 1. Weltkrieg verloren hatte, wurde im Friedensvertrag von Versailles beschlossen, das sogenannte „Saargebiet“ zu schaffen. Dabei machten es sich die damaligen Staaten alles andere als einfach. Politisch gehörte das neue Saargebiet zum Deutschen Reich, wirtschaftlich wurde es Frankreich angeschlossen, verwaltet vom internationalen Völkerbund. Dieser Status hatte ganze 15 Jahre Bestand. Im Jahre 1935 gab es in unserem Ländchen eine deutliche Mehrheit, die zurück ins Deutsche Reich wollte und dafür auch bei einer Ur-Wahl stimmte. Die saarländische Industrie mit ihren zahlreichen Gruben spielte bei diesem Possenspiel zwischen Deutschland, Frankreich und dem Völkerbund eine gewichtige Rolle. Die vielen Bergwerke waren den Franzosen zugesprochen worden. Damals arbeiteten über 70.000 Menschen in den saarländischen Bergwerken. Die meisten Bergleute mussten täglich zu Fuß über sogenannte Bergmannspfade auf die Arbeit. So entstanden die sagenumwobenen „Hartfüßler“. Dieser Begriff leitete sich von dem selbstgemachten Schuhwerk der Bergleute ab. Gutes Schuhwerk war zu dieser Zeit lebenswichtig. Der gute alte „Franc“ galt im Saargebiet als Zahlungsmittel. Letztlich war es wohl so, dass dieser Status quo den Menschen im Saargebiet keine klare Perspektive bot. Die Saarländer fühlten sich Deutsch wobei die Sprache bei solchen Entscheidungen mit Sicherheit eine gewichtige Rolle spielte.
Im Jahre 1935 stimmten die Saarländer also darüber ab, ob sie weiterhin vom Völkerbund regiert werden wollten, zu Frankreich gehören oder wieder Heim ins Deutschen Reich wollten. Mit überwältigender Mehrheit entschied sich die Bevölkerung für den Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland. Heute weiß man, dass dies keine sehr gute Entscheidung war. Als am 13. Januar 1935 fast 90% der Saarländer für einen Anschluss an Nazi-Deutschland votieren gab es kein zurück mehr. Es folgten schwierige Jahre mit viel Leid und Elend. Hitler erklärte das Saarland zum Kampfgebiet für seinen Krieg gegen Frankreich. Aus diesem Grund wird ein sogenannter »Westwall« eingerichtet der das ganze Saargebiet mit 4.100 Bunkern, 340 Minenfeldern, 100 km Panzergräben und 60 Kilometer Höckerlinien übersät. Bauern werden enteignet und Flüsse gestaut oder umgeleitet. Am Tag der Kriegserklärung dem 7. September 1939 müssen 300.000 Saarländer ihre Heimat verlassen. In den Städten und Dörfern müssen sich schreckliche Szenen abgespielt haben. In Dirmingen dürfte dies den Berichten zu folge noch recht kultiviert abgegangen sein. Ohnehin war damals alles im Fluss und im Dorf herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Berichten zufolge wurden vielerorts Frauen und Kinder einfach nach Franken oder Hessen abtransportiert. Als die Männer von der Arbeit kamen mussten sie ihre Familien suchen. Viele mussten ihr Hab und gut zurücklassen. In Sonderzügen werden die Saarländer aus der Heimat ins Innere des Reichs verfrachtet. Dabei stießen die Saarländer nicht überall auf offene Arme. Es entstanden die heute noch bekannten Begriffe wie z.B »Saarfranzosen«, »Stockfranzosen« oder das »Zigeunervolk«. Erst nach einem Jahr in der Fremde durften die Evakuierten wieder in ihre Heimat zurück. Die meisten Saarländer hatten Glück und fanden ihre Häuser unbeschädigt wieder. Ich glaube das damals ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Saarländern entstand. Irgendwie waren wir alle mal auf der Flucht.
Bei der zweiten Abstimmung im Jahre 1955 verhielt es sich ganz ähnlich. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und dem Untergang des Nazi-Regimes wurde das Saarland zum zweiten Mal aus dem deutschen Staatsgebiet herausgelöst. Es entstand ein autonomer Staat zwischen den Großmächten Deutschland und Frankreich. Dieser Status hat die Identität der Saarländer bis heute geprägt. Es entstand ein ausgesprochen großes Gemeinschaftsgefühl. Viele Saarländer glauben noch heute, dass in der Zeit von 1947 bis 1956 der Ursprung der eigenen Identität unseres Landes liegt.
