Unsere Narren, so traurig, wie der Clown Pierrot – Schlechte Zeiten für „Faasebooze“

Jean-Gaspard Deburau war ein böhmisch-französischer Pantomime, der im frühen 19 Jahrhundert die Figur des Pierrots entwickelte. Der Pierrot ist ein trauriger Clown, den man heute höchstens noch bei besonderen Maskenbällen findet. Durch den Pantomime Deburau wurde der Pierrot weltberühmt.  Dabei wurde die Figur des Pierrots keineswegs bösartig, sondern vielmehr bemitleidenswert und bewusst naiv dargestellt. Als ich im Netz auf die Figur des traurigen Clowns Pierrot stieß, kam mir der Gedanke zu diesem Blogeintrag. Irgendwie erinnert mich diese traurige Figur an die vielen „Faasebooze“ in unserem Land. Der Pierrot steht als Sinnbild für die vielen kleinen Karnevalisten, die enttäuscht der diesjährigen Fastnacht -Session nachtrauern. Der „Faasebooze“ als trauriger Clown dem man das Lachen verboten hat. Eine tragische, aber auch reale Vorstellung.

Schon wieder fällt das fastnächtliche Treiben der Pandemie zum Opfer. Während in der Karnevalshochburg von Köln, Düsseldorf und Mainz zumindest die großen Prunk- und Fernsehsitzungen geplant waren, hatte man im beschaulichen Saarland beizeiten alle Großveranstaltungen abgesagt. Im zweiten Jahr hintereinander müssen die Karnevalisten in unserem Land ohne das heißgeliebte fastnächtliche Treiben auskommen. Der erneute Ausfall der Fastnacht trifft die vielen Karnevalsvereine an der Saar sehr hart.

Als wäre die Pandemie nicht schon schlimm genug, versetzte nun auch noch der Kriegsausbruch in der Ukraine nicht nur die Narren in Schrecken. Gerade als man zumindest ein wenig Licht am Ende des Tunnels vermutete, schlug die Nachricht vom Angriff auf die Ukraine sprichwörtlich wie eine Bombe ein. Seit der Gründung der Kolpingfamilie Dirmingen, im Jahre 1955, wird in unserem Dorf jährlich der Fastnachtsbrauchtum mit der Kappensitzung gepflegt. Bis zum Jahre 1977 wurde die Sitzung im Gasthaus „Hesedenz“ durchgeführt. Danach wurde die Veranstaltung aus Platzgründen in die Borrwieshalle verlegt. Genau dort in der Borrwieshalle ist eine Kappensitzung aufgrund der immer noch anhaltenden Pandemie undenkbar. Das Schunkeln, singen, tanzen und Küssen gehört untrennbar zur fünften Jahreszeit. Die aktuellen Corona-Vorschriften lassen eine Innenveranstaltungen mit über 250 Menschen in der Halle nicht zu. Wie soll man mit Abstand, Maskenpflicht und Tanzverbot unbeschwert Fastnacht feiern. Die neuerlichen Lockerungen in unserem Bundesland reichen bei weitem nicht aus und kommen zudem auch zu spät.

Die Verantwortlichen des KKV Dirmingen haben sich ihren Entschluss nicht leicht gemacht. Noch im Dezember hatte man die Hoffnung eine Kappensitzung unter bestimmten Richtlinien durchführen zu können. Die neue Omikron Variante ließ am Ende jedoch keinen Spielraum. Die Kinder- und Jugendgarden sowie unsere Show- und Großgarde befanden sich bereits in der heißen Vorbereitungsphase. Auch unsere Büttenredner waren bereits mit der Feinabstimmung beschäftigt.

Dennoch kam die Absage der „Derminga Faasend“ keineswegs überraschend. Irgendwie konnte jeder nach dem Anstieg der Inzidenzzahlen damit rechnen. Man stelle sich einen Fußballer ohne Ball, einen Tennisspieler ohne Schläger oder einen Schwimmer ohne Wasser vor. Alle diese Sportarten durften während der Pandemie ihrem Hobby oder der eigenen Berufung folgen. Bei den Karnevalisten sieht das seit zwei Jahren anders aus. Ein Karnevalsverein ohne eine Kappensitzung, ohne einen Umzug, ohne Schunkeln, ohne Lachen und ohne Tanzen. Wie soll das funktionieren ? Ein Karnevalsverein ohne Fastnacht ist, obwohl nur schwer vorstellbar, zur bitteren Realität geworden. Der plötzliche Kriegsausbruch bedeutete das endgültige Aus für alle kleineren fastnächtlichen Aktivitäten. Diejenigen die zumindest etwas kleines Närrisches auf die Beine stellen wollten, mussten ihre Pläne mit den ersten Bomben beerdigen. Wer hat in diesen Zeiten noch Lust zum Feiern ?

