Dirmingen – Ein Tag im Jahr 1951

Dirmingen nach dem 2. Weltkrieg. Das Dorf gehörte zu den beschädigtsten Landgemeinden im Kreis Ottweiler. Über die Hälfte alle Häuser, Anwesen, Straßen oder Wege waren entweder völlig zerstört oder stark in Mitleidenschaft gezogen. Der heutige Heimat-und Verkehrsverein Dirmingen gründete sich im Jahre 1949. Ziel des Vereins war die Aufwertung und die Sanierung des Ortskerns des Dorfbildes. Der Verein gründete nach seiner Gründung eine Sparte die sich alleine mit der Verkehrssituation des Dorfes befasste. Ziel war es, die Straßen zu sanieren und die zerbombten Ruinen zu entfernen. In einem weiteren Schritt sollte der Ortskern durch die Regulierung der Alsbach verschönert werden.

Wie aber sah es damals, unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, in unserem Dörfchen aus? Ein Versuch einen Tag in Dirmingen im Jahre 1951 zu rekonstruieren, sollte naturgemäß scheitern. Schließlich war ich aus natürlichen Gründen nicht selbst vor Ort. Dennoch habe ich einmal mehr versucht einen Tag in Dirmingen im Jahre 1951 nachzustellen. Ich werde bei diesem Versuch bestimmt nicht frei von Fehlern gehandelt haben. Dennoch oder “graad se lääds” möchte ich es wagen:

Bürgermeister Georg Gräßer blickt aus dem Fenster seines Büros auf die neuen Straßen des Dorfes. Er nippt an seiner großen Tasse schwarzen Kaffee und wirkt nachdenklich. Vieles hat sich verändert und mit der Sanierung der Hauptstraße bekam das Dorf ein neues noch ungewohntes Erscheinungsbild. Der Bürgermeister blickt in Richtung Eppelborn und beobachtet zwei Straßenarbeiter bei ihren letzten Handgriffen. Die Sanierungsarbeiten sind fertiggestellt und heute Nachmittag findet die feierliche Einweihung mit Tanz statt. Als Georg Gräßer seinen Blick in Richtung Ortsmitte wendet, sieht er Otto Gordner den Brauereiberg in Richtung Gemeindehaus heraneilen. Gräßer setzt sich an seinen schweren Schreitisch und blickt gespannt in Richtung Tür. Nach wenigen Minuten öffnet sich die die schwere Holztür und seine Sekretärin Frau Wagner betritt den Raum: „Herr Bürgermeister, der Herr Gordner wartet draußen, darf er eintreten?“ Der Rathauschef nickt zustimmend und greift nach einem Stapel Papier. Seit Monaten beschäftigt sich das Ortsoberhaupt mit den laufenden Sanierungsarbeiten im Dorf. Gräßer ist müde und eigentlich überhaupt nicht in der Stimmung Gespräche zu führen. Die letzten Monate haben den Menschen im Dorf vieles abverlangt. Alte, historische Bauten mussten der neuen Straßenführung weichen und abgebrochen werden. Gräßer erinnert sich an viele emotionale Gespräche mit betreffenden Ortbewohnern. Müde stützt er seinen Kopf auf seine rechte Hand und nimmt mit der anderen den Ablaufplan der Einweihungsfeier.

Als es leise klopft es an der schweren Holztür klopft, stößt der Bürgermeister ein kurzes „ja“ hervor.