Der Saarländer hat irgendwie das Beste daraus gemacht. Großes entsteht nun mal im Kleinen und wenn man schon auf keine großen Errungenschaften oder eine große Geschichte deuten kann muss man halt seine eigene Kultur erfinden und eigene neue Wege gehen. Genau das ist in den letzten 60 Jahren geschehen. Wenn man mal von den Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen absieht sind wir das kleinste und auch jüngste Bundesland. Im Jahre 1957 wurde das heutige Saarland Mitglied der Bundesrepublik Deutschland. Seitdem liegt unser Ländchen irgendwie am Rande und doch mittendrin. Die Nähe zu Frankreich und Luxemburg hat einen besonderen Charme entwickelt. Der Saarländer liebt das Leben und gutes Essen. Schwenker, Lyoner und Bier gehören zu den Staatsschätzen und sind mittlerweile echtes saarländisches Kulturgut.
Heute ist das Saarland eine beliebte Anlaufstelle für den sanften Tourismus. Kaum zu glauben, aus der ehemals grauen Maus mit zahlreichen Gruben und Hüttenwerken wurde eine grüne Oase, die viele Menschen aus der Republik und den Nachbarländern anzieht. Immerhin gibt es an der Saar einiges zu sehen und zu erleben. Schöne Natur mit großen Mischwäldern, Radwege und Wanderwege und natürlich das Naturereignis schlechthin die „Saarschleife“. Außerdem gibt es in unserem Ländchen mit dem Völklinger Hütte ein echtes UNESCO-Weltkulturerbe. Es gibt schon so einiges zu sehen und erleben im kleinsten und schönsten Bundesland der Welt. Das besondere an diesem Ländchen ist jedoch der Saarländer selbst. Früher verspottet und verhöhnt, heute stolz und selbständige. Der Saarländer ist stolz auf sein Land, seine etwas seltsame Sprache und seine selbstentwickelte Kultur. Man ist wieder „wer“ im kleinsten und schönsten Bundesland der Welt. Nicht umsonst spricht man davon, dass die Saarländer den europäischen Gedanken mehr als alle anderen in Deutschland leben.
Mittendrin liegt Dirmingen. Unsere Heimat! Wie mag es wohl unseren Landsleuten zu Zeiten der beiden Saarabstimmungen ergangen sein. Fakt ist, auch in Dirmingen hat man sich zweimal deutlich für die Eingliederung ins Deutsche Reich beziehungsweise in die Bundesrepublik Deutschland entschieden. Warum sollte das anders gewesen sein als in dem restlichen Teil des Saargebietes? Unser Heimatdorf ist ebenfalls auf Kohle und Stahl geboren und verfügt zudem über eine große Tradition in der Landwirtschaft. Im Landkreis Ottweiler war Dirmingen bekannt als wohlhabendes Bauerndorf. Schade, heute ist davon nicht mehr viel zu sehen. Dirmingen liegt im Herzen des Saarlandes. Die Geschichte unseres Dorfes ist natürlich eng mit dem Saargebiet verbunden. 100 Jahre Saargebiet. Das bedeutet 100 Jahre Suche nach der eigenen Identität. Heute scheint man im Saarland angekommen zu sein und das ist gut so!
Dank für diesen Beitrag. Ja heute ist man auch im Saarland bei der eigenen Identität angekommen. Trotzdem bleibt es eine Herausforderung unserer Jugend die politischen Wurzeln dieser Identität bewusst zu machen. Dies ist eine der oftmals nicht erfüllten Aufgaben unserer Schulen. Wer von den Jungen kann- trotz der bei ihnen herrschenden Internetaffinität – mit den Begriffen Saarstatute, Montanunion, und und und etwas anfangen. Wo, wenn nicht in der Schule sollte darüber geredet und diskutiert werden? Die Erziehung zu politisch bewussten und denkenden Menschen fällt allzu häufig unter den Tisch. Mahnen wir sie deshalb immer wieder an.