Unvergessen – Meine persönlichen Erinnerungen an das Grubenunglück im Bergwerk Camphausen

Immer wieder im Februar erfasst mich eine gewisse Melancholie. Zu keiner anderen Zeit im Laufe eines Jahres muss ich öfters an meine Zeit “unter Tage” denken. Das Bergwerk Camphausen spielt in meinem Leben gewichtige Rolle. Heute arbeite ich in einem Dienstleistungsunternehmen. Auf meiner täglichen Tour durch das Saarland, erblicke ich vielerorts alte Fördertürme, Berghalden, Absinkweiher und ehemaligen Bergarbeitersiedlungen. Unser Land, mit seinen Dörfern und Städten, ist bis heute vom Bergbau geprägt. Hin und wieder führt mich mein Weg am ehemalige Bergwerk Camphausen vorbei. Die imposante Hammerkopfschachtanlage wirkt noch heute wie ein Mahnmal aus längst vergangenen Tagen. Manchmal halte ich rechts an und bliebe eine Zeit lang stehen. Hier auf dieser Anlage, dem Bergwerk Camphausen, habe ich 5 harte Arbeitsjahre verbracht. Mein Blick verharrt auf die alte mächtigen Schachtanlage. Bilder ziehen vorbei und ganz langsam kehren Erinnerungen zurück. Heute ist nicht mehr viel übrig vom einstigen Vorzeigebergwerk an der Saar.

Die Bilder für diesen Blog wurden mir von Kerstin Gorny zur Verfügung gestellt. Diese seltenen Fotos zeigen das innere der Hammerkopfschachtanlage Camphausen. Vielen Dank an Frau Kerstin Gorny !

Bildquelle: Kerstin Gorny

Im Jahre 1871 beginnt die Geschichte der Grube Camphausen. Das Bergwerk trägt den Namen des preußischen Finanzminister Otto von Camphausen (1812-1896) der seinerzeit die Grube befahren hatte. Im Oktober 1877 beginnt das Bergwerk mit der regelmäßigen Kohleförderung. Einen schweren Rückschlag erlebte das Bergwerk am 17./18.03.1885 durch eine schwere Schlagwetter- und Kohlenstaubexplosion. An diesen schicksalshaften Tagen fanden 180 Bergleute den Tod. Eine weitere Schlagwetterexplosion mit sieben Toten ereignete sich am 16.02.1986. Diesen Tag werde ich niemals vergessen. Ich war damals als Bergmann in der Abteilung 03, auf der Anlage Camphausen, beschäftigt. Niemals hätte ich mit einem solchen Unglück gerechnet. Das damalige Unglück war der Anfang vom Ende. Im Rahmen des im Jahre 1988 beschlossenen „Drei-Standorte-Konzepts“ wurde die Grube Camphausen ein Bestandteil des Verbundbergwerkes Göttelborn/Reden. Am 12.November 1990 wurde die Kohleförderung auf dem Bergwerk Camphausen eingestellt. Ich wurde anschließend auf die Anlage Nordschacht verlegt.

Ein Sprichwort sagt: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Ich kann dieses Zitat nur unterschreiben. Für mich persönlich war die Anlage Camphausen die Hölle!  Nach meiner Ausbildungszeit in der Lehrwerkstatt Fenne, dem Ausbildungszentrum Velsen und dem Lehrrevier Duhamel (Saarschacht) wurde ich während der Lehrzeit, im Januar 1986, nach Camphausen verlegt. In Camphausen herrschten im wahrsten Sinne raue Sitten und schlechte Wetter. Die Luftfeuchtigkeit war enorm hoch und die hohe Hitze war unerträglich. Wenn mich eine Arbeitsstelle tatsächlich geprägt hat, dann war dies das Bergwerk Camphausen. Bis heute verbindet mich zu dieser Anlage eine gewisse Hass-Liebe. Der Umgangston untereinander war katastrophal. Hier wurde nicht miteinander geredet, sondern vielmehr miteinander geschrien. Es kam nicht selten vor, dass sogar „Unter Tage“ getrunken wurde. Auf der anderen Seite gab es in Camphausen eine hohe Identifikation der Bergleute mit ihrer Grube. Kameradschaft und Zusammenhalt wurde groß geschrieben. Irgendwie konnte ich mit diesen Widersprüchen nie richtig umgehen. Erst viele Jahre später begriff ich, dass ich in Camphausen die beste Kameradschaft meines Lebens erfahren durfte.