Otto Gordner betritt in Begleitung der Sekretärin das Büro des Bürgermeister. Georg Gräßer nickt Otto Gordner freundlich zu und richtet seine Worte an seine Sekretärin: „Frau Wagner, bringen Sie bitte noch zwei Kaffee?“

„Was kann ich für dich tun, Otto?“, raunt der Bürgermeister. „Ich wollte mit dir noch einmal die Zeremonie besprechen, Georg, immerhin ist es ein großer Tag für unser Dorf.“ Der Bürgermeister nickt und beginnt unwillkürlich seinen Stapel mit Schriften zu sortieren. „Wie machen wir es, Georg“, fragt Otto Gordner mit sicherer Stimme. „Dir scheint diese Einweihungsfeier sehr wichtig zu sein“, sagt der Bürgermeister. „Natürlich, Georg, wir vom „Verkehrsverein der Kulturgemeinschaft Dirmingen“ haben es uns in den letzten Jahren nicht leicht gemacht. Seit unserer Gründung im Jahre 1949 bemühen wir uns um die Straßensanierung und die Regulierung unserer Ortsmitte. Wir haben großen Anteil an diesen Arbeiten.“

Georg Gräßer nickt und nimmt erneut einen Schluck Kaffee. Als er die Tasse wieder auf seinen Schreitisch absetzt, öffnet sich die Tür und die Sekretärin bringt zwei neue Tassen mit heißem Kaffee zu den beiden Männern. Georg Gräßer nickt dankend und blickt danach zu seinem Gast. „Lieber Otto“, sagte der Rathauschef, „Die letzten Jahre waren für uns alle nicht einfach. Wir alle haben diesen schlimmen Krieg teuer bezahlt. Unser Dorf gehörte zu den Gemeinden, die dieser unsägliche Krieg am meisten bezahlt haben.“

„Was willst du mir damit sagen, Georg?“, fragte Otto Gordner. Georg Gräßer schiebt seine inzwischen leere Tasse Kaffee zur Seite und greift seine neue Tasse. „Otto“, raunte der Bürgermeister „wir haben in den letzten Jahren so einiges in Angriff genommen. Vieles wurde auf den Weg gebracht. Ich frage mich, ob wir auf unserem Weg nichts übersehen haben. Für diese Straßen Sanierung mussten viele Dorfbewohner ihr Haus aufgeben. Ich frage mich, ob das nicht nochmal auf uns zurückfällt?“

„Georg“, stößt Otto Gordner verständnisvoll heraus. „Es ist gut, dass du dir über die Menschen in diesem Dorf deine Gedanken machst. Wir sollten jedoch in die Zukunft blicken. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Als wir vor zwei Jahren 1949 den „Verkehrsverein der Kulturgemeinschaft Dirmingen“ gegründet haben, wurde zeitgleich die Gründung eines neuen Spartenvereins „Verkehr- und Verschönerung“ beschlossen. Wir haben uns damals darauf geeinigt, dass diese neue Sparte ihren Zweck in der Aufwertung und Förderung der verkehrlichen, sportlichen und landwirtschaftlichen Belange, sowie aller der Gemeinde dienenden Interessen bei engster Zusammenarbeit mit den örtlichen Vereinen und Organisationen sowie der Gemeindeverwaltung findet. Der eigentliche Gründungsgrund unseres Vereins lag darin, dass der Verein mithelfen wollte, die durch die Kriegswirren entstandenen Schäden und Ruinen zu beseitigen. Unser Plan war von Anfang an die Verbreitung der Hauptstraße und die Beseitigung der zerbombten Ruinen. Um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, mussten unter anderem auch historische Häuser abgebrochen werden. Wir alle wussten doch, dass dieses Vorhaben auch Opfer mit sich bringt. So wie es jetzt ist, ist es gut! Ich weiß nicht, warum du dir Sorgen machst.“

„Ich mache mir keine Sorgen, Otto“ raunte der Bürgermeister. „Ich freue mich genauso über die Fertiggestellung der neuen Straßen.“ Georg Gräßer erhebt sich von seinem großen Stuhl und geht ein paar Schritte zum Fenster. Nachdenklich blickt er aus dem Fenster auf die neuen Straßen und sagt: „Wir müssen auf unserem Weg alle mitnehmen. Viele Menschen haben den Aufbruch in diese neue Zeit teuer bezahlt“.