Wie soll sich ein Verein in diesen Zeiten über Wasser halten? Von was sollen die Kosten getragen werden und wie hält man die Mitglieder bei Laune? Den Karnevalsvereinen ergeht es wie vielen anderen Leidgenossen in der Unterhaltungsbranche. Die Kultur in unserem Land liegt am Boden. Wahrscheinlich werden wir erst viel später erkennen welchen Schaden die Pandemie und auch der Kriegsausbruch in Europa unserer Kultur zugefügt hat.

Die Kunst- und Unterhaltungsbranche, die neben künstlerischen und kulturellen Einrichtungen auch Sport-Dienstleistungen beinhaltet, erwirtschaftete bis zur Pandemie jährlich einen Umsatz von 45,2 Milliarden Euro. Während der Bazillus tobte, wurden zahleiche Unternehmen geschlossen und Mitarbeiter entlassen. Das langsame Sterben der Unterhaltungsbranche wurde durch die Pandemie beschleunigt. Viele werden diese Zeit nicht unbeschadet überstehen. Bei allem Verständnis für die vielen verschiedenen Hygienerichtlinien bezüglich der Pandemie erwarte ich von den Verantwortlichen in unserem Land eine Antwort auf die Sorgen und Nöten unserer Kultur. Neben den Karnevalsvereinen haben in den letzten beiden Jahren auch Theatervereine, Musikvereine aber auch Solokünstler, Bands und Gruppen sowie Arbeitnehmer/innen in der Unterhaltungsbranche harte Einschnitte ertragen müssen.

Der Pierrot oder in unserem Fall die Karnevalisten haben ihr Lachen verloren und schauen betrübt in eine ungewisse Zukunft. Der Blick geht nach vorne. Werden wir die nächste Session wieder gemeinsam feiern können? Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Die letzte „Derminga Kappensitzung“ fand im Jahre 2020 statt. Seitdem versucht der KKV Dirmingen sich mit kleinen Aktionen in Erinnerung rufen. Mit Unterstützung des KKV -Urgesteins Benno Fries und seiner Tochter Dagmar versuchte der KKV zumindest virtuell an das närrische Treiben zu erinnern. Kurz vor dem Veröffentlichungstermin mussten unsere „Faasebooze“ aus urheberrechtlichen Gründen von einer Veröffentlichung Abstand nehmen. Hingegen wurde die Schulaktion des KKV Dirmingen mit „Kichelcha“ und Wurfmaterial zu einem echten Erfolg.

Mit dem Ausfall der Fastnacht geht die schönste Jahreszeit verloren. Dabei trauern wir nicht nur unserer Kappensitzung nach, sondern auch den vielen wunderschönen Veranstaltungen der Straßenfastnacht. Kein Nachtumzug in Macherbach, keine Rathausstürmung in Eppelborn, kein „Faasend-Umzug” in Berschweiler und auch ein närrischer Lindwurm in Bubach- Calmesweiler. Viele Traditionen werden in dieser Zeit einfach über den Haufen geworfen. Natürlich ist jedes Menschenleben mehr wert als ein lustiger Abend in närrischer Gesellschaft. Dennoch schmerzt der Verlust der eigenen Kultur nicht nur die vielen Vereine, sondern auch diejenigen die gerne Fastnacht feiern.

Erneut erleben wir also ein trostloses Fastnachtswochenende mit einem traurigen Rosenmontag. Die wenigsten können sich daran erinnern, dass es auch in Dirmingen mal einen Rosenmontagsumzug gab. Dabei spielte die Wahl eines Dirminger Prinzenpaares und eine große Verhaftungswelle am “Faasend-Dienstag” eine große Rolle. Damals wurden Kommunalpolitiker, Geschäftsleute und Lehrer verhaftet. Die Gefangenen konnten sich später im “Hesedenz-Saal” bei Speisen und Getränken freikaufen. Am sogenannten “Veilchen-Dienstag” wurde ein Krammarkt durchgeführt. Woher der Name Veilchendienstag kommt, scheint nicht eindeutig geklärt. Es ist nahe liegend, dass wie der Nelkensamstag, Tulpensonntag oder Orchideensonntag die floralen Namen so schön zum Rosenmontag passten.