Das Wahrzeichen des Bergwerks Camphausen ist der Förderturm von Schacht IV. Der Spatenstich erfolgte am 31.10.1908. Nach den Abteufarbeiten wurde der Förderturm in den Jahren 1910/1911 errichtet. Er misst 40,70 m Höhe und besteht aus vier Hauptstockwerken. Bei dem Bau hat man sich dazu entschlossen, die Fördermaschinen über dem Schacht anzubringen. Bei den beengten Verhältnisse auf dem Grubenareal gab es keine andere Möglichkeit. Von der dritten Etage bis zum Dach ist auf den beiden Schmalseiten des Förderturmes je ein Erker angebaut, in denen die elektrische Ausrüstung der Fördermaschinen untergebracht ist. Diese Erker verleihen dem Förderturm die Form eines Hammerkopfes. Daher rührt auch die Bezeichnung „Hammerkopf-Förderturm“. Der Förderturm Camphausen IV ist im Jahr 2016 von der Bundesingenieurkammer als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ ausgezeichnet worden.

Mich persönlich erinnert dieser Turm immer wieder an meine lehrreiche und prägende Zeit im Bergwerk Camphausen. Im Januar 1986 wurde ich von der Anlage Saarschacht- Duhamel nach Camphausen verlegt. Das ganze geschah auf eigenen Wunsch. Zahlreiche Dirminger Bergleute standen in Camphausen in Lohn und Brot.

Persönliche Erinnerungen an das Bergwerk Camphausen – Februar 1986:

Als ich meine Augen öffne passiert unser Bus gerade den mächtigen Hammerturm. Noch wenige Sekunden, bis ich den Bus verlassen und in die eisige Kälte muss. Es wehte ein eisiger Wind und ein leichter Nieselregen legt sich auf mein Gesicht. Ich ziehe meinen Kragen hoch und eile in Richtung Kantine. Riesenandrang an der Verkaufstheke. Ich ziehe mir einen heißen Kaffee aus dem Automaten und lehne mich an die dreckige Kantinenwand. Ich bin wie immer hundemüde und mir graut vor der bevorstehenden Schicht. Motivation sieht definitiv anders aus!

Endlich bin ich an der Reihe: Ein Wurstweck und eine neue Dose „Gletscherprise“ bitte! Keine Antwort, nur ein schweigendes nicken. Ich nehme meinen Kram und bewege mich in Richtung „Weiß Bad“. Jeder Schritt fällt mit schwer, ich will Nachhause. An meiner Rolle angekommen setzte ich mich auf die lange Holzbank und nehme einen letzten Schluck lauwarmen Kaffee. Ich kann mir nicht vorstellen, diesen Job bis zur Rente zu erledigen. Ich lasse meine Kleiderrolle runterfallen und ziehe meine “weißenKleider aus. Langsam und behäbig hänge ich meine Kram an die Wäscherolle. Mit gesenktem Haupt gehe ich vorbei an den Duschräumen hinüber in das „Schwarz- Bad“. Jeder redet wild durcheinander und ist mit sich selbst beschäftigt. Erste kurze Anweisungen, Absprachen und Hinweise werden weitergegeben.

Bildquelle: Kerstin Gorny

Wieder lasse ich meine Wäscherolle im “Schwarz-Bad” von der Decke hinunterkrachen und stehe vor einem schwarzen, dreckigen klumpen Kleider. Schon beim Anziehen meiner Unterwäsche zieht ein schwerer muffeliger Geruch in meine Nase. Ein Blick in meine Arbeitstasche gibt mir die Gewissheit, dass ich mein frisches Schweißhemd zuhause vergessen habe. Ich atme tief ein und lasse mir nichts anmerken. Ich streife einfach das Schweißhemd des Vortags über und schlüpfe in die lange Unterhose. Das Hemd ist noch nicht ganz getrocknet vom Vortag. Ich nehme meine schwarze Hose und klopfe sie noch einmal an der Wäschetrommel aus. In kürzester Zeit bin ich angezogen und bereit mich in den Zechensaal zu begeben.