Otto Gordner nickt zustimmend, nimmt tief Luft und erwidert:“ Nun, wie gesagt, ich wollte mit dir den Ablaufplan für die heutige Eröffnungszeremonie absprechen. Wir vom Verein finden, dass auch der Vorsitzende das Wort haben sollte.“ Georg Gräßer nickt zustimmend und nimmt wieder an seinem großen Schreitisch Platz. „Wir sollten die Reden jedoch nicht so lange halten. Auch der Landrat und ein Regierungsmitglied werden zu Worte kommen.“

„Du bist also mit unserem Wortbeitrag einverstanden?“ fragte Gordner. Der Bürgermeister nickt zustimmend und ergänzt: „Gib deine Rede Frau Wagner, ich werde nach dem Mittagessen drüber schauen.“

„Mittagessen?“, fragte Gordner. „Bald ist es so weit, wo willst du hin zum Essen?“ Der Bürgermeister grinste und erwiderte: „Wollte zum Hesedenz, gutes Fleisch“. Die beiden Männer lachten sich gegenseitig an. „Ich gehe mit, wenn du nichts dagegen hast?“ Der Bürgermeister nickt und erhebt sich von seinem Stuhl.

Als die beiden Männer das Gemeindehaus verlassen geht ihr Blick unwillkürlich in Richtung Brauerei. Was hat dieses Familien- Unternehmen nicht alles für die Bevölkerung getan. Auch die „Schäfer Brauerei“ musste einen Teil ihres Firmenanwesens für den Fortschritt opfern. „Gut, dass wir die Brauerei haben“, sagt der Bürgermeister. „ Wo wären wir ohne deren Quelle und das gute Wasser geblieben?“, Otto Gordner blickt den Bürgermeister aufmunternd an und sagt: „Jetzt ein schönes Pils, orra?“

Langsam gehen die beiden Dirminger auf den neuen Straßen in Richtung dem „Millbacher Gasthaus-Hesedenz“. Hin und wieder bleiben Sie stehen und bewundern die frisch asphaltierte Straße. Dort, wo früher nur Staub, Lehm und Dreck lag, findet man nun eine saubere mit Asphalt überzogene Straße. Nichts erinnert mehr an die schlimmen Jahre unmittelbar nach dem Kriegsende. Die zerbombten Ruinen wurden entfernt und auf dem Gänseberg steht eine neuerbaute Kirche. „Das Dorf hat sich verändert“, erwidert der Bürgermeister. Otto Gordner musst du unwillkürlich grinsen: „Lieber Freund, nimm es wie es ist. Wir sind buchstäblich auf dem richtigen Weg.“ Die beiden Dirminger müssen unwillkürlich lachen.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen trennen sich die Wege der beiden Männer. Der Bürgermeister geht nochmal ins Rathaus, um nochmal seine Rede zu überarbeiten. Nach einer Weile erhebt er sich von dem schweren Stuhl und verlässt sein Büro. Vor der Tür wartet schon seine Sekretärin Frau Wagner und der Kämmerer auf den Bürgermeister. Georg Gräßer nickt den beiden still zu und streift sich seinen Mantel über. Als die drei in der Ortsmitte ankommen, verharren sie einen kurzen Augenblick. Noch vor wenigen Monaten lief hier in der Ortsmitte die Alsbach an der Stengelkirche vorbei. Heute findet man dort einen kleinen Dorfplatz und eine neuasphaltierte Straße. Die Regulierung der Alsbach gehörte zur Ortskernsanierung und wurde aufgrund der ständigen Hochwassergefahr dringend notwendig. Der Kämmerer nickte zufrieden und sagte: „Gute Arbeit, Herr Bürgermeister, orra?“ Georg Gräßer nickt zustimmend.