In Dirmingen wurde schon immer gerne „Faasend“ gefeiert. Dazu gehörten auch allerlei närrischer Bräuche und Sitten. Dabei waren die sogenannten “Heischebräuche” besonders bei Kindern sehr beliebt. Wisst ihr noch: „…bin e kleener Keenich, geb man net se wenich…..“ Die verkleideten sich zu Rosenmontag oder Veilchendienstag um „singen zu gehen“ oder „klingeln zu gehen“. Heute ist dieses Brauchtum längst aus der Mode geraten. Schon vor dem ersten Weltkrieg war man in Dirmingen bemüht, den Fastnachtsbrauchtum aufzuwerten. Schon im Jahre 1903 erschien ein sogenanntes „Liederbuch der Gesellschaft“, mit vielen närrischen Stimmungsliedern. Die Dirminger Fastnachtsgesellschaft “D’moss senn” rief in diesem Jahr erstmals zum närrischen Treiben mit diversen Bällen und großem Fastnachtsumzug auf. Im Jahre 1905 stand das ganze Fastnachts-Wochenende unter dem Motto: ”Dirminger Faschingsfeier im Jahre des Humors 1905″. Ein entsprechendes Werbeplakat ist zeitgleich das älteste vorhandene Dokument über karnevalistisches Treiben in unserem Dorf.

Vor dem zweiten Weltkrieg hatte sich der damalige Dirminger Handwerkerverein und der Theaterverein Dirmingen um die Durchführung der Fastnacht mit Umzug und Kram – und Viehmarkt bemüht. Im Jahre 1955 fand der erste Maskenball der Kolpingfamilie Dirmingen im „Hesendez-Saal“ statt. Im Jahre 2003 wurde der heutige Kolping Karnevalsverein als Untergruppierung der Kolpingsfamilie gegründet. Seitdem ist unser KKV Dirmingen bemüht das fastnächtliche Brauchtum unseres Heimatortes aufzuwerten. Das Ganze, natürlich nur, wenn man sie lässt.

„Faasend“ hat immer etwas mit Heimat und eigener Identität zu tun. Es ist schön mit seinen Leuten oder seinem Verein die Fastnacht zu feiern, die gleichen Farben zu tragen und den gleichen Ausruf zu schmettern. Dabei spielt auch Stolz und ein gewisses “Wir-Gefühl” eine gewichtige Rolle. Unser Dorf, unsere Sprache, unser Verein. Wichtig ist, dass schon unseren Kindern diese Werte beigebracht werden. Ein Sprichwort sagt: „Besseres kann kein Volk vererben, Als der eigenen Väter Brauch. Wenn des Volkes Bräuche sterben, Stirbt des Volkes Seele auch.“

Klar ist, unsere Bräuche sind Volks- und Kulturgut. Unsere Traditionen und Sitten spiegeln die eigene Kulturlandschaft wider und helfen diese zu bewahren. Dabei ist besonders unsere Mundart wichtig für die eigene Identität unserer Dorfgemeinschaft. Der “Brauchtum” kann zur Sozialisierung beitragen. Unsere Sitten, Traditionen und Bräuche werden meistens durch feststehenden Termin im Jahreskreislauf vorgegeben: Fastnacht, Ostern, Maifest, Kirmes, Advent oder Weihnachten. Das alles spielt im ländlichen Raum eine erhebliche Rolle.  Unsere Kinder und Jugendliche wissen kaum noch, wo der Ursprung der vielen Traditionen liegt. Wir haben die Aufgabe den Karnevalsbrauchtum vorzuleben. Wie aber soll dies in Zeiten der Pandemie gelingen?

Es bleibt dabei, auch die diesjährige Session fällt einem miesen Bazillus und einem unsäglichen Krieg zum Opfer. Berührungen, Emotionen und gute Laune gehen verloren. Schon wieder sind wir dazu verurteilt, beim Zuschauen der vielen Videos in Erinnerung zu Schwelgen. Es bleibt ein ungutes Gefühl getragen von der Sorge, dass diese Pandemie am Ende mehr kaputt gemacht hat, als wir uns alle ausmalen können. Die närrische fünfte Jahreszeit findet bekanntlich nur einmal im Jahr statt. Ich hoffe, dass die Entwicklung des karnevalistischen Brauchtums lediglich gehemmt aber nicht aufgehalten wurde. Es liegt in der Natur des Narren aufzustehen und weiterzumachen.