Im großen Zechensaal herrscht reges Treiben. In verschiedenen Gruppen stehen die Bergleute am Schalter ihrer Abteilung und warten auf die Arbeitseinteilung ihres Steigers. Ich gehe zum Getränkeautomaten und fülle mein Blech mit einem isotonischen Getränk. Ich stecke das Blech in meine Jacke zu meinem Brot und gehe zum Wasserhahn. Dort nehme ich einen tiefen Schluck Wasser und fahre mir anschließend mit den nassen Händen durch mein Gesicht. Es ist Zeit, ich muss zu meinem Steiger!

Bildquelle: Kerstin Gorny

Glück auf in die Runde. Mein Gruß wird murmelnd und launig erwidert. Die Glocke läutet! Alle Bergleute ziehen ihren Helm vom Kopf und stellen jegliches Gespräch ein. Es herrscht absolute Ruhe! Nach einer halben Minute ruft jemand laut durch den ganzen Zechensaal: Glück auf! Der Gruß wird lauthals erwidert und jeder Bergmann widmet sich sofort wieder seiner Arbeit.

Der Steiger kommt und mischt sich mit einem launigen Gruß unter seine Leute. Nach drei, vier kurzen Sätzen mit nur wenigen Informationen teilt er die Arbeit ein. Als sein Blick auf mich fällt, weiß ich genau was mir blüht: „In de Streb, guck’ das die Schilder beigefahr gen und guck no der Dross“. Ich nicke tapfer und stecke meine Handschuhe in die beiden Schienbeinschoner. Gemeinsam mit den Anderen geht es in Richtung Lampenstube. Zuerst nehme ich meine Staubmaske und stecke den Filterselbstretter in den Lampengürtel. An der anderen Seite des Gürtels befestige ich meine Kopflampe. Ich greife nach meiner Fahrmarke und strecke diese zwischen meine Zähne. Bis zum Schacht hänge ich meine Kopflampe über meine Schultern.

Der Weg bis zum großen Hammerturm müssen wir durch Wind und Wetter nehmen. Es ist kalt, mein feuchtes Schweißhemd klebt an meinem Körper. Ich ziehe den Jackenkragen hoch und gehe so schnell ich kann zum Schacht. In Reih und Glied stehen die Männer vor der Anlage und warten darauf den Korb betreten zu dürfen. Irgendjemand reicht mit eine Dose Schnupftabak. Ohne den Mann anzuschauen, greife ich zu und nehme einen kräftigen Zug.

Bildquelle: Kerstin Gorny

Ein lauter Gong weckt mich aus meinem kurzen Tagtraum. Es ist so weit. Wir betreten den Korb und rücken eng zusammen.“ Do gedd noch enna renn, rutschen mol zesamme“ faucht der Anschläger. Als das schwere Gittertor nach unten fällt und auf den rostigen Korb aufschlägt geht alles plötzlich ganz schnell. Der Anschläger läutet siebenmal und dann wieder zweimal Hängen zur Seilfahrt. Dann fällt der Korb in den Abgrund. Mit bis zu 7 Meter pro Sekunde schießen wir in Richtung Hölle. Alles ist dunkel, es riecht nach Schweiß. Keiner redet! Ab und zu schießen wir an einer Sohle vorbei. Für Bruchteile von Sekunden wird es hell. Dann wird der Korb langsamer und kommt schließlich auf unserer 16. Sohle zum Stillstand. Ein muffeliges, warmes Wetter weht uns entgegen. Das schwere Gittertor wird hochgezogen und die Bergleute rennen in Richtung Zug. Ich höre tausendmal „Glück auf“. Jeder redet wild durcheinander und möchte schnell einen guten Platz im Zug ergattern.