Der Kämmerer schaut den Bürgermeister an und fährt fort: „ Sie haben vieles bewegt, Herr Bürgermeister. Zahlreiche Häuser waren nach dem Krieg zerstört oder stark beschädigt. Die Feldwege waren teilweise in einem desolaten und unbenutzbaren Zustand. Zudem herrschte in unserem Dorf eine enorme Hochwassergefahr. Die Wasserversorgung für die Bevölkerung war längst nicht mehr gewährleistet. Die gute Schäfer-Brauerei musste lange Zeit mit ihrer Quelle aushelfen. Sie gemeinsam mit dem Heimatverein und seiner Sparte Verkehr diese Probleme erkannt. Alte Ruinen wurden gebrochen und die sehr schmale Ortsdurchfahrt wurde verbreitet und ausgebaut. Bis zu diesem Zeitpunkt war es kaum möglich, dass zwei Fahrzeuge zeitgleich die Hauptstraße passierten. Leider mussten wegen der geplanten Straßenverbreiterung einige historische Häuser abgebrochen werden. Bereits während des zweiten Weltkrieges im Jahre 1940 wurde das alte historische Haus der Gebrüder Schäfer „Veltes“ von französischen Kriegsgefangenen eingeebnet. Auch das historische „Schwähns-Haus“ gegenüber der Brauerei wurde dem Erdboden gleich gemacht und auch eine schöne Baumallee in der heutigen Lebacherstraße im Dorfteil “Müllbach” musste gerodet werden. Das alles ist auch Ihr Verdienst, Herr Bürgermeister“, endet der Kämmerer. Der Bürgermeister nickt zustimmend und sagt: „Es ist unser Verdienst, allein wäre das nie möglich gewesen.“

Frau Wagner unterbricht die beiden Männer und ermahnt: „Es wird Zeit meine Herren. Der Herr Regierungsrat und der Herr Landrat werden schon warten.“

Es ist ein trockener Novembertag am 11. 11.1951. Die Bevölkerung hat sich zu einer großen Einweihungszeremonie im Dorf eingetroffen. Als der Bürgermeister mit seiner Rede beginnt, blickt er verschmitzt zu den Vorstandsmitgliedern des „Verkehrsverein der Kulturgemeinschaft Dirmingen“. Nacheinander blickt er den anwesenden Herren in die Augen. Als er mit seiner Rede beginnt, spricht er die Vorstandsmitglieder persönlich an: „Lieber Otto Gordner, Paul Hoffmann, Hans Müll, Jakob Regitz, Hermann Bock und Nikolaus Spaniol. Sie haben durch ihr ehrenamtliches Engagement im Verein einen großen Anteil an diesen für unser Dorf wichtige Sanierungsmaßnahmen.“ Otto Gordner erwidert den Blick des Bürgermeisters und nickt anerkennend. In diesem Moment erkennt der Bürgermeister, dass es richtig war, die damalige Initiative des Vereins aufzunehmen.

Nachdem der Landrat und auch der Regierungsrat ihre Rede beendet hatten, kam der Vereinsvorsitzende Otto Gordner zu Wort: „Liebe Bevölkerung, diese neuen Straßen mögen uns in eine bessere Zukunft führen. Mein Dank geht an Bürgermeister Gräßer, der für unser Anliegen ein offenes Ohr hatte und als Vorstandsmitglied in unserem Verein eine wichtige Stützte bildet.“

Der Bürgermeister muss grinsen und nickt dem Vereinsvorsitzenden seinerseits anerkennt zu. Nachdem die großen Worte der Eröffnungszeremonie erklungen waren, stehen Otto Gordner und der Bürgermeister Georg Gräßer mit einem Bier in der Hand an der Theke des Gasthauses „Heintz-John“. „Nun, mein Freund, da haben wir uns heute aber gegenseitig schön den Ball zu gespielt“, lacht der Bürgermeister. Otto Gordner nickt und erwidert: „Dad hann ma uus verdient, Proschd.“

Diese Geschichte ist auf der Grundlage historischer Ereignisse frei erfunden, wobei es die namentlich erwähnten Personen tatsächlich gegeben hat. Ziel ist es den Lesern und Menschen unseres Heimatortes die Geschichte Dirmingens näher zu bringen und dem Vergessen entgegenzuwirken. So wie in dieser frei erfundenen Geschichte, könnte es sich am Ende tatsächlich zugetragen haben !