Ich komme nicht nach. Ich bin viel zu müde und träge zum Laufen. Als ich den Zug erreiche sind die besten Plätze vergeben. Ich zwänge mich in den letzten Wagon und ziehe meinen Helm vom Kopf. „Licht aus“ raunt einer der Kumpel und legt seinen Kopf an die kalte Wagonwand. Ich lege meinen Helm auf meinen Schoß und lösche das Licht. Es ist dunkel. Zeit zum Durchatmen. Ich verliere mich „Unter Tage“ in Tagträumen. Acht Bergleute sitzen eng gequetscht in einem kleinen Personenwagen. Als Bergmann lernt man in den unbequemsten Stellen zu schlafen. Wir fahren über eine halbe Stunde bis zu unserem Arbeitsplatz. Die Räder hämmern auf das Gleisen. Jeder Schlag fährt in die Knochen.

Endlich sind wir am Ziel. Helm auf den Kopf und raus aus dem Wagon mit Riesenschritten in Richtung Stappel 11. Danach zum Kuli. Jetzt ist Eile geboten. Wir sind schon jetzt nass geschwitzt. Die Leute im Abbau sollen verdammt nochmal zusehen, dass sie als erstes einen Platz auf dem Kuli ergattern. Ich bin wieder mal zu spät! Die Plätze sind besetzt. Drei weitere Kollegen haben ebenfalls keine Sitzmöglichkeit gefunden. Mein Puls steigt. Mein Partiemann faucht uns an:“ Kommt her, wir rücken zusammen“. Obwohl es fast unmöglich ist quetschen wir uns auf den 8 Sitzer. Wir wagen kaum zu atmen. Die wilde fahrt beginnt! Herauslehnen strengstens verboten. Millimeter vorbei an spitzen Bergen und aufgerissenen Matten und abstehenden Rohren, durch zahlreiche Wettertüren hinauf in Richtung Streb. Mit einem gewaltigen Schlag stoppt das Transportgerät. Die Männer zwängen sich aus der Sitzvorrichtung und eilen in die Fußstrecke. Die Maschine ist gerade in der Kopfstrecke angekommen. Kurze Zeit zum Durchatmen. Ich ziehe meine Jacke aus und hänge sie an einen Kabelhacken. Bloß weit weg von den Rohrspreizen. Auf keinen Fall sollen sich die Mäuse wieder an meinem Brot erfreuen. Schutzbrille auf die Nase, Maske auf den Mund dann geht es los !

Bildquelle: Kerstin Gorny

Es ist heiß und laut! Überall wird gehämmert, gezogen und gemacht. „Steh net nur blöd herum, helft den Ecken zu verbauen“ herrscht mich mein Partiemann an. Ich helfe so gut ich kann und mache mich anschließend an meine Arbeit im Streb. Der Streb ist gerade mal ein Meter hoch. Wenn die Maschine gegen die Wetter fährt erkennt man die Hand vor den Augen nicht. Ich bin schweißgebadet und tausende von Staubkörnern brennen in meinen Augen. Der Stressfaktor ist enorm hoch! Die Schrämmaschine macht Meter. Wir brauchen Kohle! Die ganze Schicht in gebückter Haltung hinter der Maschine her, die Drosse in die Halterung legen, Schilder freiputzen und bei Fahren. Plötzlich stille. Der Panzer wurde angehalten und die Maschine kommt zum Stillstand. Als ich in den „alten Mann“ sehe gibt es einen kräftigen Schlag. Egal, keine Regung. Sowas passiert hier ständig. Man lebt mit der Gefahr.

Schichtende! Ich krabbele aus dem Streb und bin froh wieder gerade stehen zu können. Ich kontrolliere meinen Körper auf Kratzer oder Schnittwunden. Wenn Berge runterfallen, können sie scharf wie ein Fallbeil sein. Die Ablösung ist längst vor Ort Zwei, drei kurze Sätze, dann sind die Jungs an ihrer Arbeit. Ich gehe zu meiner Jacke, nehme einen tiefen Schluck aus meinem Blech und greife nach meinem Brot. Ich setze mich auf ein Stück Holz und beginne zu essen. Zwei Kollegen setzen sich neben mich. Nach einer Weile reicht mir einer der Beiden ein Stück Priemtabak. Ich schlucke die letzten Reste meines Brotes hinunter und nehme den triefenden in Schnaps eingelegten Tabak und quetsche ihn zwischen meine Backenzähne. Der bittere Geschmack breitet sich in meinem Mund aus. Ich spucke zu Boden und nicke den Kollegen zu. Endlich ein Stück Menschlichkeit. Wir reden über Mädchen und Fußball. Dann geht es wieder schnell: „Auf was wartet ihr? der Kuli fährt gleich“. Nix wie in Richtung Schacht, nix wie Heim.

Am Schacht angekommen, binde ich meinen Schal um den Hals und knöpfe meine Jacke zu. Es ist Februar und „über Tage“ herrschen Minusgrade. Am Schacht zieht es und die Gefahr einer Erkältung ist immer gegeben. Endlich Seilfahrt! Der Anschläger hämmert die Glocke 7-mal und dann wieder 3- mal und dann geht es los. Der Korb bewegt sich in Richtung „über Tage“. Zum ersten Mal merke ich so etwas wie Gelassenheit. Irgendwie beschleicht mich ein Gefühl des Stolzes. Ich denke an meine Leute Zuhause. Nein, dieser Job ist nix für Weicheier. Hin und wieder vernehme ich ein Lachen oder einige laute Wortfetzen. Mir egal, ich will nur raus! Endlich oben, wir können es kaum erwarten den Korb zu verlassen. Wieder geht alles schnell. Wenn du im Wege stehst, wirst du umgestoßen. Jeder will weg, jeder will Heim.

Im „Schwarz-Bad“ sitze ich an meiner Rolle und nehme einen großen Schluck Wasser. An meinem Körper gibt es kaum noch eine Stelle, die nicht schwarz oder nass ist. Meine Augen brennen, ich bin müde und stinke. Die Kleider kleben an meiner Haut. Ich gehe unter die Dusche und lasse das Wasser auf mich rieseln. Jemand legt mir ohne Worte seine Hand auf meine Schulter, nimmt meinen Schwamm und beginnt mir den Rücken zu schrubben. Als er mit seiner Arbeit fertig ist, reicht er mir seinen Schwamm und dreht sich um. Irgendwie kommt man sich im Bergbau näher als gedacht.

Kaffeeküche. Die Leute warten auf ihren Bus. Zeit für ein Bier und kurzes Gespräch mit den Kollegen. „Schäfer Bier“, ein Stück Heimat. Ich nehme einen tiefen Schluck und atme tief durch. Geschafft! Jetzt bin ich stolz, dass ich es wieder mal geschafft habe.

Am Sonntag,16. Februar 1986 erschüttern kurz nach 19 Uhr zwei Explosionen den Streb 2-Nord, Flöz 3, achte Sohle, in 1100 Metern des Bergwerks Camphausen. An diesem Sonntag verloren sieben Bergmänner ihr Leben. Sonntags arbeiteten in der Regel nur wenige Bergleute unter Tage. Acht Bergleute befanden sich bei der Arbeit „unter Tage“. Wie ein Wunder hatten alle Bergleute die Explosion überlebt. Als sie dies überglücklich nach „über Tage“ meldeten, gab es eine zweite Schlagwetterexplosion. Sieben Bergleute fanden dabei den Tod. Ein Bergmann konnte verletzt geborgen werden. An diesem Sonntag, dem Unglückstag, war ich Zuhause. Ich hatte am nächsten Tag Frühschicht und ging früh zu Bett. Folglich bekam ich die Nachricht von dem Unglück erst am nächsten Morgen mitgeteilt. Während mein Vater immer Frühschicht hatte, musste ich Wechselschicht fahren. An diesem Montagmorgen fuhren wir ungeachtet des schrecklichen Unglücks mit dem Auto zur Anlage Camphausen. Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, warum wir das gemacht hatten. Wir wussten längst Bescheid und waren darüber informiert, dass an diesem Tag ohnehin kein Bergmann einfahren wird. Warum wir dennoch nach Camphausen fuhren, kann ich mir heute nicht mehr erklären. Ich weiß noch, dass wir auf der Hinfahrt kaum miteinander redeten. Als wir auf dem Parkplatz der Anlage angekommen waren, stellten wir fest, dass doch einige Bergleute zur Anlage gekommen waren. Warum eigentlich? War es Neugier? War es Solidarität? Wir standen fassungslos vor der Anlage. Überall waren Absperrungen und irgendjemand sagte, ohne vorher gefragt worden zu sein: “Sie haben alle Opfer gefunden”. Ob Angehörige vor Ort waren? Ich weiß es beim besten Willen nicht mehr! Im Fernsehen gab es Berichte mit den erschütternden Szenen, als die Toten geborgen und nach oben gebracht wurden. Die Leichen wurden in der Turnhalle der Grube Camphausen aufgebahrt. Nicht auszudenken, wie viele der 1500 auf der Anlage beschäftigten Bergleute an einem Werktag gestorben wären. Hätte es mich auch erwischt?

Es war das letzte Grubenunglück im Saarbergbau. Wenige Tage später nahmen fast 2000 Trauergäste Abschied von den Toten. Tragischerweise gab es dabei ein weiteres Unglück: Emil Salzmann, der Dirigent der Bergkapelle, starb, während das Ensemble vor der Kirche auftrat. Ich war nicht bei der Beerdigung. Warum nicht? Ich weiß es nicht mehr!

Und heute? Wir schreiben das Jahr 2023 und ich frage mich, was vom Bergbau tatsächlich übriggeblieben ist. Immer öfter erreichen mich Totes Botschaften von alten Weggefährten. Ich fürchte, die Erinnerung an den Bergbau wird mit dem letzten Bergmann aussterben.

Bildquelle: Kerstin Gorny

Was ist geblieben vom Bergbau. Die Politik erwartet eine gewisse Erinnerungskultur und in den sozialen Medien finden sich junge Leute die in der Bergmannskluft dien Bergbau als Identitätsfaktor feiern. Die Verdienste, die der Bergbau um unser Volk hat, sind unbestritten. Wo wären wir heute ohne Kohle und Stahl? Seltsam, diejenigen die einst die Kohle für Tod erklärten, enden heute ihre Reden mit “Glück auf “. Ist das nicht ein Hohn für diejenigen die tatsächlich die Kohle gerochen haben oder sogar dafür gestorben sind ? Was bleibt vom Bergbau und und wie bewahren wir uns eine gewisse Erinnerungskultur.

Am 12.11.1990 wurde die Kohleförderung auf dem Bergwerk Camphausen eingestellt. Das Wahrzeichen der Anlage Camphausen ist der „Hammerkopf-Förderturm“. Dieser wurde mittlerweile als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ ausgezeichnet. Seltsamerweise muss ich jedes Jahr im Februar verstärkt an meine Zeit im Bergwerk Camphausen denken. Ich habe dieses Kapitel meines Lebens noch immer nicht aus meinen Knochen geschüttelt. Das Bergwerk Camphausen hat mich geprägt und wird für immer in meiner Erinnerung bleiben. Schließlich ist nichts so schlecht, dass es nicht auch für etwas gut wäre ! Am Ende habe ich in Camphausen auch einiges gelernt: Bück dich für den Anderen, Steh für den Nächsten auf, teile dein letztes Stück Brot und hilf wo du helfen kannst. Vergiss nie: Dein Kamerad ist wichtig, pass gut auf ihn auf ! Glück auf !

Ein Kommentar

  • Jörg Sawatzky

    Habe gerade eine gedankliche Zeitreise gemacht und mich in dem gesamten Beitrag wiedergefunden!
    Super geschrieben. Genau so war es. Ich habe ich einige Minuten zurück gelehnt und es sind wieder minutenlang erlebte Bilder aus Camphausen durch den Kopf gegeistert. War eine lehrreiche, dreckige, heiße,kameradschaftliche, anstrengende aber dennoch auch tolle unvergessene und prägende Zeit.

    Danke für die Geistige Auffrischung an 7 Jahre Bergmann unter Tage
    „Glück auf“
    Jörg

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